Dortmund im DFB-Pokal:Tiefe Wunden beim BVB

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Der desaströse K.-o. im Pokalviertelfinale wird die Borussia noch eine Weile beschäftigen. Der Klub parkt erst einmal seine Anwartschaft auf den Bundesligatitel - es geht längst um Grundsätzliches.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Der Abend war wahrlich nicht dazu angetan, noch große Töne zu spucken. Im Gegenteil. Und dennoch: Ein wenig überraschte es dann doch, wie kategorisch und vor allem wie drastisch die Dortmunder klangen, als sie das große Bild in Augenschein nahmen, das sich ihnen nach dem 0:2 im Pokalviertelfinale gegen RB Leipzig bot.

"Es war ein katastrophales Spiel in der ersten Halbzeit", sagte BVB-Trainer Edin Terzic, als er in der Pressekonferenz saß - "ein Scheißabend, grundsätzlich". Und auch wenn er hinzufügte, dass seine Mannschaft im letzten verbleibenden Wettbewerb, in der Bundesliga, "eine gute Rolle spielen" möchte, so war aus seinen Worten herauszuhören, welch tiefe Wunde die erst dritte Niederlage des laufenden Kalenderjahres gerissen hatte. Terzic machte kaum einen Hehl daraus, dass er größere Zweifel hegt, ob es noch möglich sei, den 33. Meistertitel des FC Bayern zu verhindern: "Wenn man die Leistung heute und vor allem auch den Auftritt in München sieht, und wir so weiterspielen, wird's schwer."

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Zur Erinnerung: Der Auftritt in München als Tabellenführer war am Samstag mit einer 2:4-Pleite geendet. Am Mittwoch nun folgte ein Auftritt, der wie der Biss in eine Kapsel mit giftigem Pessimismus schmeckte - die aber nicht nur Bitternis, sondern auch Poesie freisetzte: "Es gibt für uns kein Morgen mehr in diesem Wettbewerb", formulierte Terzic. Dieser Umstand war umso unheilvoller, als zuvor die anderen beiden Vereine aus den "Top-3" der Bundesliga aus dem Pokal ausgeschieden waren, der FC Bayern (gegen Freiburg) und Dortmunds nächster Bundesligagegner Union Berlin (in Frankfurt). Das Aus war daher nicht einmal mit der Leere zu vergleichen, die der K.-o. in der Champions League ausgelöst hatte. Dort hatte Dortmund beim FC Chelsea Anfang März trotz eines 1:0-Hinspielsieges die Segel streichen müssen.

"Am Ende muss man festhalten, dass wir in London, in München und auch heute hier (in Leipzig) nicht die Leistung gezeigt haben, die nötig ist, um ganz nach vorne zu kommen", sagte Manager Sebastian Kehl, der in den Katakomben nach jeder Frage, die ihm gestellt wurde, erst einmal sekundenlang seine Gedanken sortierte.

"Das war das Schlechteste, was ich seit geraumer Zeit von uns gesehen habe", haderte Manager Sebastian Kehl

War's das also mit den Titelambitionen der Dortmunder für dieses Jahr? Obschon sie in der Liga nach 26 Spieltagen gerade mal zwei Punkte hinter dem vor Souveränität nicht gerade strotzenden FC Bayern stehen? Terzic war derart bedient, dass er es als "vermessen" empfunden hätte, von seiner Mannschaft als Titelaspiranten zu sprechen: "Wir müssen erst einmal diese Leistung geraderücken", und: "Bei uns geht es jetzt erst einmal um die Sicherung des Champions-League-Platzes." Was nach dem Mittwoch fürwahr nicht bloß so dahingesagt wirkte. Die Leistung des BVB sei "in allen Bereichen deutlich zu wenig" gewesen, wahlweise "das Schlechteste, was ich seit geraumer Zeit von uns gesehen habe", bilanzierte Kehl. Vor allem die ersten 45 Minuten ließen ihn ratlos zurück: "Das wird uns einige Tage beschäftigen."

