Dortmunds 2:2 in Bremen:Eine Mannschaft verliert kollektiv die Nerven

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Lässt einen eigentlich normalen Schuss von Kevin Möhwald durchrutschen: Roman Bürki. (Foto: Friso Gentsch/dpa)
  • Borussia Dortmund vergibt auf dramatische Art und Weise den Sieg in Bremen und hat nun vier Punkte Rückstand auf den FC Bayern.
  • Claudio Pizarro und Kevin Möhwald erzielen innerhalb von fünf Minuten die Treffer nach Patzern von Roman Bürki und Manuel Akanji.
  • BVB-Sportchef Michael Zorc spart nicht an individueller Kritik.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Claudio Miguel Pizarro Bosio, der älteste lebende Spieler der Fußball-Bundesliga, hat schon viele wichtige Tore für den FC Bayern geschossen. 125 Mal hat er für die Münchner in diversen Wettbewerben und Spielzeiten getroffen, der Pendler zwischen Nord und Süd, zwischen Weser und Isar, zwischen Weißwurst und Grünkohl. Zuletzt haben sich die Bayern-Granden darüber Gedanken gemacht, Pizarro ein x-tes Mal zurückzuholen, als Markenbotschafter oder so etwas. Aber vielleicht überlegen sie sich das nochmal und übernehmen lieber das nächste Gehalt für den 40 Jahre alten Stürmer, damit er noch ein Jahr in Bremen bleiben und wichtige Bayern-Tore schießen kann, im grün-weißen Trikot.

Denn wahrscheinlich wird man in zwei Wochen schreiben dürfen, dass am Abend jenes 4. Mai Claudio Pizarro den FC Bayern München zur siebten Meisterschaft in Folge geschossen hat, als er zum 2:2 gegen Borussia Dortmund traf. Für Werder Bremen. "Die Bayern sind jetzt in der Pole Position", sagte BVB-Sportdirektor Michael Zorc. Zu verdanken haben sie es auch Claudio Pizarro.

Der Peruaner, 40 Jahre alt, ist in dieser Saison ohnehin der personifizierte BVB-Albtraum. Schon im Achtelfinale des DFB-Pokals hat der alte Mann den Dortmundern einen Wettbewerb verhagelt, als er in einer sehr denkwürdigen Verlängerung für die Bremer ausgeglichen und später im Elfmeterschießen traf. Und nun, an diesem Samstagabend, im Weserstadion, raubte er den fahrlässigen Dortmundern zwei wahrscheinlich entscheidende Punkte im Titelkampf.

In jener 75. Minute, als die Borussen in einen unerklärlichen Schlaf fielen, wie Narkoleptiker, die sich dagegen nicht wehren können, war Pizarro mit einer Direktabnahme zur Stelle und glich in einem Spiel aus, das Borussia Dortmund niemals hätte aus der Hand geben dürfen.

So souverän waren die Gäste in Bremen aufgetreten, so verdient hatten sie mit 2:0 geführt, so nah waren sie einem weitaus größeren Vorsprung gewesen. "Wir haben es am Anfang schlecht gemacht, da haben uns die Dortmunder hergespielt", sagte Werder-Kapitän Max Kruse später.

Die Dortmunder traten nach diesem Naturereignis von einem Derby vergangene Woche (2:4 gegen Schalke 04) erstaunlich aufgeräumt und gut sortiert im Weserstadion auf. Schon früh waren sie klar die bessere Mannschaft, Pulisic dokumentierte das mit seinem Treffer zum 1:0, bei dem er ein paar Bremer auf eine Art stehen ließ, als könne er auch durch Wände gehen. Das war erst in der sechsten Minute, aber schon da war zu sehen, dass die Abwesenheit des Kapitäns Marco Reus wegen Rot-Sperre dem Dortmunder Spiel kein bisschen schaden würde.

Gegen Schalke, in der Woche zuvor, hatte die Borussia ja kollektiv die Nerven verloren. Zwei Platzverweise, vier Gegentore und ein Trainer, der den Kampf um die Meisterschaft aufgab wie ein Boxer in der elften Runde führten zu einer Debatte über die Kunst der Motivation. Verfügt Trainer Lucien Favre zwar über viel taktisches Gefühl, aber fehlt ihm womöglich der Wumms, um seine Elf, wenn die Spiele dreckiger werden und die Kräfte weniger, über das Limit zu pushen?

