Borussia Dortmund:"Wir sind eine Mannschaft, die nicht verteidigen kann"

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Fassungslos: Marco Reus und seine Teamkollegen (Foto: Pool via REUTERS)

Die 1:5-Pleite gegen den VfB Stuttgart bringt beim BVB nicht nur Trainer Lucien Favre in Verlegenheit: Die Dortmunder Defensive wird vorgeführt.

Von Milan Pavlovic, Dortmund/München

Ende Januar 2021, hieß es am Samstagmorgen noch in den Ruhr Nachrichten, wollen die Verantwortlichen von Borussia Dortmund mit Lucien Favre über eine Vertragsverlängerung reden. Seit Samstagnachmittag ist es kaum vorstellbar, dass es diesen Termin mit dem Trainer noch geben wird. Favres BVB leistete sich nicht bloß die dritte Heimniederlage in Serie, das 1:5 gegen Aufsteiger Stuttgart war eine Dokumentation Dortmunder Schwächen, wie man sie schmerzhafter kaum zusammenschneiden kann.

Innenverteidiger Mats Hummels schaffte es, nur wenige Minuten nach dem Schlusspfiff sprachlich geschliffen zu schildern, was geschehen war. Er brachte im Sky-Interview den Nachmittag - und womöglich noch mehr - auf den Punkt: "Wir haben uns im Minutentakt ins eigene Fleisch geschnitten. Stuttgart hat das hervorragend gemacht, sie haben einen guten Plan gehabt." Offenbar im Gegensatz zum BVB. Hummels fuhr fort: Man spiele viel zu riskant in Situationen, in denen man kaum etwas gewinnen, aber umso mehr verlieren könne. "Es darum, Automatismen im Spiel zu haben, konzentriert zu sein und sinnvollen Fußball zu spielen. Sinnvoll heißt, Risiko da einzugehen, wo es angebracht ist. Oft können wir Dinge durch individuelle Klasse kompensieren, heute ging das gnadenlos schief... Es war einfach zu viel Geschnicke."

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Hummels redete wie ein Doktor, der eine verunglückte Operation nur wenige Minuten nach dem Herzstillstand des Patienten analysiert - dabei aber die bittere Pointe übergeht, dass er bei der OP selbst das Skalpell geführt hat.

Dann kam Marco Reus und sagte: "Die Stuttgarter haben alles gezeigt, was wir uns vorgenommen hatten. Wenn wir nicht aggressiv im Anlaufverhalten sind und die Zweikämpfe nicht annehmen, dann laufen wir nur hinterher." Fast noch haarsträubender war sein Fazit: "Wir sind keine Mannschaft, die gut verteidigen kann, das muss man ganz klar sagen."

Mit diesem Wissen titelreifen Fußball zu spielen, ist unmöglich. Das weiß natürlich auch der Trainer. "Das war eine Katastrophe heute", sagte der Schweizer später im rollenden Favre-Deutsch, bevor er sich auf ein Detail versteifte: "Wir waren schlecht in der Balleroberung ... dann hast du ein Problem. Es war für alle schmerzhaft", vor allem, als die Gäste ungebremst ihre schnellen Konter vortragen durften. "Am Ende war es ein Boulevard für Stuttgart", umschrieb Favre die Freiräume, die sich dem VfB in der Schlussphase boten.

Zehn Minuten des Grauens

Der BVB, mit zwei Teenagern (Reyna und Bellingham) und zwei 20-Jährigen (Sancho und Morey) in der Startelf, hatte von Beginn an große Probleme mit der Aggressivität und dem variablen Positionsspiel der Stuttgarter, die als Aufsteiger auswärts ungeschlagen sind. Der VfB brachte den BVB rasch serienweise in Verlegenheit, angefangen bei Schüssen von Mangala (2.) und Endo (3.), der Torwart Bürki forderte, sowie von Sosa, der Bürki zu einer Flugeinlage zwang (7.), und von Coulibaly, der sich geschickt von Hummels gelöst hatte (13.).

Das überfällige Führungstor für die frechen Gäste fiel in der 26. Minute durch einen Foulelfmeter, über dessen Berechtigung ausnahmsweise niemand auch nur eine Nanosekunde diskutieren musste: Emre Can senste den jungen Stuttgarter Mateo Klimowicz bei einem sehr optimistischen Rettungsversuch um - vielleicht auch deshalb, weil dem Dortmunder wenige Minuten zuvor im Mittelfeld eine nahezu identische hochkomplizierte Grätsche auf brillante Weise gelungen war. Diesmal nicht. Silas Wamangituka, der am Vorwochenende beim 2:1-Sieg in Bremen als Spaziergänger vor dem leeren Tor provoziert hatte, verzichtete auf Mätzchen und verwandelte sicher zum 1:0 für das sehr reif auftretende Team von Pellegrino Matarazzo.

Dortmund hingegen spielte weiter ohne Tempo, ohne Ideen, ohne Esprit. Und ohne Zuspitzung, denn in der Sturmmitte wurde der verletzt in Katar weilende Erling Haaland schmerzlich vermisst. Weder Reus noch Sancho noch Reyna konnten die Lücke schließen. Und in der Hintermannschaft entstanden Krater, groß wie der Grand Canyon. Stuttgart wusste sie aber zunächst nicht zu nutzen, etwa nach Coulibalys dreistem Dribbling (30.), als Klimowicz den Ball nach einer ungeordneten Parade von Bürki über das Tor jagte.

Zur Halbzeit steht es schmeichelhaft 1:1 - dann beginnt die Demontage

Und dann sah es kurz so aus, als würden doch die Gesetzmäßigkeiten des Fußballs greifen. Soeben hatte Klimowicz die nächste VfB-Chance vertan (38.), da löffelte Guerreiro einen 35-Meter-Pass fußgerecht in den Lauf des Youngsters Reyna, der mit links den Ball stoppte und ihn in derselben Bewegung mit dem rechten Außenrist ins entfernte Toreck zauberte, zu einem schmeichelhaften Halbzeit-1:1, wie man es nur selten sieht.

Doch Lucien Favre verzichtete weiterhin darauf zu reagieren und einen richtigen Torjäger zu bringen, zum Beispiel den 16 Jahre alten Youssoufa Moukoko. Stuttgart dagegen spielte weiter gut; nein: überragend, weil der VfB jetzt nicht bloß presste und kombinierte, sondern nun auch noch seine Chancen nutzte. Wamangikuta schloss eine weitere flüssige Ballstafette zur 2:1-Führung ab (53.), Förster zeigte beim 3:1 (60.) nach einem Pass von Sosa im Abschluss jene Coolness, die ihm neulich bei der unglücklichen Stuttgarter Heimniederlage gegen den FC Bayern noch abgegangen war. Und wenige Sekunden nachdem Klimowicz an den Innenpfosten geschossen hatte, beendete Coulibaly die zehn Dortmunder Schreckensminuten, indem er Mats Hummels versägte und den Ball an den Innenpfosten und ins Netz setzte (63.). In der Nachspielzeit musste Bürki noch ein fünftes Mal hinter sich greifen.

Sollte Favres Vertrag nicht verlängert werden, könnte dieses Spiel als Beweis herangezogen werden, warum es so kam. Der Gesprächstermin würde dann schon im Dezember anstehen.

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