BVB gegen Bayern:Junger Rausch gegen alten Kater

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Paco Alcacer bejubelt den entscheidenden Treffer gegen den FC Bayern. (Foto: dpa)
  • Trotz ihrer besten Saisonleistung verliert der FC Bayern verdient gegen Borussia Dortmund.
  • Der jugendliche Kader garantiert Geschwindigkeit - schon bei der Weltmeisterschaft in Russland war das die Garantie für Erfolg.
  • Der FC Bayern kann mit seinem schlachtenerfahrenen Kader nur eine Halbzeit lang dominieren.

Von Philipp Selldorf, Dortmund

Man konnte es für einen Versuch der Anbahnung halten, als Hasan Salihamidzic den Arm um Jadon Sancho legte und ihm ein paar Dinge ins Ohr sagte, die sich unschwer als Komplimente identifizieren ließen. Sancho bedankte sich brav und schickte Salihamidzic einen verwunderten Blick hinterher. Vielleicht war er beeindruckt, dass ihm ein hoher Vertreter des FC Bayern geschmeichelt hatte, möglicherweise fragte er sich aber auch bloß: Wer war dieser Mensch?

Hasan "Brazzo" Salihamidzic, dies zur Information des englischen Angreifers von Borussia Dortmund, ist der Sportdirektor des FC Bayern, was auch daran zu erkennen war, dass er nach Dortmunds 3:2-Sieg eine dem königlich-bayrischen Anspruch entsprechende, also angemessen bornierte Sicht der Dinge vorbrachte. Seiner Auslegung zufolge hatten die Münchner vor allem deshalb verloren, weil sie es versäumt hatten, in der ersten Halbzeit höher als 1:0 zu führen ("Wir hätten natürlich viel mehr Tore schießen müssen"), und weil außerdem der Schiedsrichter mit einem Elfmeterpfiff in die Quere gekommen war ("hatte heute nicht seinen besten Tag"). Die Dortmunder Tore, die aus der Münchner 2:1-Führung einen Rückstand machten, deutete er nicht als Zeugnisse eines Qualitätsunterschieds, sondern als banales Versehen: "Wir haben uns auskontern lassen, das darf natürlich nicht passieren."

Der Rest der Welt dürfte es mehrheitlich anders gesehen haben: Zum Beispiel einen Schiedsrichter Manuel Gräfe, der inmitten der vielen Stars selbst einer war, so gelassen und souverän, wie er dieses herrlich wogende und schäumende, riesengroße Spiel beaufsichtigte. Und einen FC Bayern, der keineswegs aufgrund von punktuellen taktischen Indisponiertheiten von den Dortmunder Blitzangriffen zerzaust wurde. Sondern infolge einer in wesentlichen Elementen grundlegenden Unterlegenheit, die manchmal Momente von Ohnmacht hervorbrachte. Das wurde auch durch die Unfähigkeit der Bayern illustriert, das Kapital zu nutzen, das ihnen die Dramaturgie der Partie bot. Zweimal haben sie geführt, zweimal mussten sie ihren Vorteil wieder preisgeben. Und am Ende war genau dies ein Ausdruck des Gegensatzes, der sich zwischen den beiden Großmächten der Liga derzeit auftut: In Dortmund blüht ein Klasseteam heran, in München scheint ein ebensolches zu verwelken.

Das 1:1 durch Marco Reus' Foulelfmeter (dessen Berechtigung der Verursacher Manuel Neuer nach einigem Hadern anerkannte) hatten die Münchner gleich darauf noch durch den nächsten Führungstreffer beantwortet (Robert Lewandowski, 52. Minute), ein Tor, das einem spöttischen Kleinkunst-Zauberstück glich. Es sah wie der zynische Gegenschlag des alten Meisters aus, die Fortsetzung dessen, was sie in der ersten Halbzeit geboten hatten. Zur Pause hielt man die Münchner noch für die ewigen Spaßverderber, die sie all die letzten Jahre gewesen waren: eine Mannschaft, die imstande ist, genau dann zuzuschlagen, wenn es nötig ist und den Gegner am empfindlichsten trifft. Sie strahlte Kälte, Routine und Unbarmherzigkeit aus, ihre 1:0-Führung, ebenfalls durch Lewandowski (26.) trug Züge einer eisernen Wahrheit. Und wer hatte eigentlich gesagt, Franck Ribéry sei am Ende seiner Tage angelangt? Im ständig wiederkehrenden Duell mit seinem 17 Jahre jüngeren BVB-Kollegen Sancho musste man diese Behauptung für eine dieser Falschmeldungen halten, mit denen die Bayern immerzu belästigt werden.

