Bundesliga: Elf des Spieltags:Irrwege in München

Der brillenlose Jubel des Jürgen Klopp, der hundsmiserable Tag des Bastian Schweinsteiger, ein Praktikant auf St. Pauli und ein Schalker Stürmer, dem niemand mehr helfen kann.

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(Foto: imago sportfotodienst)

Der brillenlose Jubel des Jürgen Klopp, der hundsmiserable Tag des Bastian Schweinsteiger, ein Praktikant auf St. Pauli und ein Schalker Stürmer, dem niemand mehr helfen kann. Die Elf des Spieltags Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen - diese Binsenweisheit ist so alt wie das Kerzenwachs auf den Tischen einer Hamburger Hafenspelunke. Dennoch wurde sie beim Spiel des FC St. Pauli gegen Hannover von Holger Stanislawski beherzigt: Weil bei den Hamburgern die halbe Abwehr ausfiel, beorderte der Coach kurzerhand Hauke Brückner auf die Bank - der 30-Jährige ist zwar gelernter Verteidiger und spielt normalerweise in St. Paulis zweiter Mannschaft Fünftligafußball, doch er ist vor allem Praktikant in der Medienabteilung des Vereins. Letztlich überstand die Not-Defensive des Kiezklubs die Partie gegen 96 ohne weitere Wehwechen, so dass der Prakti nicht auf den Platz musste - am Montag dürfte er dennoch mächtig stolz am Kopierer stehen.

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Der Stuttgarter Mathieu Delpierre deutete die Weisheit von der besonderen Situation und den damit einhergehenden besonderen Maßnahmen einfach um: Harte Zeiten erfordern eine harte Gangart, schien sein Credo zu sein, als er in Frankfurt vor einem Freistoß seines Teams Eintracht-Kneifzange Maik Franz einfach umrammte. Kurios wurde die Szene aber erst durch einen Irrtum von Schiedsrichter Wolfgang Stark - der schickte auf Zuruf seines Linienrichters den völlig verdutzten Khalid Boulahrouz vom Platz, der zwar seinerseits ebenfalls kein zarter Zeitgenosse ist, doch mit der eigentlichen Szene nichts zu tun hatte. Nach einigem Durcheinander und einem vermutlichen Geständnis des Franzosen Delpierre korrigierte der Referee seine Entscheidung und zeigte dem VfB-Kapitän Rot. Der bekommt jetzt durch eine längere Sperre genügend Zeit, sein Credo zu überdenken.

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(Foto: dapd)

Nach 30 Minuten der Partie Bayern gegen Dortmund fragte man sich schon, was Louis van Gaal mit seiner Rochade da im Sinn hatte: Nachdem Luiz Gustavo in Mailand im defensiven Mittelfeld gegen den Klassekicker Wesley Sneijder hervorragend agiert hatte, vergab van Gaal diese Position gegen den BVB an den Kroaten Danijel Pranjic und stellte Gustavo nach hinten links. Dort strauchelte der Brasilianer ein ums andere Mal wegen des blitzschnellen Dortmunder Offensivwirbels, er wirkte mitunter orientierungslos, dafür traf er nach einem Eckball zum 1:1. Es war ein verwirrender, irgendwie unrunder Abend für den früheren Hoffenheimer - der nach van Gaals Einsicht seines fatalen Coaching-Fehlers nach 58 Minuten auf der Ersatzbank endete.

