Bundesliga: Werder Bremen:Niemand ist mehr heilig

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Mit dem üblichen Krisen-Bewältigungsprogramm ist es nicht mehr getan: Die Probleme von Werder Bremen gehen tiefer als früher.

Jörg Marwedel

Auf dem Weg zum Weserstadion knattern immer noch einige Werder-Fahnen im Wind, die größte auf dem Dach eines Bremer Bürgerhauses am Ostertordeich. Die Jogger an der Weser haben oft Werder-Hosen an oder tragen zumindest ein Stirnband im grünen Farbton von Werder. Auch an vielen Werbeplakaten kommt man derzeit vorbei. Sie kündigen die Eröffnung der "Neuen Werder-Fan-Welt" am 18. November an.

Enttäuscht: Aaron Hunt, Per Mertesacker and Marko Arnautovic nach der Niederlage gegen Twente Enschede. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Ein zweistöckiger Riesenladen, wo man alles kaufen kann, was der Klub gerne zu Geld machen will. Denn natürlich ist Bremen auch dann eine grün-weiße Stadt, wenn es dem SV Werder mal nicht so gut geht. Wie jetzt nämlich: Nach dem 0:6 in Stuttgart, der höchsten Bundesliga-Niederlage seit 23 Jahren, liegt die jahrelange Nummer eins des Nordens auf Tabellenplatz elf. Dazu ist man schon im DFB-Pokal ausgeschieden und nächste Woche wohl auch in der Champions League.

Doch die neue Werder-Welt wird wohl nicht mehr so sein wie jene zuvor. Vor dem Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt gibt es im Internet längst Debatten, die auch vor dem bislang sakrosankten Trainer Thomas Schaaf nicht haltmachen. "Jetzt reicht es TS", poltert einer, er ist nicht der einzige. Auch ein Mann vor dem alten Werder-Shop am Weserstadion sagt: "Das ist eine andere Krise als die früheren, wo man immer wusste, da kommen alle zusammen wieder raus."

Es sei nicht so ein Tief, das früher von Geschäftsführer Klaus Allofs gern als "Krischen" oder "Mini-Krise" verniedlicht wurde. Das Weserstadion ist wegen des Umbaus noch immer eine Baustelle. Allofs wünscht sich, das bald alles fertig ist. Er könne diesen nicht besonders originellen Satz "Werder ist eine Baustelle" nicht mehr lesen.

Thomas Schaaf, im zwölften Jahr Chefcoach und zuletzt häufig als dünnhäutiger, einsilbiger Griesgram dargestellt, versucht gegenzusteuern. Fast 40 Minuten hat er sich am Donnerstag geduldig den Fragen der Journalisten gestellt und "viele Probleme" eingeräumt. Er selbst sei "einer der Ungeduldigsten. Aber wir können nicht Schnipp machen und alles läuft wieder"; das sei "Wunschdenken, aber keine Realität".

Natürlich ist auch diesmal Klaus Allofs dabei, als könne man dieses Duo niemals auseinanderbrechen. Und auch der Aufsichtsratsvorsitzende Willi Lemke hat sich längst gemeldet wie ein Feuerwehrchef. Man stehe auch nach dem 0:6 beim VfB Stuttgart, diesem "furchtbaren, schrecklichen, nicht anzusehenden Spiel" an der Seite der sportlichen Führung: "Ohne wenn und aber."

Doch man ahnt, dass es diesmal nicht getan ist mit dem üblichen Krisen-Bewältigungsprogramm á la Werder. Mehr Training und etliche Video-Analysen, die den Profis ihr Versagen vorhalten, reichen nicht, auch wenn Thomas Schaaf glaubt, sie hätten es nun endlich "besser aufgenommen". Es ist auch nicht damit getan, die Vertragsgespräche einzufrieren, weil das ein "falsches Signal" wäre, wie Allofs sagt. Und es geht nicht nur darum, dass Offensivspieler wie Marko Marin und Aaron Hunt zu wenig nach hinten arbeiten und so viele Gegentore mit eingeleitet haben. Oder dass Defensivspieler wie Sebastian Prödl oder Mikael Silvestre allzu oft falsch stehen.

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Es geht tiefer, nämlich um die Einschätzung des "Potentials", von dem Allofs und Schaaf bislang immer überzeugt waren. Nun überlegt man, ob die Mannschaft stark genug ist für die Rückrunde. Man denkt darüber nach, in der Winterpause neue Profis zu verpflichten und mit dem Umbau des Teams alsbald zu beginnen. Es geht also darum, dass dieses einst so treffsichere Duo zuletzt zu häufig geirrt hat bei den Verpflichtungen von neuen Spielern. Davon abgesehen, dass der eigene Nachwuchs mit Ausnahme von Philipp Bargfrede und Ersatzkeeper Sebastian Mielitz zuletzt wenig hervorbracht hat.

Nicht mehr die unumstrittene Person an der Weser: Auch Trainer Thomas Schaaf gerät in die Kritik. (Foto: dapd)

Es geht um Profis, die offenbar kaum erreichbar sind wie etwa Marko Arnautovic, dessen Aussetzern auf und neben dem Rasen laut Allofs "eine viel zu große Bedeutung beigemessen" wird. Es geht um den Teamgeist, über den etwa Marin sich "lieber nicht äußern" will. Es gibt mindestens zwei Gruppen - eine alte und eine junge. Nie gehen sie zusammen aus. Vor allem aber fehlt inzwischen jener Profi, der das Spiel lenkt wie einst Johan Micoud oder Diego, einer, der auch eine schlechte Partie noch rettet mit einer ungewöhnlichen Aktion wie Mesut Özil.

Es gibt neben dem alternden Kapitän Torsten Frings oder dem zuletzt meist verletzten Claudio Pizarro (der auch gegen Frankfurt fehlt wie Naldo, Fritz und Borowski) kaum noch jemanden, der sich aufbäumt. Es fehlen, so hat der frühere Werder-Regisseur Andreas Herzog beobachtet, "vielleicht die entsprechenden Typen im Team". Und vielleicht nicht nur im Team, sondern auch im Klub.

Der Weser-Kurier, die örtliche Tageszeitung, analysiert, bei Werder gebe es viele verdiente Leute, aber keine "Impulse von außen" mehr. Dass die Profis nun 10000 Euro spendieren für den neuen Fansaal in der Ostkurve, wird gut ankommen. Noch wichtiger aber wäre, wenn sie den Fans gegen Frankfurt für das Eintrittsgeld zumindest ein paar Kombinationen zeigen, wie früher.

Und vor allem das Bild eines Teams abgeben. Noch scheint Thomas Schaaf die neue Herausforderung anzunehmen. Die Frage aber bleibt: Wann ist es so weit, dass der Bodenständige, für den sich 2009 schon der VfL Wolfsburg interessierte, den Zeitpunkt für gekommen sieht, Werder Bremen zu verlassen.

© SZ vom 13.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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