"Bayern war viel besser als wir. Sie haben das Spiel beherrscht. So stark wie in diesen 30 Minuten habe ich sie bisher in der Saison nicht gesehen", sagte später der Dortmunder Trainer Lucien Favre. Dieses Lob hatte Favre absolut ehrlich gemeint, trotzdem hatte es für die Münchner einen unangenehmen Klang, denn es war untrennbar mit einer weiteren Erkenntnis verbunden, die Favre aus der ersten Hälfte gewonnen hatte. Im franko-helvetischen O-Ton: "Sie konnten nicht weitermachen dieses Tempo, weil es war unmöglich." Namentlich Ribéry ("Er war verrückt bei Balleroberung") ließ ihn das glauben, und der Verlauf der zweiten Halbzeit mit ihren wechselnden Pointen zugunsten des BVB bestätigte seine Prophezeiung.

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Dieser 3:2-Sieg sei "nicht unlogisch" gewesen, stellte Favre sachlich fest, und genauso war es, wenngleich es dazu erst mal der Auswechslungen von Mario Götze und Julian Weigl bedurfte. Den BVB der ersten Hälfte beeinflussten die beiden wie zwei Blockaden im System, Mo Dahoud und Paco Alcácer sorgten später für eine Beschleunigung mit explosiver Wirkung. Niko Kovac hingegen hatte keinen Trumpf in der Hinterhand. Die Bank als entscheidender Bayern-Bonus? Das war einmal.

Tempo ist 2018 Voraussetzung und Bedingung für Spitzenfußball. Der jugendliche BVB-Kader garantiert Höchsttempo in allen Mannschaftsteilen, vom Außenverteidiger Hakimi über Bruun-Larsen, Sancho, Reus bis zum Stürmer Alcácer. An seinem Tempo hat sich der BVB berauscht wie an einer bewusstseinserweiternden Droge. Der Münchner Kader dagegen verfügt nicht mehr über die Sicherheiten, einem Gegner standzuhalten, der all die alten Granden permanent mit hoher Geschwindigkeit traktiert, daran ging das Spiel der Bayern zugrunde. Sie haben nicht aufgehört, sich zu wehren, aber es sah aus wie der verzweifelte Widerstand eines alternden Champions. "Bayern kann das Tempo nicht halten, wir aber schon", sagte Borussia-Verteidiger Manuel Akanji.

Schon eingangs der Begegnung ließen Jérôme Boateng und Mats Hummels als letzte Posten einer riskant aufrückenden Elf Erinnerungen an den verflixten deutschen Sommer in Watutinki wach werden. Die Lücken zwischen den Verteidigern und die freien Flächen hinter ihnen, das alles hatte man in gleicher Besetzung bereits bei der Weltmeisterschaft gesehen.

Javier Martínez, der Schirmherr der Defensive, fügte in seiner erstarrten Präsenz ein weiteres Problem hinzu. Früher hätten die Bayern Lewandowskis 2:1 zur enervierenden Spielkontrolle genutzt, am Samstag aber brach im Stakkato der Dortmunder Attacken der Notstand über Manuel Neuer herein. "Es hat immer wieder gebrannt. Immer war wer frei", klagte der Torwart. Reus und Alcácer nutzten lediglich zwei der vielen Möglichkeiten.

Auch die Bayern haben sich um dieses großartige Spiel verdient gemacht, beinahe wäre ihnen noch der Ausgleich gelungen (Hackentor Lewandowski, 95. Minute, aberkannt wegen Abseits). Trotzdem war am Samstag mehr denn je das Ächzen einer erschöpften Elf zu spüren, weshalb Hoeneß auch ankündigte, "das Gesicht der Mannschaft" werde sich im nächsten Sommer "ziemlich verändern". Die anschließend ausgesprochenen Gratulationen an den verdienten Sieger waren daher nicht nur fair, sondern auch unvermeidlich. Und nebenbei funktionieren ja auch die alten Reflexe noch. Mit Jadon Sancho sind die Bayern schon ins Gespräch gekommen.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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