Debakel für Hertha BSC:"Wir müssen uns bei unseren Fans entschuldigen"

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Sechs Gegentore: Trainer Pal Dardai (Mitte) kann seine Spieler direkt nach dem Abpfiff auch nicht trösten. (Foto: Robert Michael/dpa)

0:5 in München, 0:6 in Leipzig: Hertha BSC bezieht schon wieder bei einem Spitzenklub Prügel. Während Investor Lars Windhorst danach "erstmal einen Drink" braucht, ist Manager Fredi Bobic richtig bedient.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Anhänger des Fußballbundesligisten Hertha BSC sind zurzeit nicht zu beneiden. Nicht mal dann, wenn sie am späten Samstagvormittag vom Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen, wo die alte Heimstatt namens "Plumpe" liegt, nach Leipzig aufbrechen, aus Anlass eines Bundesligaspiels. Viele blauweiße Schals und Hemden waren im Intercity-Express zu sehen, und der Schaffner machte sich einen Spaß daraus, auf seine berufsimmanente Floskel - "die Fahrausweise bitte!" - zu verzichten.

"Dass es noch Hertha-Fans gibt ...", sagte der Kontrolleur, jedoch: mit so viel Charme, dass ihm keiner böse war. Oder sein konnte. Im Gegenteil. "Wir schämen uns jede Woche", antwortete ihm ein Herthaner, der an einem Vierertisch saß, mit einem Maß an Selbstironie, das entwaffnend war - aber auch überraschend. Hatte die Hertha nicht zuletzt zwei Siege in Serie erzielt, in Bochum und gegen Fürth? Oh doch, hatte sie. War der punktlose Saisonstart nicht dadurch in Vergessenheit geraten? Doch, war er. Gemessen am Auftritt vom Samstag in Leipzig müssen die beiden Dreier aber wohl unter der Rubrik Strohfeuer eingeordnet werden. Denn die Hertha konnte von Glück sagen, dass sie "nur" mit 0:6 (0:3) verlor gegen diesen ICE namens Leipzig. "Wow! Bin etwas geschockt grad und brauche gleich einen Drink", schrieb Hertha-Investor Lars Windhorst bei Facebook.

"Heute war ein guter Tag für uns", erklärte hingegen RB-Trainer Jesse Marsch, dessen Mannschaft zuvor in der Liga (wie die Hertha) drei von fünf Spielen verloren hatte, aber nun pünktlich zum Champions-League-Duell mit dem FC Brügge (Dienstag, 21 Uhr) Selbstvertrauen beziehen konnte. Den größtmöglichen verbalen Kontrast zum US-Amerikaner lieferte Herthas Stürmer Davie Selke. "Das war ein Scheißtag", sagte Selke nach der Partie bei Sky, ehe er sich bei den Fans entschuldigte und ungefragt eine Art excusatio non petita lieferte. "Fangt mir bloß nicht an mit einer Trainerdiskussion. Wir stehen hinter'm Trainerteam. Das haben wir heute auf dem Platz verzapft. Die Erfahrung vom Pal brauchen wir jetzt auch", beteuerte also Selke.

Die Hertha-Fans singen voller Selbstironie: "Ooooh, wie ist das schööön"

Dass es für die Hertha ein schwieriger Nachmittag werden würde, zeichnete sich von Beginn an ab. Torwart Alexander Schwolow konnte von Glück reden, dass Innenverteidiger Marton Dardai noch per Kopf zur Stelle war, als ihm, Schwolow, eine Fußabwehr vor dem Strafraum so dermaßen missriet, dass der Ball vor den Füßen von Emil Forsberg landete (2.).

Was hernach folgte, war dann weitestgehend ein Monolog der Leipziger, der zwangsläufig Folgen hatte.

Die Spieler von RB Leipzig haben Grund zum Tanzen, die Herthaner eher nicht. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Nur: Die Tore von Christopher Nkunku (16.), Yussuf Poulsen (23.) und Nordi Mukiele (45.+2) waren das eine. Das andere war, wie umstandslos die auf vier Positionen umgebauten Leipziger - unter anderem blieb Stürmer André Silva zunächst auf der Bank - zu diesen Treffern kamen. Sie konnten es sich gar erlauben, großzügig mit Torgelegenheiten umzugehen: Einmal scheiterte Nkunku (29.) allein vor Schwolow, dann wieder schoss Forsberg an die Querlatte (34.), und einem Tor durch Lukas Klostermann blieb die Anerkennung wegen Abseits versagt.

