FC Bayern:Ein selbstkritischer Beinahe-Meister

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Der FC Bayern feiert das 1:0 gegen Hannover 96. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der FC Bayern gewinnt gegen Hannover 96 und hat zwei Spieltage vor dem Ende vier Punkte Vorsprung auf Borussia Dortmund.
  • Die Spieler sind selbst aber mit ihrer Leistung gegen den Abstiegskandidaten nicht zufrieden.
  • Vor dem Spiel kritisierte Franz Beckenbauer die Saison - viele Münchner geben ihm recht.

Von Maik Rosner, München

Schlecht war die Laune bei den Bayern hinterher nicht, schon gar nicht bei Thomas Müller, den schlechte Laune ohnehin vergleichsweise selten befällt. Sogar zu Jérôme Boatengs Fingerbewegung an die Stirn nach einem Videobeweis, der zu Hannovers sehr umstrittenem Handelfmeter geführt hatte, fiel Müller eine humorvolle Deutung ein, mit einem allerdings ernsthaften Kern. "Ich glaube, er hat der Regel und nicht dem Schiedsrichter den Vogel gezeigt", sagte er.

Ähnlich irritiert war Müller, als ihm Franz Beckenbauers Polemik zu Ohren kam, der vor dem 3:1 (2:0) gegen Hannover 96 am Rande der Feier zum 50-jährigen Jubiläum des ersten Doubles über die aktuellen Bayern gesagt hatte: "Wenn ich die Spiele in der Champions League und der Europa League sehe, wie da gefightet wird, da meine ich manchmal, die Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft zu sehen." Er wisse nicht, wie diese gespielt habe, aber vermutlich gut, entgegnete Müller zunächst schelmisch, ehe er an die in der Hinrunde zwischenzeitlich neun Punkte Rückstand auf Borussia Dortmund und den aktuellen Vorsprung erinnerte. "Dann hat man schon auch was richtig gemacht", befand Müller und führte einige "gute Spiele" an, die Beckenbauers Kritik widersprächen.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Ribéry genießt die Gesänge der Südkurve

Der Franzose schenkt den Fans gegen Hannover ein Tor. Jérôme Boateng wird vom Videobeweis überführt und Leon Goretzka huft einfach mal drauf. Der FC Bayern in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Jonas Beckenkamp

Das Bemerkenswerte in der anhaltenden Debatte um die aktuellen Bayern und deren Trainer Niko Kovac war: Müller blieb so ziemlich der einzige Spieler, der sich Beckenbauers Worten deutlich entgegenstellte. Diese hatte dieser schon einmal ähnlich 2001 auf einer Bankett-Rede nach einer 0:3-Niederlage bei Olympique Lyon gewählt und dabei zur Verdeutlichung das Wort "Altherrenfußball" angeführt. Danach gewannen die Bayern übrigens die Champions League.

Das Spiel gegen Hannover zählte jedenfalls nicht zu den besseren Auftritten in der Geschichte der Münchner, wenngleich sie durch den Pflichtsieg gegen den Tabellenletzten und das gleichzeitige Remis des BVB in Bremen den nächsten Schritt in Richtung Meistertitel unternahmen. Robert Lewandowski (27.) und Leon Goretzka (40.) hatten sie in Führung gebracht. Jonathas verkürzte zwar durch den trotz Videobeweis sehr fragwürdigen Handelfmeter (51.). Doch der eingewechselte Franck Ribéry stellte den erstaunlich mühevollen und wenig überzeugenden 3:1-Erfolg endgültig sicher (84.), bei dem auch noch Arjen Robben zu seinem kurzen Comeback nach gut fünf Monaten Zwangspause kam.

"Wir haben in der zweiten Halbzeit nicht druckvoll genug gespielt", sagte Rechtsverteidiger Joshua Kimmich und ergänzte noch etwas kritischer: "Von einer Mannschaft, die Meister werden will, kann man erwarten, dass sie da druckvoller spielt." Zumal mit einem Mann mehr, nachdem sich Jonathas kurz nach seinem Tor binnen drei Minuten die gelb-rote Karte eingehandelt hatte (55.). Zunächst durch einen Schubser gegen Torwart Sven Ulreich nach dem Elfmeter, dann durch ein Foul gegen Kimmich.

In der Tat stand das Spiel durchaus stellvertretend für die bisherigen Saisoneindrücke, die Beckenbauer schon vor dem Anpfiff arg zugespitzt hatte. Oft tempo- und ideenarm agierten die Bayern zum wiederholten Male gegen Hannover sowie nur phasenweise schwungvoll und überzeugend. Vor allem aber wird diese Saison von viel Arbeit sowie wenig Esprit und Kunst geprägt. So sehen das auch einige Spieler. Wie Kimmich, der sagte: "Herr Beckenbauer war ein riesen Spieler und Trainer. Wenn der das so sagt, ist das eindeutig." Ob der 73-Jährige Recht habe? "Auf jeden Fall", antwortete Kimmich, "in sehr vielen Spielen war das viel zu wenig."

