Champions League:Bayerns Abenteuer in Europas größter Bruchbude

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Das Stadion von Atlético Madrid ist ein Fest für Freunde des Altbewährten im Fußball. (Foto: Getty Images)

Der FC Bayern stellt sich gegen Atlético auf Widrigkeiten ein - diese haben nicht nur mit Fußball zu tun. Beobachtungen aus einem wunderbar anarchischen Stadion.

Von Martin Schneider, Madrid

Pep Guardiola blickte immer wieder nach oben. Die Hände hatte er in seinen Taschen, er setzte seine Schritte sehr langsam, einen Fuß vor den anderen. Am Rand des Spielfeldes standen ein paar Fernsehjournalisten, die für Mittwochabend probten, die anderen Besucher waren im Presseraum, um sich anzuhören, was Philipp Lahm und Xabi Alonso zu sagen hatten. Pep Guardiola spazierte in diesem Moment völlig allein auf dem Spielfeld des Vicente Calderón und wenn er keinen beißend roten Pullover angehabt hätte, dann hätte ihn wahrscheinlich auch keiner bemerkt.

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Der Trainer des FC Bayern war seit fünf Jahren nicht mehr in dieser Bruchbude im Süden von Madrid und vermutlich weiß er, dass er hier noch einmal eine besondere Schüssel des Weltfußballs betreten darf. Guardiola prüfte nicht den Rasen, er schaute umher, er genoss und er sah zum Beispiel Flutlicht-Scheinwerfer, die völlig asymetrisch über dem Spielfeld thronen, als hätte sie jemand halt irgendwie dort festgepappt. Er sah Logen, die aussehen, als hätte jemand Baucontainer noch auf den oberen Rand eines Stadions montiert und er sah, dass seine Trainerbank gefliest ist wie ein Hallenbad aus den 70ern. Kurzum: Guardiola sah, dass es gut ist.

Auf der Haupttribüne sind die wenigen gepolsterten Sitze auf rostige Eisenstangen geschraubt, nur diese Tribüne ist überdacht, aber in den vorderen Reihen würde man trotzdem im Regen sitzen. Die Risse im Beton sind fast so dick wie ein Torpfosten und man will glauben, dass sie das Resultat von tausenden, infernalischen Torschreien sind, und jedes mal breiter werden, wenn das Stadion zittert. Der VIP-Bereich (es ist völlig übertrieben, ihn so zu nennen) ist mit einem verzierten Stahlzaun umgeben, wie er um deutsche Vorgärten verläuft und auf einer Terrasse im Stadioneck steht völlig unzusammenhängend eine Topfpflanze.

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Es ließe sich stundenlang über dieses Kleinod vergangener Fußballzeiten schwelgen, wenn es nicht so laut wäre. Denn aus wenigen Metern Entfernung dröhnen Motoren und Reifen auf Asphalt Richtung Spielfeld. Die Stadtautobahn verläuft unter der Haupttribüne - direkt darunter, wohlgemerkt. Von der Straße bis zum Spielfeld sind es 20 Meter, Leitplanken oder sonst irgendeine Form von Zaun gibt es nicht. Nur die Blechtüren zum Stadion, auf denen das Atlético-Wappen eingraviert ist, verhindern, dass zum Beispiel ein Ball auf die Schnellstraße fliegen würde. Die eigentlich silbernen Türen sind schwarz von den Abgasen und es kann gut sein, dass es Absicht ist, dass sie hier gar nicht so sauber sein wollen.

Guardiola und sein FC Bayern treffen an diesem Mittwoch also nicht nur auf eine garstige Atlético-Mannschaft, sondern sie erwarten auch sonst noch allerlei Widrigkeiten. Während der Coach schlenderte, saßen Philipp Lahm und Xabi Alonso einem viel zu großen und viel zu kargen Presseraum und redeten über das Spiel. In den Pressekonferenzen vor großen Spielen wird selten etwas Substanzielles gesagt. Große Aufgabe, schwerer Gegner, sind vorbereitet, solche Dinge.

