Leipzigs Sieg gegen Stuttgart:Der Meister der Ballistik hinterlegt seine Visitenkarte

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Nachricht angekommen? Dominik Szoboszlai demonstrierte gegen Stuttgart seine außergewöhnliche Schusstechnik. (Foto: Roger Petzsche/imago)

Beim 4:0 gegen Stuttgart untermauert Leipzigs Stürmer Dominik Szoboszlai mit zwei spektakulären Toren seinen Ruf als Kunstschütze. Nach langer Leidenszeit gelingt ihm das perfekte Heimdebüt.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Die vielleicht erhellendste Auskunft über die jüngste Attraktion der Bundesliga, den ungarischen Stürmer Dominik Szoboszlai, gab ein Leidensgenosse namens Benjamin Henrichs. Der deutsche Nationalspieler hatte seit Jahresbeginn häufiger mit Szoboszlai auf der Tribüne des Leipziger Stadions gesessen, beide waren nach ihrer Ankunft bei ihrem Arbeitgeber RB Leipzig häufiger verletzt, Szoboszlai mehr als ein halbes Jahr. Und so lernte Henrichs, dass Szoboszlai einem Pawlowschen Reflex unterliegt.

Jedes Mal, wenn sich ein Spieler in 30 Meter Entfernung des gegnerischen Tores befand, habe Szoboszlai immer dasselbe gerufen. "Schieß einfach! Schieß!!", verriet Henrichs zur Halbzeit bei DAZN. So wie er, Szoboszlai, es in solchen Situationen getan hätte. Oder so wie er es am Freitagabend tat, als er seine Visitenkarte in der Bundesliga abgab. Zwei beeindruckende Tore steuerte er zum 4:0-Sieg von RB Leipzig gegen den VfB Stuttgart bei (38./52.), und es war nicht einfach auszumachen, welches von den beiden Toren das schönere war. "Ein besseres Heimdebüt kann man nicht haben", sagte Szoboszlai, und auch sein Trainer Jesse Marsch zeigte sich nach seinem ersten Sieg als Leipziger Trainer zufrieden: "Es war eine Superreaktion nach unserer Niederlage in Mainz."

Perfekte Haltung: Dominik Szoboszlais Alleinstellungsmerkmal sind seine gefährlichen Schüsse. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Das konnte man so stehen lassen, von seinem Landsmann Pellegrino Matarazzo kam kein Widerspruch. "Wir haben unsere Grenzen aufgezeigt bekommen", resümierte er nach dem ersten US-Trainerduell der Bundesligageschichte, "Leipzig war uns in allen Belangen überlegen." In der Tat: Ein paar defensive Wackler gab's, ansonsten funktionierte das Pressing der Leipziger wie geplant; das Geschehen spielte sich fast ausschließlich in der Hälfte der Gäste ab, wo die neu strukturierte Leipziger Offensive das verspürte, was die Amerikaner "joy" nennen, Freude.

"Es macht Spaß, das sieht man auch", erklärte Spielmacher Emil Forsberg, der sich ein Sonderlob von Marsch nicht nur deshalb verdiente, weil er fünfzehn Sekunden nach der Pause eine Kombination über zehn Stationen abschloss und so das 2:0 erzielte, nach einem zauberhaften Absatzkick von André Silva als ultimativem Assist. Sondern weil er in der 64. Minute ebendiesem neuen Kollegen namens Silva den Vortritt überließ, als den Leipzigern ein eher fragwürdiger Handelfmeter zugesprochen wurde. Durch den Verzicht des Schweden konnte der neue Kollege "ein Tor finden und richtig reinkommen in unsere Mannschaft", wie Marsch erklärte, "das sagt alles über Emil". Perspektivisch betrachtet sei diese Großzügigkeit von höchster Bedeutung. "Wenn wir diese Gruppenmentalität haben, sind unsere Möglichkeiten sehr, sehr groß", betonte Marsch. Aber selbst das stand im Schatten der überragenden Treffer Szoboszlais.

