Borussia Mönchengladbach:Komplett irre

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Faire Geste unter Kollegen: Leipzigs Trainer Domenico Tedesco (rechts) und Gladbachs Trainer Adi Hütter geben sich nach dem Spiel die Hand. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Drei Spiele, 14 Gegentore: Nach dem 1:4 in Leipzig sind bei Borussia Mönchengladbach erste Anflüge von Panik und Selbstzerfleischung zu erkennen. Nur Trainer Adi Hütter gibt sich noch erstaunlich gelassen.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Das Schweizer Hochdeutsch kennt eine Reihe von mundartlichen Begriffen, sogenannte Helvetismen, die nördlich des Bodensees nicht sonderlich geläufig sind. Aber es war nicht nur deshalb etwas schwierig zu verstehen, was der Mönchengladbacher Goalie, der Schweizer Yann Sommer, genau sagte, als er nach der 1:4-Niederlage in Leipzig über die Restsaison räsonierte. So wie sein Tor im Moment Bälle verschluckt, verschluckt er manchmal Silben und ganze Wörter. Was er sagte, war dies: "Wir müssen zurück zu unserer Leistung finden. Sonst wird das eine sehr knorzige Saison."

Knorzig steht, wie der Duden mitteilt, "schweizerisch mundartlich" für "übertrieben sparsam, geizig"; es kann aber auch mit den Adjektiven "filzig", "geizig", "knauserig" und - da wird es richtig interessant - "schäbig" gleichgesetzt werden. Es steht freilich begründet zu vermuten, dass Sommer das Wort eher im Sinne von "schwierig", "kompliziert" oder "mühselig" verwendete, was ohne Einschränkung unterstrichen werden kann. Denn die Borussia kommt im Moment arg wie eine dieser Mannschaften daher, denen mitten im freien Fall auffällt, dass sie vergessen haben, sich Fallschirme auf den Rücken zu schnallen.

Das Spiel war aus Gladbacher Sicht die beste Vorlage, um verrückt zu werden

28 Gegentore hat Mönchengladbach aufzuweisen, nur Hertha BSC und die SpVgg Greuter Fürth kassierten bisher mehr. Wobei sich die aktuelle Konjunktur der Gladbacher erschreckend ausnimmt: Die Hälfte dieser Gegentore haben sie in den letzten drei Partien hinnehmen müssen.

In Leipzig setzte es am Samstag - wie schon vor zwei Wochen in Köln - eine 1:4-Niederlage. Dazwischen hatte der SC Freiburg die Füli, wie die Fohlen in manchen regionalen Dialekten der Schweiz heißen, mit einem satten 6:0 besiegt. "Es ist absolut crazy", sagte Sommer, kein Helvetismus diesmal, sondern ein Anglizismus. Zu Deutsch: komplett irre.

Das Spiel war aus Gladbacher Sicht die beste Vorlage, um verrückt zu werden, zumal die Borussia von Glück reden konnte, dass es bei den Toren von Josko Gvardiol (21.), André Silva (33.), Christopher Nkunku (90.+1) und Benjamin Henrichs (90.+4) blieb. Die Leipziger hätten beim ansehnlichen Debüt ihres seit Donnerstag regierenden Trainers Domenico Tedesco schneller in Führung gehen beziehungsweise früher zum dritten Tor kommen können; sie beschworen durch ihren großzügigen Umgang mit Großchancen den Gladbacher Anschlusstreffer von Ramy Bensebaini (88.) regelrecht herauf. In Erinnerung blieb dabei vor allem, wie der Leipziger André Silva kurz nach der Pause aus 15 Metern nicht das leere Tor traf, sondern die Querlatte. "So etwas passiert. So etwas darf aber nicht passieren", sagte Silva.

Warum schafft es Hütter nicht, die Möglichkeiten des interessant komponierten Kaders auszuschöpfen?

Diese Aussage könnte man gut und gern auf die gesamte Gladbacher Performance münzen und fast schon auf die ganze Saison, gäbe es da nicht die beiden Spiele gegen den FC Bayern (1:1 in der Liga, 5:0 im Pokal) oder den 1:0-Sieg gegen Dortmund. Der seit Sommer amtierende Trainer Adi Hütter erinnert immer stärker an seine Vorgänger André Schubert, Dieter Hecking und Marco Rose, die es nie schafften, die Möglichkeiten des interessant komponierten Kaders auszuschöpfen. Das Bild, das die Gladbacher am Samstag vor leeren Rängen abgaben, erinnerte fatal an die Leipziger Mannschaft unter dem vergangene Woche schließlich abgesetzten Trainer Jesse Marsch.

Ein innerer Zusammenhalt war über weite Strecken der Partie nicht zu erkennen, eher schon ein Team, das an die Vorgaben des Coaches nicht so recht glauben mag. Bei den guten Spielen zwischendurch seien "alle auf dem Sprung" gewesen, erinnerte sich Sommer. Gegen Leipzig aber entstanden "Riesenlöcher", weil nur eine Minderheit den Gegner unter Druck setzte. Er wolle sich "nicht einreden lassen, dass wir keine Mannschaft sind", sagte Sommer, doch Kapitän Lars Stindl legte diesen Gedanken durchaus nahe. "Jeder hat etwas für sich gemacht und nicht zusammen als Team", erkannte er.

"Jeder soll sich selbst an die Nase packen", sagte Manager Eberl

Manager Max Eberl mühte sich nach Kräften, dem einsetzenden Selbstzerfleischungsprozess die Dynamik zu nehmen. "Alle" seien schuld, der Trainer und er selbst eingeschlossen; er wolle niemanden sehen, "der auf irgendeinen anderen zeigt, jeder soll sich selbst an die Nase packen", sagte Eberl im ZDF-Sportstudio. Dort verriet er auch, dass es nach dem 0:6 gegen den SC Freiburg ("ein echter Einschnitt") intern geknallt habe, "aber es hat nicht geholfen". Man habe die gleichen Fehler gesehen wie zuletzt.

Wohl wahr: Obschon man - zum Beispiel - angepeilt hatte, keine Tore nach Standards mehr zuzulassen, stand der Leipziger Gvardiol beim 1:0 phänomenal frei und erzielte die Führung nach einem Freistoß von Angeliño. "Wir haben viele gute Jungs, aber das müssen wir auf den Platz bringen. Das müssen wir schleunigst tun, weil wir uns in einer gefährlichen Situation befinden", sagte Stindl.

Sein Trainer Hütter widersprach dem mit großer Gelassenheit. "Von gefährlicher Situation würde ich jetzt noch nicht sprechen", denn: "Die Mannschaft hat einfach zu viel Qualität." Das stimmt prinzipiell, doch es bürgt nicht immer für Erfolg. Man habe sich in rasantem Tempo in eine missliche Lage manövriert, konzedierte der Österreicher, "die Frage ist, wie wir gemeinsam da wieder rauskommen". Die Antwort darauf hatte Eberl, doch es war ihm ein wenig peinlich, einen früheren deutschen Torwart namens Oliver Kahn zu zitieren. "Entschuldigen Sie, dass ich das sage, aber wir müssen jetzt Eier zeigen." Aber das ist ja immer leichter gesagt als getan.

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