Bundesliga: Ilkay Gündogan:Der Özil-Faktor

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Nürnbergs türkischstämmiger Senkrechtstarter Ilkay Gündogan wird vom DFB und der Türkei umworben - die Parallelen zu einem deutschen WM-Überflieger sind nicht von der Hand zu weisen.

Christof Kneer

In Nürnberg haben sie in der vergangenen Woche Besuch bekommen, Rainer Adrion war da. Mit professionellem Blick hat sich der Coach der deutschen U21 das Training des Bundesliga-Teams angeschaut, aber das war nicht der Grund, warum er extra aus Stuttgart angereist war. Hinterher hat sich Adrion den Begabtesten aus der Trainingsgruppe geschnappt und ihn zum vertrauten Gespräch gebeten. Er hat dem 19-Jährigen versichert, dass sich seine hohe Veranlagung bis zur U21 herumgesprochen hat, und er hat ihm verraten, dass er ihn erstmals ins Aufgebot der U21 berufen will, die kommende Woche zum EM-Qualifikationsspiel nach Island reist. Und natürlich hat er ihm auch gesagt, dass er keinen Quatsch machen soll.

Nürnbergs Mittelfeldspieler Ilkay Gündogan (li.) wird vom DFB umworben - und von einigen Bundesligaklubs. (Foto: dpa)

Der 19-jährige Ilkay Gündogan ist eine der interessantesten Figuren der Sommerpause, seine Geschichte ist durchaus kurios. In der Geschichte geht es darum, dass ein Spieler, den das Land noch gar nicht so recht wahrgenommen hat, plötzlich umschwärmt wird wie Mesut Özil. Wenn er wollte, könnte Gündogan im Moment für mindestens fünf Mannschaften spielen - für seinen aktuellen Arbeitgeber, den 1.FC Nürnberg, ebenso wie für die Konkurrenzunternehmen aus Leverkusen und Hoffenheim, die unter Aufbietung erstaunlich hoher Summen um ihn werben.

Außerdem kann er wählen zwischen der deutschen Nationalelf, für die er seit Jugendtagen in diversen Nachwuchsteams angetreten ist - und dem türkischen Nationalteam, das ihn mit diskreter Beharrlichkeit für sich zu gewinnen versucht. Das ist auch der Grund, warum der DFB den Trainer Adrion in Nürnberg vorbeigeschickt hat. Die Deutschen haben gerade erst die Perspektivkräfte Joel Matip und Eric Choupo-Moting an Kamerun abtreten müssen, jetzt wollen sie auf keinen Fall noch diesen Mittelfeldspieler verlieren, dessen Anlagen sich auf ein Özil-ähnliches Niveau hochrechnen lassen.

Sammer ist wachsam

"Wir wissen bei Ilkay von deutlichen Abwerbeversuchen", sagt DFB-Sportdirektor Matthias Sammer, in dessen Ressort die Jugendpflege im Verband fällt. Sammer ist wachsam, er weiß aber, dass er im Zweifel mit ungleichen Waffen kämpft. "Es gibt Dinge, die wir nicht machen: Spieler aus taktischen Gründen im A-Team festspielen oder ihnen unrealistische Versprechungen machen."

Über andere Überzeugungsmethoden spricht er lieber gar nicht, aber fest steht, dass hinter den Kulissen noch härter gekämpft wird, seit die Fifa im Mai 2009 beschloss, dass Profis mit mehreren Staatsbürgerschaften unabhängig vom Alter das Nationaltrikot wechseln können - bis sie ein Pflichtspiel in der A-Nationalelf absolviert haben. Die Kameruner haben die WM genutzt, um Matip und Choupo-Moting schnell festzuspielen, wie das im Branchenjargon heißt; die Österreicher haben sogar den FC-Bayern-Teenie David Alaba, damals noch 17, im A-Team debütieren lassen und somit flugs von einem Markt genommen, auf dem sich auch der DFB gerne getummelt hätte.

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Im Fall Gündogan geht das Duell Deutschland vs. Türkei nun in die nächste Runde. Die Türken haben 1998 extra ein Europabüro in Köln installiert, um sich einen Überblick über türkischstämmige Profis in Deutschland, Holland, Skandinavien und der Schweiz zu verschaffen, mit guten Erfolgen, wie die Personalien Altintop, Bastürk und vor allem Nuri Sahin zeigen, dessen Verlust den DFB bis heute schmerzt.

Auch der türkische Fußballverband buhlt um den 19-jährigen Techniker des "Clubs". (Foto: dpa (Archivbild))

Umgekehrt gelang es dem DFB, Özil und Serdar Tasci fürs A-Team einzugemeinden. Özils auffällige WM wurden in den türkischen Zeitungen groß ausgeschlachtet, und aus jedem Artikel tönte mit drei Fragezeichen die Frage: Wie konnte das passieren??? Solche Fragen hört kein Verband gern, was die neuerliche Kampagne erklären könnte, die neben Gündogan angeblich auch auf die deutschen U20-Nationalspieler Mehmet Ekici (ebenfalls Nürnberg) und Taner Yalcin (1.FC Köln) zielt.

Parallelen zu Özil?

Beide Verbände setzen einstweilen auf Nähe und persönliche Begleitung. Kurz bevor Adrion den Nürnbergern Gündogan und auch Ekici seine Wertschätzung hinterbrachte, wurden die beiden beim Club-Testspiel gegen PAOK Saloniki in Schweinfurt von Ahmet Oguz Cetin beobachtet, dem Assistenten des neuen türkischen Nationaltrainers Guus Hiddink. "Schade, dass Özil sich für den falschen Pass entschieden hat", hatte Hiddink bereits während der WM geklagt.

"Natürlich kennen wir all die Begehrlichkeiten", sagt Nürnbergs Manager Martin Bader, dessen Prognose sie beim DFB gerne hören werden. "Ilkay ist in Deutschland geboren, er fühlt sich als Deutscher, und er hat bei Özils WM-Auftritt gerade gesehen, wie gut die Perspektiven für junge Spieler in Deutschland sind." Der Özil-Faktor dürfte dem DFB weiterhelfen, nicht unbedingt dem 1.FC Nürnberg. Sie werden ihr kleines Ass in diesem Jahr nicht mehr gehen lassen, aber im nächsten Sommer werden ihn die Mitarbeiter des türkischen Europabüros wohl in Leverkusen oder Hoffenheim besuchen müssen.

© SZ vom 04.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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