Champions-League-Achtelfinale:Der BVB feiert ein Sprintsolo und die neue Arbeitsmoral

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Am Ende auch zu schnell für Kepa Arrizabalaga: Karim Adeyemi sprintet über den ganzen Rasen und überwindet am Ende den Chelsea-Torwart. (Foto: Ina Fassbender/AFP)

Nach dem siebten Sieg in Serie fragt sich das Fußball-Land, wie Borussia Dortmund sein Mentalitätsdefizit überwunden hat. Belege liefern beim 1:0 gegen Chelsea eine Rettungstat auf der Torlinie - und der spektakuläre Treffer.

Von Ulrich Hartmann

Vor fünf Jahren hat bei Borussia Dortmund mal Usain Bolt mittrainiert. Der Jamaikaner wollte damals wirklich Fußballprofi werden, wenn auch nicht zwingend beim BVB. Der schnellste Mann der Welt hatte bei seinem Weltrekord über 100 Meter 2009 ja eine Spitzengeschwindigkeit von 44,72 Kilometern pro Stunde erreicht, solch einem Tempo waren seine fußballerischen Fähigkeiten allerdings nicht ebenbürtig. Bolt lief nicht nur jedem Gegenspieler davon, sondern auch jedem Ball. Der BVB hat ihn nicht verpflichtet.

Verpflichtet haben die Dortmunder hingegen im vergangenen Sommer Karim Adeyemi. Der 21 Jahre alte Münchner kam für geschätzte 30 Millionen Euro von RB Salzburg. Vorvergangenen Samstag, beim 5:1-Sieg gegen Freiburg, wurde ein Sprint von Adeyemi mit 36,7 km/h gemessen. So schnell war in der Bundesliga noch nie ein Spieler geblitzt worden, und im Gegensatz zu Usain Bolt kann Adeyemi bei diesem Tempo sogar einen Ball mitführen. Dies demonstrierte er nun beeindruckend im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen den FC Chelsea, als er in der 63. Minute nach einem famosen Solo den 1:0-Siegtreffer für Dortmund erzielte.

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Adeyemi brachte den Ball nach einer abgewehrten Ecke für Chelsea noch in der eigenen Spielhälfte unter Kontrolle, rannte damit in die nahezu verwaiste gegnerische Hälfte hinein, er legte mit dem Ball am Fuß 65 Meter in 8,2 Sekunden zurück, überlief währenddessen Chelseas 120-Millionen-Euro-Einkauf, den argentinischen Weltmeister Enzo Fernandez, und umkurvte abschließend den spanischen Torwart Kepa Arrizabalaga, bevor er den Ball aus spitzem Winkel einschob. Das Stadion tobte. Wenn Usain Bolt den Treffer im Internet sieht, wird er sich vielleicht noch mal in Dortmund melden.

Für Adeyemi war es im dritten Einsatz nacheinander der dritte Treffer. Der Flügelflitzer hat relevanten Anteil an der jüngsten Sieben-Siege-Serie der Dortmunder in diesem noch jungen Jahr. Er hat beim BVB aber ein bisschen Eingewöhnungszeit benötigt, in seinen ersten 20 Pflichtspielen hatte er gerade mal zwei Tore geschossen und phasenweise ein wenig orientierungslos gewirkt.

"Neues Jahr, neues Glück", sagt Adeyemi über seine Entwicklung

"Wir haben in der Winterpause ein paar Dinge mit Karim besprochen", sagt Trainer Edin Terzic, "Karim hat ein bisschen was in seinem Leben verändert." Details verriet Terzic zwar keine, aber man darf sich vorstellen, dass dieser 21 Jahre junge Bursche sein Fußballerleben jetzt ein bisschen fokussierter gestaltet. Die erste Zeit in Dortmund sei nicht einfach gewesen für Adeyemi, sagt Terzic, "das BVB-Trikot ist ein bisschen schwerer als das Salzburger". Man habe Adeyemi im Training dann wiederholt vor Eins-gegen-Eins-Aufgaben gestellt, und so langsam wird er beim Lösen der Aufgaben besser. Manchmal ist Fußball vielleicht auch nur wie Mathe lernen.

Wenn man Adeyemi nach seiner fußballerischen Entpuppung in Dortmund fragt, sagt er zunächst grinsend nur: "Neues Jahr, neues Glück." Man habe ein gutes Trainingslager absolviert, fügt er hinzu, "wir haben viel geredet und sind näher zusammengerückt". Die Erfolge tun jetzt ihr Übriges. Fünf Siege in der Bundesliga, einer im DFB-Pokal und nun dieses 1:0 gegen Chelsea, das sorgt in Dortmund für Ausgelassenheit. Unter den 81 000 im Stadion verbreitete sich Massenheiterkeit.

Wie hat Dortmund die Wankelmütigkeit verloren?

Daran wollen sich die Dortmunder weiter berauschen. Gegen Hertha BSC am Sonntag beabsichtigen sie den Kontakt zum Liga-Tabellenführer FC Bayern zu wahren, im Rückspiel am 7. März wollen sie in London ins Viertelfinale der Champions League einziehen. Plötzlich erscheinen Ziele greifbar, die man dem vor der Winterpause noch so wankelmütigen Kader kaum zugetraut hätte. Die Mannschaft schien ihre wiederkehrenden Mentalitätsdefizite niemals loszuwerden. Jetzt fragt sich Fußball-Deutschland: Wie haben sie das gemacht?

Zu dieser Frage gibt es mehrere Erklärungsansätze. Ein Satz von Trainer Terzic klingt eindrücklich, wenn er nämlich beschreibt, wie man sich im Winter die Videos vieler Gegentore und Abwehrszenen immer wieder angeschaut habe - mit der Erkenntnis: "So wollen wir nicht Fußball spielen!" Die Genesung einiger verletzter Spieler und eine insgesamt verbesserte Arbeitsmoral wirkten schließlich Wunder.

Knapp: Emre Can kratzt nach einer Parade des erneut starken BVB-Torhüters Gregor Kobel den Ball von der Linie. (Foto: Thilo Schmuelgen/Reuters)

"Wir kämpfen jetzt als Mannschaft", sagt mit Betonung auf 'Mannschaft' der defensive Mittelfeldspieler Emre Can. Er hatte gegen Chelsea in der Schlussphase einen Ball von der Torlinie gekratzt und damit den Sieg gerettet. "Wir haben gezeigt, dass wir als Mannschaft aufeinander aufpassen", sagt Terzic in einem pädagogischen Duktus, der ihn auch als Vertrauenslehrer qualifizieren würde. "Wir reden extrem viel miteinander und sind füreinander da", sagt auch Can in einem Tonfall, als würden im Training vor allem Stuhlkreise gebildet.

"Wir haben noch nichts erreicht", sagt Terzic

Doch mit vertrauensbildenden Maßnahmen allein gewinnt man nicht gegen den Eine-Milliarde-Euro-Kader von Chelsea. Dazu braucht es - neben ein wenig Matchglück - einen starken Torwart wie Gregor Kobel, Kämpfertypen wie Marius Wolf und Emre Can, Kreative wie Jude Bellingham und Julian Brandt und nicht zuletzt einen Torschützen namens Adeyemi.

Bevor die internationalen Reporter aus dem Bälle-Paradies Dortmund zurück in die angeschlossenen Funkhäuser gaben, formulierte Edin Terzic aber noch einen Appell: "Wir haben noch nichts erreicht und noch viel Arbeit vor uns. Über Lob freuen wir uns dann gerne im Frühjahr."

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