Bundestrainer bei der Fußball-EM:Löw, der Unerschütterliche

Lesezeit: 3 min

Schwer verbeult blickt die Nationalmannschaft auf das Halbfinale gegen Frankreich. Den Bundestrainer scheint das erst richtig anzustacheln.

Von Thomas Hummel, Paris

Das Erste, was man von Joachim Löw an diesem Vormittag sah, war ein Lächeln. Es folgte mit fester Stimme ein "Morgen!", dann schenkte er weiteren bekannten Gesichtern einen höflichen Gruß. Joachim Löw war gut gelaunt.

Wie konnte der nur gut gelaunt sein? Wo doch der Untergang des Fußballlandes unmittelbar bevorsteht. In der von ihm selbst anberaumten Pressekonferenz am Montagmorgen in Évian kam er auch gleich zum Punkt. Die 120 Minuten gegen Italien plus 120 Elfmeterschüsse hätten Spuren hinterlassen. "Leider müssen wir heute sagen, dass ein paar Spieler angeschlagen sind." Für Mario Gomez ist die Europameisterschaft vorbei. Sami Khedira falle auf jeden Fall für das Halbfinale aus. Bastian Schweinsteigers Außenbandzerrung im Knie habe sich nach dem Spiel verschlechtert, ob er spielen könnte, sei unsicher. Mats Hummels ist eh gesperrt.

Löw macht den Eindruck des Unangreifbaren

Am Donnerstag geht es in Marseille übrigens gegen den Gastgeber Frankreich, der sich gerade gegen Island in die nötige Turnier-Euphorie geballert hatte. 5:2, schon 4:0 zur Halbzeit. Ein Spaziergang. Keine Verletzten, keine Gesperrten. Und nun? Hat Joachim Löw gute Laune!

Es ist eine spezielle Fähigkeit dieses Bundestrainers, dass ihn in seinem sechsten großen Turnier nichts mehr aus der Bahn werfen kann. Den Makel, mit ihm könne man nichts gewinnen, hat der Mann aus dem Schwarzwald vor zwei Jahren in Brasilien getilgt, seitdem macht er den Eindruck des Unangreifbaren, des Unerschütterlichen, des irgendwie scho au Unbesiegbaren. Und damit dürfte er in diesen Tagen genau der Richtige sein für seine schwer verbeulte Nationalmannschaft.

So schön der dramatische Erfolg mit dem 18. Elfmeter gegen Italien auch war, er wich bald der Erkenntnis, der Preis könnte hoch sein. Schon eine halbe Stunde nach Jonas Hectors Schuss ins Glück sei es ruhig geworden in der Kabine, erzählte Löw. Das Spiel habe "körperlich wie psychisch Spuren hinterlassen". Die Spieler seien nach diesem Abnutzungskampf müde gewesen, denn sie seien "unglaublich viel gelaufen". Um halb sechs Uhr morgens seien sie erst zurückgewesen im Hotel am Genfer See, schlafen gegen sieben Uhr. Der ganze Sonntag eine einzige Erholungsphase.

Dann trudelten die Meldungen aus der Medizinabteilung ein. Gomez Muskelfaserriss, Turnier-Aus. Der Spieler, der 2014 das Turnier wegen Formverlusts verpasste hatte und nun in Frankreich immer wichtiger wurde. Am Sonntag, dem Finaltag, ist sein 31. Geburtstag. Das hätte gepasst, eigentlich. Khedira raus, Schweinsteiger äußerst fraglich. Doch Löw tut so, als wäre das alles kein Problem. "Die Verletzungen sind kein Thema in der Mannschaft, wir werden jetzt deshalb nicht den Kopf in den Sand stecken. Wir haben alle Vertrauen zu den Spielern, die stattdessen kommen."

DFB-Chefscout
:Löw und Siegenthaler wehren sich gegen Kritik

Bundestrainer Löw empfindet Mehmet Scholls Beanstandungen als "äußert negativ". Chefscout Urs Siegenthaler reagiert mit Spott für den ARD-Experten.

Löw legte sich darauf fest, dass Joshua Kimmich weiterhin rechts hinten spielen wird. Benedikt Höwedes dürfte für Mats Hummels innen verteidigen. Sollte der Bundestrainer abermals auf Dreier-Abwehrkette setzen, kommt Shkodran Mustafi dazu. Wahrscheinlicher aber feiern Emre Can oder Julian Weigl ihr EM-Debüt. Der Bundestrainer lobte beide ausführlich. Can dafür, dass er im Training überzeuge. "Er ist sehr wuchtig, körperlich stark, technisch sehr gut. Can würde sicher unserem Spiel guttun" sagte er. Weigl löse die Dinge anders, habe ein sehr geschicktes Positionsspiel und sei unglaublich sicher am Ball.

Mittelfeld der Franzosen ist wuchtig

Diese Ausführungen sprechen eher für Can, denn die Franzosen beeindrucken im Mittelfeld mit Paul Pogba und Blaise Matuidi mit ihrer Wucht und Kraft. Diesen Spielern mit dem feinen Florett zu begegnen, könnte Löw zu gewagt erscheinen. Und vorne? Sind Thomas Müller, Mesut Özil und Julian Draxler wohl gesetzt. Eine Möglichkeit ist, dazu Mario Götze oder als Überraschungsgast Leroy Sané zu bringen. Oder diesem neuen Gebilde Stabilität schenken mit einem zusätzlichen Mittelfeld- oder Abwehrspieler? Die Aufstellung des Halbfinals ist auf jeden Fall eine spannende Angelegenheit.

Die einen Joachim Löw aber nicht aus der Ruhe bringt. Wie denn nun die Favoritenrolle vergeben sei? Löw erklärte, es wäre nun natürlich leicht zu sagen, der Druck laste auf den Franzosen. Wegen der Verletzten, weil der Gegner eingespielt und in Form sei, dazu der Heimvorteil. "Das könnte man jetzt tun, aber spielt nachher in den 90 Minuten oder 120 Minuten keine Rolle." Löw, der Unerschütterliche. Der weiterhin strahlend gute Laune hatte. Ob er nicht Bedenken habe wegen der plötzlichen Euphorie in Frankreich und des bekannt feurigen Publikums in Marseille? "Super, wenn es so ist", sagte er. Das sei die gewisse Zusatzmotivation. "In Brasilien waren 200 Millionen hinter der Mannschaft gestanden, da sind wir auch gut klargekommen."

Inzwischen erahnte man ein Blitzen in seinen Augen. Es wirkte fast so, als würden all die Widrigkeiten den deutschen Weltmeister-Trainer nun so richtig anstacheln.

© SZ.de/hum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Fußball-EM
:Khedira fällt gegen Frankreich aus

Die Muskelprobleme im Oberschenkel sind für einen Einsatz im Halbfinale zu groß. Ob Schweinsteiger rechtzeitig fit wird, ist fraglich.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: