Champions League:Barcelonas traurige Zauberer gehen unter

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Weil Lionel Messi verzagt, scheitert der FC Barcelona im Champions-League-Viertelfinale an Atlético Madrid. Auch der Schiedsrichter trägt seinen Teil dazu bei, dass der Titelverteidiger raus ist.

Von Sebastian Fischer

Lionel Messi sah aus wie ein trauriger Zauberer. Er hatte seinen Hut gezogen, ein letztes Mal an diesem Abend, doch auch jetzt war kein Hase herausgekrabbelt. Alle Kameras waren auf ihn gerichtet. In einem Anflug von Ratlosigkeit strich sich Messi um die Mundwinkel und wandte sich ab. Er hatte den letzten Freistoß im Champions-League-Halbfinale gegen Atlético Madrid übers Tor geschossen, der Ball flog am rechten Winkel vorbei.

Messi wusste: Das war's. Barcelona, der große Favorit, ist raus. "Der Untergang", titelte Marca am Morgen danach.

Real Madrid, FC Bayern, Manchester City, Atlético Madrid - die Besetzung des Halbfinales taugt auch in diesem Jahr nicht zur Cinderella Story. Real, Barça und Bayern standen in den vergangenen sechs Jahren jeweils fünfmal unter den besten vier, Real Madrid baut die Serie nun auf sechs Teilnahmen in Folge aus. Manchester City ist wohl die reichste Mannschaft Europas (vor ihrem Viertelfinal-Gegner Paris Saint-Germain). Auch Atlético ist nicht der klassische Außenseiter, das Team von Trainer Diego Simeone drang 2014 bis ins Finale vor und hat im zweifachen Torschützen Antoine Griezmann zwar keinen Messi, aber dennoch einen der derzeit besten Fußballer der Welt in seinen Reihen.

Der famose MSN-Sturm verzagt

Doch wenn es außer dem Märchen von Leicester City in der Premier League ein Ereignis in dieser Fußballsaison gibt, dass den monotonen Siegeszügen der Immergleichen ein wenig Einhalt gebietet, dann war es der Mittwochabend im Estádio Vicente Calderon. Barcelona ist in diesem Jahr angetreten, um zu schaffen, was in 23 Jahren Champions League noch niemandem gelungen ist: den Titel zu verteidigen.

Wochenlang hatte es so ausgesehen, als könnte niemand den famosen MSN-Sturm stoppen, El Tridente, Messi, Luis Suarez, Neymar. Das Triple war das große Ziel. Doch in der entscheidenden Saisonphase läuft es nicht rund beim Dreizack, und dann läuft es auch bei Barça nicht. "Wir haben momentan nicht unsere Bestform", gab Trainer Luis Enrique zu.

Selbst in der Liga, wo die Meisterschaft beinahe schon manifestiert schien, hat Barça nach vier Spielen ohne Sieg in Serie, darunter die Niederlage im Clásico gegen Real Madrid, den Vorsprung verspielt, drei Punkte sind es nur noch vor Verfolger Atlético. Und nun zerstörte die Arbeitertruppe, die leidenschaftlichen Verteidiger, die Beißer der Rojiblancos auch den Traum von der Titelverteidigung. Es sei der Stolz Barcelonas, immer als Favorit zu gelten, sagte Enrique, aber: "Wir müssen die Niederlage akzeptieren", das sei nun mal Teil des Sports.

2014, als Atlético bis ins Finale vordrang und erst in der Nachspielzeit an Real Madrid scheiterte, schmiss Simeones Mannschaft Barça genau wie diesmal im Viertelfinale aus dem Wettbewerb und entriss dem Favoriten später auch noch die spanische Meisterschaft. Damals wirkte Barcelona im Viertelfinal-Rückspiel (0:1) chancenlos, Messi gelang gar nichts. Die Mannschaft von Atlético hat sich seitdem personell verändert, Diego Costa und Thibault Courtouis etwa, zwei prägende Figuren damals, spielen inzwischen beim FC Chelsea.

Doch der Stil ist gleich geblieben. Er ist dem von Jürgen Klopp ähnlich, nur noch etwas defensiver und aggressiver. Und die Finalniederlage gegen Real 2014 ist nun in Atléticos DNA. TV-Experte Oliver Kahn verglich die Mannschaft mit der der Bayern von 2001, die Niederlage gegen Manchester von 1999 noch im Kopf. Damals gewannen die Münchner die Champions League. Kahn sagte im ZDF, er würde den Bayern im Halbfinale alle Gegner wünschen, nur Atlético nicht.

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Keine Sensation, aber eine Überraschung

Hinzu kommt fußballerische Klasse: Griezmann traf einmal per Kopf, nach einer Vorlage des 21-Jährigen Saúl, der vielleicht schönsten Aktion dieser Champions-League-Saison: Der Spanier ließ den Ball von seinem Knie abtropfen, einmal aufspringen und flankte ihn dann per Dropkick mit dem linken Außenrist derart in den Strafraum auf Griezmanns Kopf, dass die Flugkurve an den Mund eines grinsenden Smileys erinnerte. Griezmann traf auch noch per Elfmeter, das 2:0 in der 88. Minute nahm einer halbstündigen Drangphase der Gäste den Schwung. Und als hätten sich alle gegen Barça verschworen, verlegte Schiedsrichter Rizzoli den Tatort eines Handspiels von Atléticos Gabi kurz vor Schluss fälschlicherweise an einen Punkt außerhalb des Strafraums. Messis Freistoß hätte eigentlich ein Elfmeter sein müssen, das 1:2 hätte die Verlängerung bedeutet.

Es wäre natürlich übertrieben, angesichts dieser Niederlage einen Abgesang auf Barca zu wagen, sie kann in Spanien immer noch zwei Titel gewinnen, das wird sie sehr wahrscheinlich auch tun. Zwar war es der Abend von Barcelonas Niederlage, doch es war noch mehr der Abend von Atléticos Sieg; ein Sieg wie ein zaghafter Versuch, zu durchbrechen, was Karl-Heinz Rummenigge gerne in einer Setzliste abgesichert sähe: die Dominanz der Seriensieger. Diego Simeone, ein Mann mit Hang zum Dramatischen, drückte es so aus: "Dieses Atlético vermittelt die Werte des Lebens", nämlich Beharrlichkeit und das Vermögen einer "fantastischen Gruppe", es auch mit besseren Mannschaften aufnehmen zu können.

Atlético schlägt Barça - das ist keine Sensation, aber doch eine Wendung, mit der in dieser an vorhersehbaren Ergebnissen reichen Saison wohl kaum jemand gerechnet hat.

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