Diesmal war es besonders schwer, denn die Übersetzerin gab sich zwar redlich Mühe, scheiterte aber immer wieder kläglich an simpelsten Sätzen. Philipp Lahm sagte, das Ziel müsse sein, ein Auswärtstor zu schießen. Dass das nicht passiert sei, sei bei den Halbfinal-Niederlagen in den vergangenen beiden Jahren ein Grund für das Aus gewesen. "Und ich weiß, dass bittere Niederlagen eine Mannschaft noch mehr zusammenschweißen können." Atlético verlor vor zwei Jahren durch ein Tor in der 93. Minute noch das Champions-League-Finale gegen Real.

Lahm und Alonso, die beiden Dorfältesten beim FC Bayern, entschieden sich aufgrund des Sprachkuddelmuddels schließlich für nonverbale Kommunikation, der Gegner guckt solche Pressekonferenzen ja auch - beide demonstrierten bei ihrem Auftritt eine erstaunliche Lockerheit. So gab Lahm Auskunft darüber, ob er es in der Jugend bei der FT Gern schon einmal mit Widrigkeiten der Marke Diego Simeone zu tun hatte - der Coach der Madrilenen ließ am Wochenende mit einem zweiten Ball auf dem Feld das Spiel stören.

"Übersetzen sie mal bitte kurz nicht", scherzte Lahm in Richtung der Simultan-Dame, "wir hatten in Gern nur einen einzigen Ball. Da war keiner zum draufwerfen. Jetzt können sie wieder übersetzen." Die Übersetzerin tat natürlich trotzdem wacker ihren Job und Lahm musste grinsen. Irgendwie mussten alle ständig lachen vor diesem bedeutsamen Spiel, selbst der sonst eher ernste Xabi Alonso. Als der Spanier dann selbst den Übersetzer für deutsche Fragen der Reporter geben sollte, driftete die Veranstaltung endgültig in Richtung Realsatire ab. Alonso schlug sich tapfer, dabei hatte er sich erst vor Kurzem über die deutsche Sprache gewundert.

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Wollten Lahm und Alonso die Biestigkeit Atléticos und all die Hindernisse weglachen? Macht sich beim FC Bayern wirklich keiner Sorgen angesichts dieser maximal unangenehmen Truppe aus dem Madrider Südwesten, bei der Provokation zur Taktik gehört? Guardiola, der irgendwann auch noch den Weg vor die Mikros fand, sagte über Tricksereien wie absichtliche Zweitball-Verwendung: "Wir haben hier im Vorfeld nur über Fußball gesprochen. Andere Dinge können wir nicht beeinflussen." Aber er sagte auch, dass letztlich der Schiedsrichter entscheide, und der heißt an diesem Abend Mark Clattenburg.

Die Bayern werden sich wehren müssen gegen das, was an Schwierigkeiten auf sie zukommt, aber sie wirkten gewappnet - fast so, als freuten sie sich, endlich mal wieder unter traditionellen Bedingungen Fußball zu spielen. Zu verdanken ist dieser Eindruck auch diesem Stadion, das es wohl nicht mehr lange geben wird. Das Ende dieser Beton-Kathedrale aus herrlich anarchischen Zeiten ist beschlossen, bald zieht der Verein in eine neue, schicke Glas-und-Stahl-Arena in den Osten von Madrid.

Am Ort des Calderón soll ein Park entstehen. Aber für ein paar Spiele sind sie hier noch alt, schmutzig und stehen im Regen und wenn man sieht, dass der Verein im Presseraum die Simulation des neuen Stadions lieblos in eine Ecke gehängt hat und die ganze Wand dagegen voll ist mit schwarz-weiß Bildern aus der Vergangenheit, dann wird einem klar, wie ungern Atlético Madrid diese Spielstätte hinter sich lassen will.

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