Biathlon-WM in Oberhof:Spektakel am Schießstand

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Lisa Vitozzi ist schon fertig, während Denise Herrmann-Wick noch nachladen muss. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Denise Herrmann-Wick muss beim letzten Schießen die Italienerinnen ziehen lassen - die deutsche Frauen-Staffel gewinnt am Ende Silber. Das Rennen der Männer entwickelt sich im Windchaos zu einem denkwürdigen Ereignis.

Von Korbinian Eisenberger, Oberhof

Es ist nicht überliefert, ob der schwedischen General Sven Thofelt solche Szenen im Kopf hatte, als er im Jahr 1949 den Terminus "Biathlon" einführte. Das Präfix "Bi" steht ja für "zwei", und selten war Biathlon seinem Wesenskern näher als jetzt, da die Italienerin Lisa Vittozzi und die Deutsche Denise Herrmann-Wick zum letzten Zweikampf dieses Tages an den Schießstand kamen. Wie von einem Faden gezogen nahmen sie gleichzeitig ihre Sportgewehre von den Schultern. Stille in der ausverkauften Arena. Allen war klar: Es geht nun um WM-Gold.

Sekunden später war die Entscheidung gefallen. Die Italienerin blieb fehlerlos, Herrmann-Wick brauchte Nachlader, und so reichte es am Ende - trotz 23 500 Zusehern und einer Überzahl an deutschen Flaggen - nicht für die zweite deutsche Goldmedaille. Silber in der Staffel stand am Samstagnachmittag auf der Anzeigetafel, die dritte Medaille für das deutsche Biathlon-Team bei dieser WM. Der General Sven Thofelt, möge er in Frieden ruhen, hätte sich vielleicht über den dritten Platz seiner schwedischen Landsfrauen gefreut.

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Hatten die Deutschen nun eher Gold verloren? Oder vor allem Silber gewonnen? Die vier Staffelfrauen waren sich da relativ einig. "Das ist für unser Team die wichtigste Medaille", erklärte Denise Herrmann-Wick nach dem Rennen in der Mixed-Zone. Mehr noch: "Das ist eine Medaille für ganz Biathlon-Deutschland."

Erleichterung dürfte das deutsche Staffel-Ergebnis so gesehen auch für Biathlon-Thüringen bedeuten. Und für Thüringens einzige WM-Starterin Vanessa Voigt. Die 25-Jährige hatte sich in den bisherigen WM-Rennen arg schwer getan und dabei gewirkt, als trage sie nicht nur ein Gewehr auf der Schulter, sondern einen ganzen Rucksack voller Thüringer Kartoffelklöße. Ob sie mit diesem Paket überhaupt bei der Staffel antreten sollte? Sie sollte, und zwar wie häufig in dieser Saison als Startläuferin. Voigt konnte läuferisch nicht ganz mit den Allerbesten mithalten, zeigte jedoch zwei rasante wie fehlerfreie Schießeinlagen. "Die letzten Tage waren alles andere als leicht für mich", sagte sie später. "Man muss sich dann darauf berufen, was man kann."

"Ich wusste, dass Denise in der Loipe sehr schnell ist", sagt Vittozzi, "ich musste es am Schießstand probieren."

Hanna Kebinger übernahm - und übergab nach ihren zwei Runden solide an Sophia Schneider, die schließlich fünf Sekunden hinter den Italienerinnen als Zweite Denise Herrmann-Wick in die Loipe schickte. Beim vorletzten Schießen des Tages fielen bei Vittozzi und der Deutschen alle Scheiben - und so kam es zum packendsten aller Finals im Biathlon: der Entscheidung beim letzten Anschlag. "Mein Stehendschießen zur Zeit ist richtig gut", erklärte Vittozzi später hinter der Ziellinie in der ARD. "Ich wusste aber auch, dass Denise in der Loipe sehr schnell ist." Ihre Strategie: "Ich musste es am Schießstand probieren, sie unter Druck zu setzen." Diese Taktik ging auf.