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(Foto: dapd)

Von einem "gebrauchten" Tag konnte bei Bastian Schweinsteiger gegen Dortmund nicht mehr die Rede sein. Vielmehr erlebte der sonst so souveräne Nationalspieler hundsmiserable, quälende 90 Minuten zum Vergessen. Das Dilemma des Münchner Defensivmannes deutete sich bereits nach wenigen Minuten an, als er Lucas Barrios in seinem Rücken aus den Augen verlor. Nur kurze Zeit später unterlief ihm ein haarsträubender Stockfehler, den der BVB direkt zum Tor nutzte. In der Folge purzelte Schweinsteiger zweimal völlig unbegründet auf sein Hinterteil, spielte Fehlpässe, kam bei Mats Hummels' Kopfball zum 1:3 zu spät und sah seine fünfte gelbe Karte, im wichtigen Spiel in Hannover wird er nun zuschauen. Da half es auch nichts, dass er immerhin zweimal in höchster Not auf der Linie klärte - an diesem Samstag wäre Bastian Schweinsteiger wohl besser im Bett geblieben.

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(Foto: AP)

Viel hätte nicht gefehlt und Jürgen Klopp wäre nach dem Schlusspfiff des Spiels seiner Borussia gegen die Bayern jubelnd Louis van Gaal um den Hals gefallen. Warum? Nuri Sahin hatte seinem Trainer bei einer innigen Umarmung versehentlich die Brille zerstört - Klopp irrte daraufhin grinsend, aber ziemlich orientierungslos über den Rasen. Er sah dabei aus, wie langjährige Träger eines Nasenfahrrads eben aussehen, wenn sie quasi nichts sehen. Da hätte es gut sein können, dass Klopp seinen Trainerkollegen vom FC Bayern einfach mit seinem Chef Hans-Joachim Watzke verwechselt. Doch der Dortmunder Coach behielt den Durchblick - bald trug er seine Ersatzbrille und erklärte: "Die passt mir eh viel besser, ich hätte das alte Ding längst aussortieren sollen." Ohne sein Zweitmodell hätte er sich wohl nur noch mit einem hilflosen "Ja, wo laufen sie denn?" helfen können.

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(Foto: REUTERS)

Dortmunds Ersatzkeeper Mitchell Langerak hatte sich wohl auf ein aufregenderes Debüt eingestellt. In München durfte der junge Australier Stammtorwart Roman Weidenfeller ersetzen - und der Mann mit dem Babyface präsentierte sich überaus souverän. Außer ein paar sicher weggefausteten Flanken und einem Reflex auf der Linie nach einer Volleyabnahme von Mario Gomez (im Bild), musste der BVB-Schlussmann auch gar nicht viel zeigen. Zu sicher agierten vor ihm die Innnenerteidiger Mats Hummels und Neven Subotic, zu abgeklärt unterbanden die Außenspieler Marcel Schmelzer und Lukas Pisczek das Wirken der bayerischen Flügelzange "Robbery". Trotz seiner gerade einmal 22 Jahren weiß der Junge aus "Down Under" übrigens als einer der wenigen Borussen, wie sich so eine Meisterschaft anfühlt: Langerak gewann mit Melbourne Victory 2009 die australische Meisterschaft - im Fußball versteht sich, nicht im Cricket. Texte: Jonas Beckenkamp

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(Foto: REUTERS)

Torsten Frings war an diesem Wochenende wegen einer Gelbsperre gar nicht im Einsatz - und dennoch gehört der ewige Kämpfer in die Elf des Tages. Der Bremer Kapitän kündigte in der Syker Kreiszeitung sein Karriereende in diesem Sommer an: "Ich werde 35 Jahre - ich möchte nicht mehr, es reicht. Ich habe lange, sehr lange überlegt," sagte Frings, dessen Laune sich in dieser problematischen Saison für Werder exponentiell zum Bremer Niedergang verschlechtert hatte. Aber was, wenn Frings irgendwann nicht mehr ist? Wer guckt dann so schön grimmig im Werder-Mittelfeld? Wer glänzt dann mit der ligaweit zweitverwegensten Frisur nach Frankfurts Ioannis Amanatidis? Und wer antwortet je wieder so herrlich kurzsilbig in Interviews wie der schnoddrige Frings? Man wird ihn vermissen, den "Fringser".