Sogar der Zugereiste Goretzka, erst im vergangenen Sommer aus Schalke gekommen, brachte Verständnis für Beckenbauers Einlassung auf. "Ich glaube, dass vieles nicht so gut läuft, wie wir uns das vorstellen." Beim FC Bayern reiche es eben nicht, zu gewinnen, man müsse auch glänzen, gerade gegen einen Abstiegskandidaten in Unterzahl, gegen den der Anspruch eher ein 5:0 sei. "Unterm Strich", bilanzierte Goretzka, "kann man auf jeden Fall festhalten, dass in vielen Spielen etwas gefehlt hat."

Das galt auch für diesen Samstagnachmittag, der durch Stuttgarts Niederlage Hannover zumindest noch die theoretische Chance auf den Klassenverbleib erhielt. Denn es war ein Spiel gewesen, das aus Sicht des Tabellenführers ziemlich schleppend anlief. Die Bayern hatten dabei mit Boateng statt Mats Hummels in der Innenverteidigung und mit Serge Gnabry statt Javier Martínez (Kniebeschwerden) wenig überraschend die deutlich höheren Spielanteile. Mehr Pass- und Bewegungstempo, wie von Kovac nach dem vorangegangenen 1:1 in Nürnberg gefordert, zeigten die Münchner allerdings nur teilweise. Und auch die Ordnung in der Defensive ließ zuweilen zu wünschen übrig, wie zu Beginn, als Genki Haraguchi erstaunlich frei zum Kopfball kam, das Tor aber verfehlte.

Jene Schärfe, die Kovac für die verbleibenden drei Ligaspiele eingefordert hatte, war auch in der Offensive zunächst nur bedingt zu erkennen. Erst bei Kingsley Comans Kopfball nach Kimmichs Flanke kamen die Bayern der Führung wirklich nahe, Hannovers Schlussmann Michael Esser konnte aber parieren (11.). Weitere Annäherungen durch Lewandowski, Gnabry und Müller folgten. Doch Esprit und Kreativität strahlten die Münchner weiterhin nicht wirklich aus.

In Führung gingen sie dennoch nach einer knappen halben Stunde, als Kimmich von rechts flankte und Lewandowski ungestört per Kopf zu seinem 22. Saisontor vollendete. Und als Goretzka kurz vor der Pause nach weiteren Chancen von Müller und Boateng mit einem präzisen Distanzschuss auf 2:0 erhöhte, schien die Vorentscheidung bereits gefallen. Diese brachte auch ein wenig Spielfreude zum Vorschein, die die Münchner in Nürnberg noch gänzlich vermissen gelassen hatten. Goretzka, Coman und nochmals Goretzka (Latte) stockten die Torschussbilanz noch vor der Pause auf ein Dutzend auf, verpassten aber jeweils das 3:0. "Wenn du mit 4:0 in die Halbzeit gehst, hast du Ruhe", monierte Kovac die Nachlässigkeiten im Abschluss.

Was zu Beginn der zweiten Halbzeit folgte, lieferte einen weiteren Debattenbeitrag über den Sinn und Unsinn der Handspielauslegung. Bei Linton Mainas Flanke hatte sich Boateng abgedreht und den Arm sogar an den Körper herangezogen, den Ball aber noch an den Arm bekommen. Der aus Köln alarmierte Schiedsrichter Christian Dingert entschied nach eigener Ansicht der Videobilder zum Entsetzen der Münchner auf Strafstoß. "Aus heiterem Himmel passiert dann etwas, was in der heutigen Zeit Elfmeter ist, aber kein Elfmeter war", sagte Kovac.

Und als Hannover kurz nach dem 2:1 erneut aufs Tor zusteuerte, erinnerte das rasch wieder an jene Instabilität, mit der die Bayern in dieser Saison schon häufiger auffällig geworden waren. Dass es beim kurzen Aufbegehren des Tabellenletzten blieb, lag auch an Jonathas' Platzverweis. Den zwischenzeitlichen Offensivschwung aus der ersten Halbzeit entfalteten die Bayern aber trotz ihrer Überzahl nicht mehr. Ziemlich statisch und ideenlos belagerten sie Hannovers Strafraum, nennenswerte Chancen stellten sich jedoch kaum ein, einmal abgesehen von Ribérys hübschem 3:1 nach Comans Zuspiel. Ribéry ist übrigens 36 Jahre alt.

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