Nachruf auf Jürgen Grabowski:Der Mann der Eintracht

Nachruf auf Jürgen Grabowski: Eleganter Mittelfeldregent: Jürgen Grabowski 1970 in Mexiko beim WM-Spiel gegen Bulgarien zwischen Uwe Seeler (links) und Gerd Müller.

Eleganter Mittelfeldregent: Jürgen Grabowski 1970 in Mexiko beim WM-Spiel gegen Bulgarien zwischen Uwe Seeler (links) und Gerd Müller.

(Foto: WEREK/Imago)

Weltmeister, Europameister, DFB-Pokalsieger: Frankfurt trauert um seinen größten Fußballspieler. Jürgen Grabowski war das Gegenteil einer launischen Diva - seine Majestät entfaltete sich im Stillen.

Nachruf von Holger Gertz

Die Bedeutung Jürgen Grabowskis für die deutsche Fußball-Geschichte lässt sich in vielen Szenen nacherzählen, nur eine hier als Beispiel: WM-Finale 1974, Münchner Olympiastadion, Deutschland gegen Holland. Im Fernsehen wurde gerade der Umriss einer Stoppuhr eingeblendet, sie legte sich über den Fußballplatz, und man konnte sehen, dass es geradewegs auf die Halbzeit zuging. Sozusagen aus dieser Uhr heraus passte Jürgen Grabowski den Ball nach vorn zu Rainer Bonhof, "ja, Grabowski spielt auf", sagte mit leicht schwärmerischem Unterton der Kommentator Rudi Michel, und dann rannte Bonhof nach vorn, rannte vorbei an all den schönen Siebzigerjahre-Werbebanden, "Martini", "C&A", "Europa Möbel", spielte den Ball schließlich nach innen zu Gerd Müller. Dann machte es bumm.

2:1, das Tor zur Weltmeisterschaft. Müller, der Vollstrecker, vollendete das, was Grabowski eingeleitet hatte. Es war der 7. Juli 1974, Grabowskis 30. Geburtstag.

Nachruf auf Jürgen Grabowski: Der einzige Aufreger einer unaufgeregten Karriere: Nach dem Pokalsieg mit der Frankfurter Eintracht trägt Jürgen Grabowski (2.v.re.) das eingetauschte HSV-Trikot mit der falschen Werbung.

Der einzige Aufreger einer unaufgeregten Karriere: Nach dem Pokalsieg mit der Frankfurter Eintracht trägt Jürgen Grabowski (2.v.re.) das eingetauschte HSV-Trikot mit der falschen Werbung.

(Foto: Horstmüller/Imago)

Man spricht, wenn man vom WM-Gewinn 1974 spricht, natürlich zuerst und mit gewisser Berechtigung von Beckenbauer, Maier, Müller, Breitner. Aber der Titel war auch der Titel von Jürgen Grabowski, der vorher vorübergehend aus der WM-Elf gerutscht war, dann zurückkam und im Regenspiel gegen Schweden als Einwechselspieler das 3:2 gemacht hatte. Doch, diese Weltmeisterschaft war auch das Turnier von Grabowski, dem großen Strategen der Frankfurter Eintracht. Eine Rarität im oft so breitbeinig daherkommenden Profifußball: eine stille Majestät. Auch später noch, im Alter, schlank, grauer Kurzbart, Krawattennadel, der ganze Mann umweht von einer ganz und gar unaufgesetzten Melancholie.

Grabowski schlug die Flanke, aus der ein Jahrhundertspiel erwuchs

Grabowski gehört zu den alten Fußballhelden, die ihrer Spielerzeit keine bedeutende Zweitkarriere als Funktionär, Trainer, Experte oder Besserwisser folgen ließen. Er war Weltmeister, WM-Zweiter, WM-Dritter, Europameister, DFB-Pokalsieger, Uefa-Cup-Gewinner. Der stille Künstler war ein außerordentlich erfolgreicher Künstler, er war keine Diva, wie man es seinem Klub nachsagt, sondern immer ein Teil des Teams. Der alte Mitspieler Uli Hoeneß hat es so gesagt: "Er hatte eine Fähigkeit, um die ihn alle beneideten: Wann immer er eingewechselt wurde, er war sofort da, er konnte Spiele komplett umdrehen und entscheiden." Und neben dem Platz? Keine Skandale, keine Wut-Interviews. Nach dem Pokalfinale 1974 gab es kurz Ärger, da trug er nach dem Trikottausch ein HSV-Hemd mit Campari-Werbung, bekam später von Campari dann ein paar Fläschchen zugeschickt.

