Manuel Neuer verlässt Schalke:Angst vor den Freunden

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Manuel Neuer erklärt tränenreich den Abschied von seiner Liebe Schalke 04, zeigt Verständnis für die Wut der Fans - und rechnet mit bösen Aktionen am Wochenende.

Ulrich Hartmann, Gelsenkirchen

Am 1. März 1991 ist Manuel Neuer Vereinsmitglied beim FC Schalke 04 geworden. Da war er vier Jahre alt. 20 Jahre, einen Monat und 20 Tage später hat er nun angekündigt, den Verein seines Herzens zu verlassen. Von einem ganzen Leben mit und für Schalke 04 kündeten am Mittwoch die Tränen, die der 25-jährige Nationaltorwart im Bauch der Gelsenkirchener Arena vergoss, als er berichten wollte, wie er maßgeblichen Vertretern der Schalker Fanszene seinen nun auch offiziell bevorstehenden Wechsel zum FC Bayern München erklärt hat. "Das war nicht leicht für die", sagte Neuer noch einigermaßen gefasst, "aber es war auch nicht leicht für mich." Der Rest ging in Tränen unter.

Bald Kollegen? Manuel Neuer und Thomas Müller vom FC Bayern. (Foto: dapd)

Manuel Neuer saß vor einem gewaltigen Publikum aus Reportern, Fotografen und Kameraleuten und hat sachlich und professionell erklärt, warum er Schalke nun verlassen will. "Ich möchte einen großen Schritt in meiner Karriere machen", sagte er, "ich will immer auf dem höchsten Niveau spielen."

Deshalb werde er seinen im Juni 2012 auslaufenden Vertrag nicht verlängern. Mehr hat Neuer dazu nicht gesagt, aber diese Entscheidung bedeutet mit sehr, sehr großer Wahrscheinlichkeit, dass er in diesem Sommer zum FC Bayern München wechseln wird; denn erstens hat Schalkes Manager Horst Heldt für Neuer bloß eine einzige Anfrage bekommen, von Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge. Und zweitens könnte Schalke im Sommer 2012 keine Ablöse mehr für Neuer erzielen.

Rummenigge und Heldt, der Neuer vorsorglich als "besten Torwart der Welt" bezeichnete, dürften sich also demnächst auf eine Ablöse irgendwo im Bereich um 20 Millionen Euro einigen, und dann wird Neuer wahrscheinlich einen Vierjahresvertrag in München unterschreiben und vom Juli an jenes rote Trikot des FC Bayern tragen, in dem ihn weder die Schalker Anhänger noch Teile der Münchener Fan-Szene sehen wollen.

Am Mittwoch saß aber nicht nur der Torwart, sondern auch der Mensch Manuel Neuer anlässlich seines bevorstehenden Abschieds auf dem Podium. Und dieser Mensch sprach im Wechsel mit dem um Sachlichkeit bemühten Torwart immer wieder mit brüchiger Stimme über die Gefühle, die ihn mit Schalke verbinden und die ihn beim Gedanken an das Adieu überkommen.

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Nach langem Gezerre ist der Wechsel perfekt: Manuel Neuer spielt in Zukunft für den FC Bayern München. Er tritt die Nachfolger großer Namen an, aber auch von "Althans", Tanne Tarnat und Arpad Fazekas.

Eine Zeitreise durch das Bayern-Tor

Neuer hat von der F-Jugend an alle Mannschaften des Klubs durchlaufen. Als Kind und Jugendlicher hat er im Fanblock gestanden und seinen Helden zugejubelt; er gehörte zum Fanklub "Buerschenschaft". Seit 2006 ist er Stammtorwart der Bundesliga-Mannschaft. Neuer musste am Mittwoch nicht weinen, als er erzählt hat, wie er Heldt und Trainer Ralf Rangnick mitteilte, dass er seinen Vertrag nicht verlängert; aber er verlor seine Stimme jedes Mal, wenn es um die Schalker Fans ging.

"Als ich mit zehn Jahren im Fanblock gestanden habe, hätte ich das auch nicht verstanden", sagt er. Neuer weiß genau, wie das Publikum denkt und fühlt und er erinnert sich, dass er einst auch ein Fan war, der seinen Helden absolute Treue zum FC Schalke 04 abverlangte. "Doch jetzt bin ich Profi", sagte er, "und deshalb sehe ich es jetzt anders." Jetzt denkt Neuer an die Karriere, an die Champions League, an die Nationalmannschaft und wohl auch ans Geld. Für den Torwart Neuer macht der Wechsel nach München Sinn. Für den in Gelsenkirchen-Buer geborenen und aufgewachsenen Schalker Jungen ist es ein wehmütiger Abschied.

Als Neuer sich vergangene Woche vor dem Champions-League-Spiel gegen Inter Mailand in der Schalker Arena aufgewärmte, hat die Stadionregie das Lied "Bayern" von den Toten Hosen aus Düsseldorf über die Lautsprecher geschickt. Manuel Neuers Wechsel nach München war da längst irgendwie Allgemeinwissen, und die Schalker Fans auf der Tribüne hinter seinem Tor sangen aus vollem Hals mit, als es im Refrain des Liedes jedes Mal hieß: "Ich würde nie zum FC Bayern München gehen."

Seit diesem Mittwochmittag ist Neuers Fortgang aus Gelsenkirchen nun bestätigt, und nun hat der beliebteste Schalker Spieler Angst vor seinen Freunden. An diesem Samstag empfangen die Schalker den 1. FC Kaiserslautern. Es ist Neuers erstes Spiel, bei dem wirklich alle Zuschauer wissen werden, dass er Schalke verlässt und künftig Bayern-Profi ist. Neuer hat auch deshalb mit wichtigen Fanvertretern gesprochen, um eine mögliche Proteststimmung abzufedern. Trainer Ralf Rangnick sagt: "Ich hätte überhaupt kein Verständnis dafür, wenn es auch nur eine einzige negative Reaktion gegen Manuel gäbe."

Aber wie sollen die Fans reagieren, wenn schon die Stadionregie Bayern- Hasslieder einspielt?

In München haben neulich beim Pokalspiel der Schalker Tausende von Bayern-Fans Zettel in die Höhe gehalten ("Koan Neuer"), mit denen sie Neuers Wechsel gerade deswegen ablehnten, weil er Schalke stets als seine Herzensangelegenheit bezeichnet hat. Das hat Manuel Neuer erschreckt, aber mehr Angst noch als vor der Ablehnung in München hat er momentan vor dem Abschied aus Gelsenkirchen: "Es ist schwerer, wenn man von seiner Familie ausgepfiffen wird als von Fremden."

© SZ vom 21.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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