Niklas Dorsch beim FC Augsburg:Der blondierte Held

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Hoch soll er leben: Niklas Dorsch wird nach seinem Bilderbuch-Fernschuss zum Augsburger 2:0 von den Kollegen getragen. (Foto: Revierfoto/imago)

U21-Nationalspieler Niklas Dorsch entscheidet in Köln auf spektakuläre Art eine ausgeglichene Partie - auch und gerade mit einem Traumtor zum 2:0 in der Schlussphase. Immer mehr Beobachter fragen sich: Warum spielt er für Augsburg?

Von Philipp Selldorf, Köln

Bevor er sich aufs Jubeln besinnen konnte, musste Niklas Dorsch erst mal staunen. War das wirklich er selbst gewesen, der diesen enormen Schuss in den Winkel des Kölner Tores abgegeben hatte? Da kein Wecker ihn aus dem Träumen klingelte, kein Anlass zur Bewusstseinstrübung erkennbar war, und die Kollegen allesamt angerannt kamen, um ihn leibhaftig zu drücken, entschied Dorsch, dass dies alles wohl wirklich wahr war - dass er tatsächlich am Freitagabend im Müngersdorfer Stadion das 2:0 für den FC Augsburg geschossen und damit den Sieg beim 1. FC Köln sichergestellt hatte. Dafür ließ er sich nun von den Kameraden feiern wie ein Winzling, der beim Hau-den-Lukas auf der Kirmes zugeschlagen hat wie Thor, der Donnergott.

Später erklärte er den Reportern, er sei überhaupt nicht beleidigt, als das Gegenteil eines Torjägers angesprochen zu werden: "Dass ich mal aufs Tor geschossen habe, das kann man an einer Hand abzählen." Ein paar Meter weiter bestätigte Salih Öczan, Dorschs Gegenspieler am Abend und Nebenmann in der U-21-Nationalelf: "Ich wusste gar nicht, dass Niklas überhaupt schießen kann."

Die ganze Welt oder zumindest die 15 000 Augenzeugen im eisigen Wohnzimmer des FC waren sich einig: Dorsch hatte diesem ordentlichen Durchschnittsspiel der Fußball-Bundesliga durch seinen Auftritt einen speziellen Glanz verliehen. Der 2:0-Sieg gehe "in Ordnung", befand nicht ohne Eigenlob und Verklärung FCA-Trainer Markus Weinzierl, aber ebenso gut hätte das Spiel auch 2:0 für die Hausherren ausgehen können, und wenn es 0:0 geendet hätte, dann hätte das auch niemanden überrascht. Doch dann kam halt Dorsch dazwischen, der schon vor seiner maßgebenden Beteiligung am Führungstreffer durch André Hahn (72. Minute) eine herausragende Erscheinung gewesen war.

Mit seinen hellen Haaren leuchtet Dorsch auch in der trüben Nacht

Aufgefallen ist der 21 Jahre alte Mittelfeldspieler schon vor dem Anpfiff. Blond wie Marilyn Monroe präsentierte er sich dem Publikum, sein helles Haar leuchtete in der trüben Nacht. Über die Färbung musste er später ausführlicher berichten als über seinen Torschuss. Ein "spontanes Ding" sei das gewesen, gemäß dem Motto "öfter mal was Neues", geschmackliche Zweifel seiner Zuhörer nahm er gelassen zur Kenntnis. "Es muss den Frauen gefallen, nicht den Journalisten", stellte er lachend klar.

Als sich Dorsch im Sommer dem FC Augsburg anschloss, war das durchaus ein bisschen überraschend. Mit seinem furiosen Einsatz und seiner mitreißenden Art hatte er entscheidenden Anteil am Europameistertitel der U21, Vergleiche mit Bastian Schweinsteiger oder Joshua Kimmich waren sowohl naheliegend wie zulässig. Dorsch, wie Schweinsteiger an der Säbener Straße ausgebildet, vereint drei wesentliche Eigenschaften für einen prägenden Mittelfeldspieler: Er ist ein energischer Kämpfer und Vorarbeiter - und ein sehr geschickter Techniker, der dank seiner Ballfertigkeit aus engster Umzingelung findet und dann auch noch den richtigen Pass spielt.

Der üblicherweise geizige FCA-Manager Stefan Reuter ist sehr stolz auf seine teure Anschaffung

Dass seine Zukunft nicht länger bei KAA Gent liegen würde, wo er nach zwei guten Jahren beim 1. FC Heidenheim internationale Erfahrung sammelte, schien im Juni klar zu sein. Dass er entschied, die Karriere beim ständig um den Klassenverbleib besorgten FC Augsburg fortzusetzen, kam unerwartet. Zu ambitionierteren Adressen wie Bayer Leverkusen oder Eintracht Frankfurt hätte er auch gepasst. Dem FCA war der Transfer sieben Millionen wert, und dem üblicherweise geizigen Manager Stefan Reuter war am Freitag in Köln der Stolz auf seine teure Anschaffung anzusehen. Das Tor sei "ein Hammer" gewesen, und die Leistung der neue Maßstab: "Das muss er jetzt durchziehen", forderte Reuter.

Vereitelte Kölns beste Chancen: FCA-Torwart Rafal Gikiewicz (links) kommt vor Rafael Czichos an den Ball (Foto: Ralf Treese/imago)

Der Augsburger Sieg bei den daheim bis dahin unbesiegten Kölnern bringt neue Akzente in den Abstiegskampf, das Feld ist zusammengerückt. Die Kölner haben für ihre Auftritte unter Trainer Steffen Baumgart zwar mit Recht viele Komplimente bekommen, aber vom bisher vorwiegend kritisch bewerteten FC Augsburg trennen sie jetzt nur noch drei Punkte. Am Freitag fehlten ihnen, wie Manager Jörg Jakobs sagte, "die Killer-Qualitäten", um den Abstand auszubauen. An Chancen hat es nicht gemangelt für die dominanten Kölner.

Bis zum ersten Geistesblitz von Dorsch fällt Augsburg vor allem durch Befreiungsschläge auf

Dorsch meinte, es sei den wider Erwarten kurzfristig verfügbaren Abwehrspielern Jeffrey Gouweleeuw und Reece Oxford zu danken, dass die Gegentore ausblieben ("Die beiden Laternen sind extrem wichtig"), aber letztlich waren es seine Balleroberung und sein kluger Pass in die Tiefe, die den Führungstreffer brachten.

Bis dahin hatte der FCA mit allerlei Befreiungsschlägen das Unentschieden verteidigt. "Wir haben schon die ganze Saison gesehen, dass er unglaubliche Qualitäten hat", sagte Weinzierl, bislang hätten lediglich Anpassungsprobleme Auftritte mit größerer Wirkung verhindert. Nun hatten alle Zeit, genauer hinzuschauen beim exklusiven Freitagsspiel der Bundesliga, und womöglich fragt man sich hier und da, warum dieser vielversprechende blonde Kerl in Augsburg spielt. Und wie lange noch.

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