Der Grundton änderte sich auch nach der Pause nicht. Nkunku (50.) und Mukiele (53.) scheiterten knapp, ehe den Leipzigern nach einem Foul des Hertha-Kapitäns Niklas Stark ein Elfmeter zugesprochen wurde. Emil Forsberg verwandelte sicher zum 4:0 (60.). Zehn Minuten später besorgte Nkunku mit einem direkt und sehenswert verwandelten Freistoß aus 20 Metern in den Winkel das 5:0; den Endstand stellte Amadou Haidara her (77.), als die Fanlager schon begonnen hatten, sich musikalisch zu duellieren. Hier intonierten die Leipziger ironisch die Hertha-Hymne, Frank Zanders "Nur nach Hause geh'n wir nicht ..."; dort antworteten die Hertha-Fans mit Selbstironie: "Ooooh, wie ist das schön, ooooh, wie ist das schöööön." Nur das "... sowas hat man lange nicht geseh'n" wirkte dann doch deplatziert. Denn nahezu alles erinnerte an den 3. Spieltag, oder genauer: an das 0:5 der Berliner in München beim FC Bayern.

Mannschaften wie Bayern und Leipzig seien nicht die Kragenweite der Hertha, so lautete die Verteidigungslinie Dardais am Samstag: "Wenn wir ehrlich sind: Das ist für uns ein Tick zu viel, das ist eine andere Kategorie."

Trainer Dardai geht gnädig mit seinen Spielern um, aber Manager Bobic ist bedient

Entsprechend gnädig ging er mit seiner Mannschaft um. "Mich hat keiner enttäuscht", betonte er, "jeder hat in seinem Raum gestanden, jeder hat seinen Job gemacht, ich habe keinen Spieler gesehen, der einen Spaziergang gemacht hat", sagte Dardai, der ebendies dem mittlerweile an Atlético Madrid verkauften Matheus Cunha nach der Pleite in Köln vorgeworfen hatte. Herthas Manager Fredi Bobic hingegen war bedient. "Auf dem Platz ist jeder seinen Ansprüchen ganz weit hinterhergehinkt. Wir müssen uns bei unseren Fans für den Auftritt entschuldigen. So einen Auftritt möchte ich in der Form nicht mehr sehen", erklärte Dardais Chef bei Sky.

Hertha-Manager Fredi Bobic ist verärgert über seine Spieler, würgt aber Diskussionen um Trainer Pal Dardai ab. (Foto: Robert Michael/dpa)

Allerdings: Auch Bobic würgte Diskussionen um Dardai ab. "Diskussionen haben wir ständig; das weißt du, wenn du im Tagesgeschäft bist, da hängst du von Ergebnissen ab", erklärte der Manager und mahnte Realismus an. "Jetzt war zwei Wochen alles super. Alles super war auch nicht. Aber jetzt ist es eine deftige Niederlage. Wir müssen nicht gleich in Panik verfallen, sondern ganz in Ruhe unseren Job machen."

Darum ist auch Dardai bemüht. Auf die Worte Selkes angesprochen sagte der Trainer: "Ich kann euch nur eins sagen: Ich gehe jeden Tag sehr motiviert zur Mannschaft." Er kümmere sich um jeden Spieler wie um einen eigenen Sohn, das Team zahlt diese Nähe - siehe Selke - offenbar zurück. "Ich denke, ich habe das Vertrauen der Mannschaft. Aber trotzdem: So eine Situation ist schwierig für uns alle", gestand Dardai ein. In der kommenden Woche gastiert der SC Freiburg in Berlin. "Wir haben die gleiche Situation wie nach dem Bayern-Spiel. Wir kennen die Methode, wie wir die Mannschaft wieder aufbauen", sagte der Hertha-Trainer.

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