Wann greift der Videoschiedsrichter ein?
Grundsätzlich darf der Video-Assistent nur bei vier verschiedenen Szenarien eingreifen: Toren, Elfmetern, Platzverweisen und bei Spieler-Verwechslungen (Spieler A sieht Gelb, dabei beging Spieler B das Foul). Liegt eine dieser Situationen vor, ist die Vorgabe des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), dass der Video-Assistent nur bei "klaren und offensichtlichen" Fehlentscheidungen eingreift. Ist das nicht der Fall, darf er nicht agieren, so die Vorgabe.
Und wo ist das Problem?
Die Formulierung "klar und offensichtlich" klingt, nunja, klar und offensichtlich, aber in Wirklichkeit ist es immer Definitionssache, was genau "klar und offensichtlich" ist. Und die Auslegung nehmen in diesem Fall Menschen vor, nämlich die Schiedsrichter, die in Köln vor dem Bildschirm sitzen. Ganz Bremen war am Mittwoch der Meinung, dass der Elfmeterpfiff von Daniel Siebert für die Bayern eine solche "klare und offensichtliche" Fehlentscheidung war, Video-Assistent Robert Kampka und der Video-Assistent-Assistent (den gibt es wirklich) Tobias Reichel sahen in ihrem Büro aber die Berührung von Theodor Gebre Selassie und kamen vielleicht sogar zu der Einschätzung "Eher kein Elfmeter" - laut Regelwerk reicht das aber nicht für eine Intervention.
Wer darf nachfragen?
Der Schiedsrichter darf den Video-Assistenten über Headset kontaktieren und fragen: Lag ich da richtig? Umgekehrt darf der Video-Assistent auch den Schiedsrichter anrufen und ihm sagen: Da liegst du falsch. Die Entscheidungsgewalt besitzt aber immer der Haupt-Schiedsrichter auf dem Platz. Er allein entscheidet, ob er dem Video-Assistent vertraut, ob er sich die Szene selbst nochmal anschaut oder ob er gar nichts unternimmt. Wenn im Bremer Fall also Siebert nachfragt und die Durchsage erhält: "Keine klare Fehlentscheidung", verhält er sich korrekt. Wenn er gar keine Durchsage erhält, muss er davon ausgehen, dass es keine klare Fehlentscheidung war und verhält sich entsprechend ebenso korrekt.
Hätte Siebert sich die Szene selbst nochmal ansehen müssen?
Die Bremer Spieler sagten, Siebert hätte einen Kontakt am Fuß wahrgenommen. Wenn Siebert den Video-Assistenten gefragt hätte, ob es einen Fuß-Kontakt gab, hätte dieser ihm empfehlen müssen, sich die Szene nochmal anzuschauen. Dann hätten ihn die TV-Bilder widerlegt. Ob er bei einer eigenen Begutachtung dann aufgrund des leichten Ellbogenschubsers bei seiner Elfmeter-Entscheidung geblieben wäre - wer weiß. Unabhängig davon wäre es wohl schlicht klug gewesen, bei einer so folgenreichen Entscheidung, alle möglichen Mittel auszuschöpfen.
Warum legt der DFB die Regel insgesamt so defensiv aus?
Der Passus mit der "klaren und offensichtlichen" Fehlentscheidung wurde eingeführt, um die Autorität des Schiedsrichters auf dem Platz zu schützen. Es soll verhindert werden, dass ein Mann vor einem Bildschirm als "wahrer Schiedsrichter" wahrgenommen wird. Der Video-Assistent wird als zusätzliche Hilfe interpretiert, nicht als allwissende Instanz. Als der DFB den Video-Assistenten in der Anfangszeit offensiver einsetzte, gab es massive Proteste, weil viele schwammige Szenen oft minutenlang überprüft wurden. Das führte zu Verdruss. In der aktuellen Saison wird der VAR defensiver eingesetzt - und zumindest in der Bundesliga gibt es weniger Debatten.
Sollte der Video-Schiedsrichter solche Szenen nicht eigentlich verhindern?
Die Erwartung, dass es durch den Video-Schiedsrichter keine Fehlentscheidungen mehr geben würde, war schon immer unrealistisch. Solange es im Fußball Szenen gibt, die man auslegen muss, müssen immer Menschen die Szenen interpretieren. Einzige Ausnahme ist übrigens die kalibrierte Abseitslinie, weil es im Fall von Abseits keinen Graubereich gibt. Es gibt kein "bisschen Abseits", wohl aber ein "bisschen Foul". Durch den grassierenden Begriff "Videobeweis" wird der Eindruck erweckt, alles müsse eindeutig sein.
Manche Szenen sind aber auch am Bildschirm nicht vollständig aufzulösen. Um diesem grundsätzlichen Problem zu begegnen, entschieden die Regelhüter: Dann greift der Video-Schiedsrichter eben nur bei glasklaren Geschichten ein. Das ist - wenn man es konsequent umsetzt - keine schlechte Vorgabe, um diesem Problem zu begegnen. Die Kehrseite: Man muss solche 90-Prozent-Entscheidungen wie in Bremen als "Kollateralschaden" akzeptieren.