"Mentalität", hat Mats Hummels gesagt, "ist der große Bruder vom Stellungsfehler". Der Verteidiger von Borussia Dortmund gehört unter den aktiven Fußballern zu den begabteren Erklärern des Spiels, man kann ihm also glauben, wenn er sagt, dass das Wort "Mentalität" oft benutzt werde, "wenn man nicht weiß, was eigentlich passiert ist."
Es wurde ja in den vergangenen Wochen zum Missfallen der Verantwortlichen in Dortmund wiederholt benutzt, um die unbefriedigenden Ergebnisse des BVB zu erklären. Nun ist es schon wieder passiert, der BVB hat in der Liga zum dritten Mal in Serie nach einer Führung und einem späten Ausgleichstreffer 2:2 gespielt, diesmal beim SC Freiburg. Dortmund hat also ein Stellungsfehlerproblem. Und die Frage ist: Warum?
Der BVB hat im Sommer die Meisterschaft als Ziel ausgegeben und sich entsprechend verstärkt. Die Kaderplanung ist gelobt worden, als Zugewinn an fußballerischer Klasse und mentaler Stärke im Vergleich mit jenem Kader, der schon in der vergangenen Saison lange die Tabelle anführte. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat in dieser Woche noch mal deutlich gemacht, dass in Dortmund gerade keine Debatte über Qualität zu führen sei: "Wir müssen lernen, unser Tor wieder mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, und dürfen uns nicht nur auf unseren schönen Fußball verlassen", sagte er. Zuverlässigkeit in der Defensive vor Spektakel in der Offensive, sollte das heißen.
In Freiburg haben wieder ähnliche Fehler wie in den Vortagen den Ausschlag gegeben: Dortmund lief weniger, ließ sich am Ende scheinbar ohne Not in die Defensive drängen, stand auch in den entscheidenden Momenten nicht gut. Vor dem 1:1 durch Luca Waldschmidt rückte Manuel Akanji nicht konsequent aus der Viererkette, um den über die Grenzen Freiburgs als schussstark bekannten Nationalstürmer am Abschluss zu hindern.
Beim 2:2 kurz vor Schluss verhinderten weder Marcel Schmelzer noch Raphael Guerreiro eine Flanke in den Strafraum, Akanji klärte den Ball nicht richtig, er lenkte ihn schließlich ausgesprochen unglücklich ins eigene Tor. Spätestens als Akanji dieser nächste von vielen Fehlern in den vergangenen Wochen unterlief, drängte sich die Frage auf, ob das Dortmunder Stellungsproblem auch ein Problem des Verantwortlichen für Aufstellung, Einstellung und Umstellung ist - von Trainer Lucien Favre.
Der Schweizer ist ein unbestritten großer Kenner des Spiels, ein Prediger von Ballkontrolle als Bedingung für Erfolg. Favre-Fußball sieht nach hoher Kunst aus, wenn er funktioniert. Doch er wirkt auch dann noch stur in seiner Art, den Sport zu lehren und das Spiel zu interpretieren, wenn sein Fußball nicht funktioniert. Und bräuchte es nicht Korrekturen, wenn enttäuschende Ergebnisse nach wiederkehrendem Drehbuch zustande kommen und Gegentore nach ähnlichen Mustern fallen, nach Standardsituationen und Flanken, spät im Spiel?
Es ist immer noch früh in der Saison, der FC Bayern hatte in der vergangenen Saison am siebten Spieltag nur einen Punkt mehr gesammelt als der BVB aktuell und ist trotzdem noch Meister geworden. Aber Favre, 61, der in seiner 29. Saison als Trainer die begabteste Mannschaft seiner Laufbahn verantwortet, könnte nun beweisen, dass er auf die Stärken und Schwächen seines Teams zu reagieren weiß, dass er Stellungsfehler beheben kann. Ob er das schafft, ist womöglich auch eine Frage der Mentalität.