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Der Vortrag des BVB hatte ohne Frage jede Generalabrechnung verdient. Terzic hatte an der Außenlinie eine Mannschaft dirigiert, die bloß Luftgitarre spielen wollte, derweil Leipzig mit dem Anpfiff zum Heavy-Metal-Konzert ansetzte. "Wir haben uns gewundert, dass es Zweikämpfe gibt - egal, ob wir den Ball hatten oder der Gegner", ätzte Terzic. Und weil die Dortmunder sich den Ball überdies einander nicht zugespielt hätten, "sondern einfach Bomben verteilten und den Mitspieler dann allein ließen", hätten sie zur Halbzeit eigentlich auf Knien in die Kabine rutschen müssen. Aus Dankbarkeit darüber, dass es durch das Tor von Timo Werner erstaunlicherweise nur 0:1 stand.

Die Leipziger hingegen, die in den drei vorangegangen Pflichtspielen lauter Niederlagen und 0:11 Tore geerntet hatten? Waren an diesem Abend die Verkörperung von Energie, Wille, Passion. Allen voran der Spanier Dani Olmo, der erstmals seit einer Ende Januar erlittenen Muskelverletzung wieder in der Startelf stand und, solange seine Kräfte reichten, 70 Minuten lang, ein fabulöses Spiel bot. "Er ist ein Unterschiedsspieler", lobte Trainer Marco Rose.

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Er allein schoss fünf Mal aufs Tor, und zwang den übrigens prächtig haltenden BVB-Torwart Gregor Kobel mindestens zwei Mal dazu, zu zeigen, dass er nach seinem Fehltritt von München nicht in eine Luftloch-Krise gefallen war. Seinen Vorderleuten gelang das derart schlecht, dass sie erst in der Nachspielzeit zur ersten Torgelegenheit kamen. Das wiederum kam Leipzigs Trainer Marco Rose zupass. Denn durch die Parade von Torwart Janik Blaswich bei einem Schuss von Jamie Bynoe-Gittens vervollständigte sich das Bild einer hervorragenden, geschlossenen Mannschaftsleistung.

Unmittelbar nach der Intervention Blaswichs traf Leipzigs Kapitän Willi Orban (90.+9), der trotz eines im Spiel gegen Mainz erlittenen Nasenbeinbruchs spielte, zum überfälligen 2:0. Überfällig, weil die Gäste zuvor exakt das erlitten hatten, was dem Stadion in Leipzig rund um die 75. Minute widerfahren war: einen Blackout. Das Licht ging plötzlich aus. Im Gegensatz zur Arena hatte der BVB aber kein Backup-System, um den Software-Schaden zu beheben. RB-Kapitän Orban trug die Dunkelheit mit Fassung. "Das war richtig romantisch."

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So wie er war auch der Rest der Leipziger von Zufriedenheit getragen. Indem er eine Aussprache ohne Trainer zuließ, das System umstellte und vor Spielbeginn in der Kabine offenbar die richtigen Worte fand ("Er hat uns vor dem Spiel richtig heiß gemacht", sagte Benjamin Henrichs), trug Rose viel zur Bewältigung der Krise bei. Die einzige Klage, die in den Katakomben zu hören war, stammte von Red-Bull-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff. "Zu wenig Tore!", rief der nach Salzburg abkommandierte Chef, als er einem alten Bekannten über den Weg lief.

Der Sieg tötete überdies die Knospen einer zärtlich sprießenden Personaldebatte um Trainer Marco Rose vollends ab. Die Bild-Zeitung hatte berichtet, dass eine angedachte, vorzeitige Vertragsverlängerung des Trainers gerade wieder überdacht werde. "Wir wollen den Vertrag verlängern, das ist klar und da wird dieses Spiel nichts dran ändern", hatte Eberl dem ZDF vor dem Anpfiff gesagt. Das Geraune war vor dem Hintergrund einer Serie aus drei empfindlichen Niederlagen in Serie entstanden. Leipzig war in der Champions League mit 0:7 untergangen, hatte danach beim VfL Bochum (0:1) und gegen Mainz 05 (0:3) verloren, so dass Leipzig derzeit in der Liga auf Platz 5 steht.

Leipzig hat aktuell acht Punkte Rückstand auf den Tabellenzweiten Dortmund (und zwei Zähler weniger als der Tabellenvierte SC Freiburg) - und wie der BVB ein Duell mit Berlinern vor der Brust. Leipzig reist zur abstiegsgefährdeten Hertha, dort hatte RB in der Vorsaison mit 6:1 gewonnen. "Jetzt machen wir am Samstag mit dieser Energie weiter, in der Bundesliga haben wir noch bisschen was aufzuholen", sagte Orban.

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