Vittozzi brauchte keine 20 Sekunden, da hatte sie alle fünf Scheiben ohne Nachlader versenkt. Herrmann-Wick indes hatte zweimal getroffen - und es war klar: Mit einem Nachlader wird sie die Italienerin nicht mehr stoppen können. Schuss drei. Daneben. Tausendfaches Seufzen auf der Tribüne.

Dennoch konnten sich ihre drei Teamkolleginnen vor Freude kaum halten, als Herrmann-Wick die Ziellinie überquerte. Für sie war es ja schon die dritte Medaille allein bei dieser Veranstaltung - für die anderen drei die erste WM-Medaille überhaupt. Für die Zuseher in der Arena am Rennsteig war das spannende Spektakel wie ein später Lohn für ihr längliches Engagement.

Am Morgen stand noch eine Absage der Staffeln im Raum - bei den Männern wurde das Rennen zur Windlotterie

Seit neun Uhr morgens hatten Tausende bei Wind und Regen am Streckenrand ausgeharrt, um sich für den ersten Teil dieses vorletzten WM-Tages zu positionieren, die Männerstaffel. Sie stand vor der Frauenstaffel auf dem Programm. Doch die Gesänge der deutschen Fans verhallten in jenem Sturm, der seit den Morgenstunden bedenklich flott durch den Thüringer Wald fegte. Die Rennleitung hatte eine Absage erwogen, blieb aber dann beim Plan. Und so ereignete sich von 11.45 Uhr an ein denkwürdiges Biathlon-Rennen, wenn auch nicht aus sportlicher Sicht. Denkwürdig war es eher, weil sich der Staffellauf zu einer Windlotterie entwickelte.

Nach Startläufer Justus Strelow war für Deutschland Johannes Kühn in die Loipe gegangen. Strelow hatte nur einen Nachlader stehend gebraucht, Kühn liegend bereits null geschossen. Nun kam der Oberbayer zusammen mit einem Pulk an Konkurrenten zur stehenden Darbietung. Doch es war schon an den Windfähnchen im Stadion zu erkennen, dass es nun kompliziert werden könnte. Wurde es.

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In den kommenden zwei bis drei Minuten handelten sich die Schützen stolze 25 Strafrunden ein. Etwa eine Minute vor Kühn hatten die Athleten noch mehr Glück mit dem Wind gehabt, die Franzosen etwa. Kühn und viele andere aber trafen praktisch keine Scheibe mehr, und wenn, dann eher aus Zufall.

"Es gab 40 Sekunden lang keinen einzigen Treffer am Stand", erklärte Kühn später. "Da hat man einfach gar nicht schießen können, es hat so gewindet." Er habe versucht zu warten, "aber je länger ich gewartet hab, desto schlimmer wurde es". Ergebnis: Er traf zwei von acht Schüssen - und musste dreimal in die Strafrunde. Der Ukrainer Dmytro Pidrutschnji handelte sich gar vier mal zusätzliche 150 Meter in der Loipe ein. Sein Team wurde am Ende 13.

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Man müsste tief im Biathlon-Archiv wühlen, irgendwo zwischen General Sven Thofelt und Johannes Thingnes Bö, um ein vergleichbar verblasenes Biathlon-Rennen zu finden. Eine Medaille war für das deutsche Männer-Quartett nun so gut wie aussichtslos. Zumal das letzte Schießen dieses Rennens, wieder stehend, abermals vom Winde verweht und verdreht wurde. DSV-Schlussläufer Benedikt Doll handelte sich zwei weitere Strafrunden ein und kam schließlich als Fünfter ins Ziel.

Und der fünfmalige Goldmedaillengewinner von Oberhof, der Norweger Johannes Thingnes Bö? Setzte bei diesem letzten Schießen seinerseits drei Schüsse in Serie daneben. Er verhinderte zwar noch die Strafrunde, schaffte es aber nicht mehr, die vom Wind einigermaßen verschonten Franzosen einzuholen. Zum ersten Mal in dieser Saison stand somit kein norwegischer Männer-Staffelsieg zu Buche. Dritte wurde die Schweden - das war die einzige Konstante an diesem wechselhaften Biathlon-Samstag.

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