Szoboszlais Schuss hat etwas Wahnsinniges, aber er findet wunschgemäß das Ziel

Er hatte schon in Ungarn und in Österreich mit einer sensationellen Schusstechnik auf sich aufmerksam gemacht - und mit einem eklatanten Mangel an Scheu vor Fehlern. Er probiere es halt, wenn's die Lage hergibt, und das Motto dahinter formulierte er mit erschlagender Logik: "Wenn er reingeht, geht er rein, und wenn nicht, dann nicht." Gegen den VfB outete er sich nun auch in Deutschland als Meister der Ballistik.

Beim 1:0 fing er einen müden Befreiungsschlag der Stuttgarter Abwehr ab. Er verwarf nach Prüfung die Option, eine Flanke zu schlagen ("in der Mitte war keiner") - und zog stattdessen ab, sobald er die rechte Strafraumkante überquert hatte. Das hatte etwas Wahnsinniges, aber der Ball flog spektakulär wunschgemäß neben den sogenannten zweiten Pfosten. Szoboszlais zweites Tor entsprang einem ruhenden Ball. Er kündigte bei Willi Orban einen "englischen Ball" an - und weil weder Freund noch Feind den Kopf dazwischen bekamen und VfB-Torwart Florian Müller einen Schritt in die falsche Richtung machte, flog der traumhaft unterschnittene Ball wie an der Schnur gezogen neben dem zweiten Pfosten ins Netz.

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"Er hat viel Qualität und Selbstvertrauen", berichtete Marsch, der Szoboszlai schon bei seiner vorherigen Station in Salzburg trainiert hatte. Marsch weiß deshalb auch, dass beim Ungarn "noch Luft nach oben" ist. Nach seiner siebenmonatigen Verletzungspause sei er "noch nicht bei einhundert Prozent".

Stuttgart verliert nicht nur das Spiel, sondern obendrein Stürmer Kalajdzic

Bei den Stuttgartern machte sich derweil extreme Ernüchterung breit. Nicht nur, weil die Pleite den 5:1-Sieg gegen die Fürther vom ersten Spieltag relativierte. Sondern weil sich der eingewechselte österreichische Stürmer Sasa Kalajdzic in der letzten Szene der Partie böse verletzte. Nach einem Luftduell stürzte er zu Boden und kugelte sich die Schulter aus. Das Fachmagazin Kicker meldete am Sonntagabend, Kalajdzic falle mindestens zwei Monate aus. Er werde möglicherweise operiert werden müssen.

Das neuerliche Malheur trifft die Stuttgarter an einem wunden Punkt, in der Vorwoche hatte sich ein weiterer Stürmer, Mo Sankoh, so schwer am Knie verletzt, dass er wohl für die gesamte Spielzeit ausfällt. Hinzu kommen die Langzeitverletzten Silas Katompa Mvumpa (Kreuzbandriss), Neuzugang Chris Führich (Schlüsselbeinbruch) und der 18-jährige Momo Cissé (Absplitterung am Mittelfußknochen). Möglicherweise wird Stuttgart gezwungen sein, auf dem Transfermarkt aktiv zu werden, ein Gespräch über diese Frage mit Manager Sven Mislintat soll folgen, sagte Matarazzo.

Der Stuttgarter Trainer wirkte nach dem 0:4 etwas mitgenommen, wegen Kalajdzic' Blessur und wohl auch, weil er seine Mannschaft weiter wähnte. Gänzlich chancenlos waren die Stuttgarter zwar nicht, in der ersten Halbzeit ließen sie ein paar Konterchancen liegen. Letztlich war die Leipziger Überlegenheit aber erdrückend. Man sei in dem Bewusstsein in die Partie gegangen, dass ein Gegner von einer Kragenweite auf sie zurollen würde, die man in diesem Sommer noch nicht gehabt habe, sagte Matarazzo, "aber es ist ein Unterschied, ob man so etwas sagt - oder spürt", wie am lehrreichen Freitagabend: "Wenn wir wieder gegen so ein Kaliber antreten, wissen wir, was auf uns zukommt."

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