"Das war ein Spiel, das wir gewinnen wollten", sagte Favre später, und es sah auch aus wie ein Spiel, das Dortmund gewinnen wollte. Die Borussia wirkte entschlossen und frisch, bereit, sich die Chance zu erhalten, vielleicht doch noch einmal an den Bayern vorbeizuziehen. Die spielen nächste Woche in Leipzig, der BVB gegen Düsseldorf. Bremen schien keine Gegenwehr leisten zu können, Werder hat ja so etwas wie die aufregendste Durchschnittsmannschaft dieser Saison - fähig zu großen Momenten, aber in manchen Situationen auch einfach nicht gut genug.

Außer dem seit Wochen groß aufspielenden Milot Rashica schien jeder Dortmunder Spieler schneller zu sein als sein Bremer Gegenspieler - so war das 1:0 für die Borussia gefallen, so fiel auch das 2:0. Werders für den gesperrten Moisander in die Elf gerutschter Verteidiger Marco Friedl hatte Pulisic hinterherlaufen müssen, eine Berührung, ein Pfiff, ein Freistoß, ein Schuss: Paco Alcacer traf direkt zum 2:0 (41. Minute). Der Frust auf Werder-Seite war früh im Spiel schon groß, Davi Klaassen hätte nach einem Foul an Witsel auch leicht vom Patz fliegen können (33.)

"Schwer zu sagen, wie wir das wieder angestellt haben", sagt Julian Weigl

Bremens Comeback-Qualitäten sind bekannt. Dortmund hat sie im Pokal schon selbst erlebt in dieser Saison, neulich auch der FC Bayern, der ebenfalls sehr souverän mit 2:0 im Weserstadion führte und doch den Ausgleich kassierte. Die Dortmunder aber, angeleitet vom sehr starken Mario Götze, spielten auch nach der Pause unbeeindruckt weiter. Diallo hätte noch vor der Pause, Pulisic nach der Pause das 3:0 machen können. Doch die Borussen ließen Werder am Leben - ein Fehler, ein schwerer Fehler. "Schwer zu sagen, wie wir das wieder angestellt haben, das noch herzugeben", klagte Julian Weigl.

Tja, wie konnte das passieren? Nach einer Stunde wechselte Werders Trainer Florian Kohfeldt Kevin Möhwald und Claudio Pizarro ein, unter anderem verließ der ehemalige Dortmunder Nuri Sahin den Platz. Zehn Minuten später stand es 1:2, Möhwald hatte es einfach mal probiert, Dortmund Torwart Roman Bürki den Ball einfach mal durchgelassen. "Muss er halten, keine Frage", stellte BVB-Sportchef Michael Zorc später fest. So ein Fehler passiert, deswegen muss man nicht gleich die Fassung verlieren, genau das aber taten die Dortmunder: Sie verloren die Fassung, die Kontrolle und beinahe sogar noch das Spiel.

Denn erst fiel dieses 2:2, nachdem sich Manuel Akanji für ein paar Sekunden aus dem Spiel verabschiedete und einen hoch vom Himmel in den Strafraum tropfenden Ball dem Schweden Ludwig Augustinsson überließ. "Akanji macht den Ball überhaupt erst wieder scharf", sagte Michael Zorc, der mit individueller Kritik nach dem Spiel nicht sparen brauchte. Augustinssons Flanke fand Pizarro, im Stadion folgte die nach Pizarro-Toren übliche Ekstase. Hernach hätten die Bremer, zum Beispiel durch einen Kopfball von Claudio Pizarro, das Spiel auch gewinnen können. Aber dann hätten ihn die Münchner vielleicht schon morgen zurückgeholt, von der Weser an die Isar. Zuerst will Pizarro aber mit den Bremern reden, "wir werden in den nächsten Wochen reden", sagte er: "Ich habe immer noch viel Lust auf Fußball."

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