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

1004 quälende Minuten trennen Schalkes Stürmer Klaas-Jan Huntelaar inzwischen von einem Torerfolg - eine Zahl, bei der einem der Holländer fast leidtun kann. Dass er in der Hinrunde noch von einigen Experten als "bester Strafraumstürmer der Welt" gehandelt wurde, ist kaum nachvollziehbar, wenn man den Nationalspieler in der derzeitigen Verfassung sieht. Gegen Nürnberg ließ er erneut beste Gelegenheiten aus - einmal strich ihm in geradezu slapstickhafter Manier ein Kopfball über seinen Scheitel hinweg, kurz vor Schluss scheiterte er freistehend an "Club"-Keeper Raphael Schäfer. Wie man so einen leidenden Angreifer unterstützen könne, wurde sein Mitspieler Christoph Metzelder gefragt und er antwortete: "Ich habe in 150 Spielen drei Tore gemacht. Wie soll ich ihm helfen?"

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

Thomas Tuchel grinste über das ganze Gesicht, nachdem er seinen Mainzern mal wieder den richtigen Matchplan mitgegeben hatte und diese Hoffenheim mit 2:1 besiegt hatten. Pünktlich zur Fastnachtszeit läuft es wieder bei den Gute-Laune-Fußballern aus der Spaßfabrik am Bruchweg - und ganz nebenbei war der Erfolg an diesem Wochenende ein kleines Jubiläum für Trainer Tuchel: Mainz gewann unter seiner Regie zum 25. Mal. "Oh, das ist aber eine schöne Zahl," sagte er darauf angesprochen, "aber die 50 schaffe ich diese Saison dann wohl nicht mehr." Da hat Tuchel recht - wenn der FSV am Saisonende immer noch Fünfter ist, wird ihm diese Verfehlung aber herzlich egal sein.

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(Foto: dapd)

Szenen von Spielern, die am Stadionzaun hängen, um mit den Anhängern zu feiern, kennt man inzwischen zu Genüge - Lukas Podolski stieg nach dem Kölner Erfolg gegen Freiburg an diesem Samstag sogar in die Kurve zum Siegesjubel. Doch in dieser Spielzeit scheint sich eine neue Form der Fan-Fußballer-Interaktion zu etablieren: Der Trainer als Kurvendompteur. Zu beobachten gab es solche Begegnungen bereits, als Mainz-Coach Thomas Tuchel in der Hinrunde am Stadionzaun das Megafon schwang und als Gladbachs mittlerweile entlassener Trainer Michael Frontzeck die Fans höchstpersönlich in der Kurve besuchte, um diese zu besänftigen. Ähnlich machte es nun FCK-Übungsleiter Marco Kurz: Weil der aufgebrachte Mob Stürmer Srdjan Lakic wegen seines bevorstehenden Wechsels nach Wolfsburg beschimpfte, schaltete sich Kurz als Schlichter ein - und musste sich einige deftige Worte auf Pfälzisch anhören.

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(Foto: dpa)

Mit gebrauchten Tagen kennt sich derzeit auch Wolfsburgs brasilianischer Spielmacher Diego aus. Erst der Absturz seines hochambitionierten Klubs in die Abstiegszone, dann die Elfmeterfarce, als Diego seinen Kollegen Patrick Helmes wegschickte und selbst verschoss - und dann? Vergab der kleine Dribbler gegen Mönchengladbach erneut vom Punkt. Zwar war Diego dieses Mal ganz offiziell als Schütze vorgesehen, doch als er den Ball erneut in die Wolken jagte, schien seine Unglücksserie groteske Ausmaße anzunehmen. Aber der liebe Gott, an den Herr Diego nun einmal ganz fest glaubt, schenkte dem Mittelfeldmann eine zweite, ach was, eine dritte Chance: Diego erzielte beide Treffer zum 2:1-Sieg des VfL und machte zwischendurch den Eindruck, eine Epiphanie durchlebt zu haben.

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