Manchmal griff die Populärkultur nach ihm, etwa in Gestalt der Frankfurter Thrash-Metal-Kapelle Tankard. In ihrer Eintracht-Hymne "Schwarz-weiß wie Schnee" huldigen sie hessischen Heiligkeiten im Allgemeinen und dem hessischen Helden Grabowski im Besonderen: "Wir haben die Eintracht im Endspiel geseh'n, mit dem Jürgen, mit dem Jürgen." Es gibt auch ein Video, in dem Grabowski mitspielt, er hält Gitarren in der Hand und Pokale, und man merkt ihm an, dass Thrash-Metal nicht seine Musik ist. Aber sein Auftritt ist trotzdem von gewisser Würde. Und die zotteligen Musikanten sind spürbar begeistert.

Nachruf auf Jürgen Grabowski: Feiertag: Jürgen Grabowski (mit Berti Vogts und Georg Schwarzenbeck, v.l.) hält am 7. Juli 1974 den WM-Pokal - es war sein 30. Geburtstag.

Feiertag: Jürgen Grabowski (mit Berti Vogts und Georg Schwarzenbeck, v.l.) hält am 7. Juli 1974 den WM-Pokal - es war sein 30. Geburtstag.

(Foto: Pressefoto Baumann/Imago)

Erfolg zu haben ist das eine - aber man muss ihm auch gewachsen sein. Man kann, wie Franz Beckenbauer, omnipräsent sein und irgendwann stolpern. Man kann, wie Uwe Seeler, ein dauerhaft sichtbarer Glücksbringer sein. Man kann, wie Berti Vogts, zeitlebens dagegen ankämpfen, unterschätzt zu werden. Man kann, wie Lothar Matthäus, als Experte im Bezahlfernsehen fränkelnd im Gespräch bleiben. Wie man nach der Laufbahn dem öffentlichen Interesse begegnet, ist eine Herausforderung, und tatsächlich stellt sich jeder anders darauf ein.

Die Bedeutung Grabowskis für die deutsche Fußball-Geschichte lässt sich in vielen Szenen nacherzählen

Grabowskis Umgang mit dem eigenen Ruhm erinnert an die Schriften des amerikanischen Mythenforschers Joseph Campbell, der definiert hat, was einen Menschen zum Helden macht. In aller Kürze: Einer oder eine bricht in aller Stille auf, zieht raus in die Welt, stellt sich Herausforderungen, bewältigt Schwierigkeiten, schafft den Triumph und kehrt nach dem Triumph - entscheidender Move der Campbell'schen Heldenreise - in die Stille zurück.

Die Masse erinnert sich an den Helden, und die Masse sehnt ein Wiedersehen herbei. Der Held ist schließlich nicht tot. Er hält sich nur bedeckt. Und er muss nicht Kolumnen schreiben, in denen steht, wie sein alter Verein es richtig gemacht hätte. Er muss nicht dauernd in die Talkshows. Er ist da, auch wenn er nicht da ist. Sobald sie "Schwarz-weiß wie Schnee" singen, ist Grabowski wieder da. 441 Bundesliga-Spiele, 109 Tore, alle für die Eintracht. Den Uefa-Pokal nach dem Sieg gegen Mönchengladbach in Zivil entgegengenommen, weil verletzt gewesen. Die Fans brüllten "Grabi, Grabi", es war der 21. Mai 1980, das Echo hallt nach bis heute.

Die Bedeutung Jürgen Grabowskis für die deutsche Fußball-Geschichte lässt sich in vielen Szenen nacherzählen, noch ein Beispiel: WM-Halbfinale 1970 in Mexiko, Deutschland gegen Italien, das Spiel ist fast durch, Schiedsrichter Yamasaki holt schon Luft, um abschließend ins Pfeifchen zu blasen, da rutscht Karl-Heinz Schnellinger in eine Flanke, und dann geht das Spiel in die Verlängerung, und dann erst wächst es zum Jahrhundertspiel. Die Flanke, die all das geschehen ließ, wurde geschlagen vom Mann, den sie Grabi nannten.

Am Donnerstagabend ist Jürgen Grabowski, 77, gestorben, er war länger krank, Dialyse-Patient, zuletzt ein Oberschenkelhalsbruch. Gerade ist die traurige Zeit der Schweigeminuten. Am Sonntag, vorm Heimspiel gegen Bochum, erinnert sich die Eintracht in aller Stille an ihren größten Fußballspieler.

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