Ich habe Stimmen gehört / ich hab' ins Dunkel gesehen / es konnte bestehen / wie nichts auf der Welt ... Diese rätselhaften Sätze hat sich nicht Oliver Bierhoff ausgedacht, sondern vor einigen Jahren die Hamburger Band Tocotronic; die Zeilen könnten aber auch vom Manager der Nationalmannschaft stammen. Bierhoff hat keine Stimmen gehört, doch er sieht, wie "eine dunkle Wolke über die Mannschaft geschoben wird", und er wünscht sich, dass alle miteinander Wind machen, damit diese böse Wolke verschwindet.
Der Unterschied zwischen den Texten von Tocotronic und Bierhoff ist nun offensichtlich folgender: In dem einen Fall handelt es sich um Kunst und Dichtung, in dem anderen um eine Betrachtung zum Stimmungsbild der Nationalelf, die von den Fachmedien wahlweise als Brand-, Ruck- oder Klagerede bezeichnet wurde, ergänzt mit der teilnahmsvollen Beobachtung, der Redner habe sich im Laufe des Monologs in einen "hochemotionalen" Zustand gesteigert.
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Joshua Kimmich fehlt dem DFB-Team vor den letzten Länderspielen des Jahres an einer entscheidenden Stelle. Oliver Bierhoff kritisiert derweil die Kritik an der Nationalelf.
Man muss junge Profis nicht schützen und bemuttern
Genau besehen, war der Vortrag ein nahezu pazifistischer Appell für mehr Verständnis, weniger Häme und die Bereitschaft zu "positivem Spirit". Dabei wäre es ein Gewinn für alle Beteiligten, sowohl für die Betroffenen beim DFB als auch für das zurzeit eher ungnädige Publikum, wenn sich Bierhoff in seiner Eigenschaft als zuständiger Verbandsdirektor mal erheben und einen scharfen Konter gegen ein paar Kritiker setzen würde.
Während der Länderspielrunde im Oktober hatte es viele Einwände gegen die Worte und Taten des Bundestrainers gegeben. Was Joachim Löw sagte und machte - Experten wie Lothar Matthäus und Bastian Schweinsteiger fanden es falsch und wussten es besser, die Leute von den Medien sowieso. Bierhoff hätte also genug Auswahl gehabt, um sich ein paar Kerle vorzuknöpfen, gern auch mal polemisch. Dass sich der DFB und die Führung des Nationalteams nach verschiedenen Fehltritten der Bescheidenheit verschrieben haben, das ist schön und gut, aber ein bisschen Stolz und Kampfgeist darf man sich schon bewahren. Es geht ja immer noch um Fußball, und das Nationalteam ist kein esoterischer Zirkel, der dunkle Wolken verscheuchen muss.
Bierhoff sagte, man könne gern ihn und Jogi Löw kritisieren, "als Veteranen", doch man möge bitte die "junge Mannschaft" verschonen. Es täte ihm "ein bisschen weh, wie gerade mit den jungen Spielern umgegangen wird". Wahr ist, dass es angebracht ist, den Einsatz der Spieler für Deutschland zu würdigen. Sie könnten sich jetzt ja auch mit sogenannten muskulären Problemen abmelden und es sich zuhause gemütlich machen, anstatt in der sogenannten Blase im DFB-Hotel zu wohnen, das sie nicht verlassen dürfen, und wo sie allen Ernstes an getrennten Tischen zu sitzen haben.
Andererseits sind junge Spieler heutzutage keine Halbwüchsigen, die man schützen und bemuttern muss, und die aktuelle Nationalelf mag zwar jünger sein als ihr von den alten Weltmeistern geprägtes Vorgängermodell, aber ein junger Spieler wie Kai Havertz, 21, ist seit fünf Jahren Profi und kennt sich längst aus im Europacup und in Englands harter Liga. Spitzenspieler wie Timo Werner, Leroy Sané oder Niklas Süle brauchen keine demonstrative Fürsorge. Bierhoff hat es gut gemeint, aber er hat die falsche Botschaft gesendet.
Dass die Spiele der Nationalelf im Publikum zurzeit wenig Begeisterung auslösen, hat viele Gründe. Einer handelt davon, dass der Veteran Löw immer noch hart daran zu arbeiten hat, seine bei der WM 2018 verlorene Strahlkraft zurückzugewinnen. Einfühlsame Reden können ihm dabei allerdings nicht helfen.