Biathlon-WM:Der gewaltig genervte Franzose

Lesezeit: 4 min

Die Dominanz ist weg: Martin Fourcade hadert in Östersund. (Foto: AFP)
  • Martin Fourcade bestimmte den Biathon-Weltcup jahrelang nach Belieben, jetzt fällt er nach seinen eigenen Maßstäben deutlich zurück.
  • "Ich war es gewohnt, einen Tag nach einer schlechten Leistung wieder aufzuholen", sagt Fourcade, "dieses Jahr erlaubt es mir mein Körper nicht."
  • Jetzt ist der Norweger Johannes Thingnes Bö der Mann der Biathlon-WM.

Von Saskia Aleythe, Östersund

Wenn ein saftiger Braten in Schnupperweite war, haben sich die Beine überschlagen. In Kreisen. Martin Fourcade bewegte sich dann wie eine Comicfigur, der gerade der Geruch von Essen in die Nase kriecht: Lag er in einem Rennen nicht sowieso uneinholbar vorne, stürmte er los, sobald die Konkurrenz schwächelte und er die kleinste Chance auf einen Erfolg witterte. Hungrig, unaufhaltsam, unermüdlich. Heute überschlagen sich die Beine nicht mehr.

Die stolzeste Brust, die in diesen Tagen durch Östersund läuft, gehört nicht Fourcade, sie gehört Johannes Thingnes Bö. Es ist schon bezeichnend, wie die beiden Biathleten am Rande der Weltmeisterschaften auftreten. Bö, 25, mit der Leichtigkeit eines Mannes, der so gut ist wie noch nie. Fourcade, 30, mit Schultern, die vor Enttäuschung und Ratlosigkeit fast in den Kniekehlen hängen. "Ich bin es leid", sagte Fourcade, als er im Einzel von Östersund nur 39. wurde - sein schlechtestes WM-Ergebnis überhaupt. Auf der Loipe kommt er der Konkurrenz nicht mehr hinterher, diesem Johannes Thingnes Bö schon gar nicht: Er hat ja nicht nur bereits drei goldene Medaillen und eine silberne gewonnen, sondern auch den Gesamtweltcup. Zum ersten Mal seit sieben Jahren heißt der beste Biathlet der Welt nicht Fourcade. Es sind zwei Wege, die sich gerade kreuzen.

Biathlon-WM
:Peiffer macht seinen Frieden "mit diesem verdammten Einzel"

Der Sprint-Olympiasieger wird Weltmeister in Östersund und holt sich damit eine Gold-Medaille, die er vor sieben Jahren denkbar knapp verpasste und die ihn wurmte - bis jetzt.

Von Saskia Aleythe

Schon bald wird Martin Fourcade als Ausstellungsstück zu bewundern sein: Das Grévin Museum in Paris hat den Biathleten als Wachsfigur nachgebaut, Fourcade bekommt seinen Platz neben Fußballern wie Kylian Mbappé und Zlatan Ibrahimovic, präsentiert als "unsere großen Champions". Seit 2012 hat Fourcade jedes Jahr den Gesamtweltcup gewonnen, 25 WM-Medaillen eingefahren - doch die drei Olympiasiege 2018 in Pyeongchang hoben ihn nochmal auf eine neue Stufe der Popularität. Was wohl auch eine Ursache für seinen jetzigen Einbruch ist.

Plötzlich auf Rang 43 im Sprint von Nove Mesto

Es war viel los nach Olympia, auch abseits des Trainings. Sponsoren-Termine da, Interviews dort, Fourcade hat seine Autobiografie erweitert und in neuer Auflage herausgebracht, sie war ein Verkaufsschlager zu Weihnachten. Im Athletenkomitee des Biathlon-Weltverbandes IBU engagiert er sich schon lange, auch in der Olympia-Bewerbung der Pariser für 2024 arbeitet der Vater von zwei Kindern mit, in Annecy will er ein eigenes Sommer-Biathlon-Event veranstalten. In der Summe ganz schön viel für einen, der schon durch anstrengende Trainingseinheiten und Regeneration vereinnahmt wird. "Ich habe zu viel verlangt von mir im Training und auch sonst", sagte Fourcade nun am ARD-Mikrofon. Er musste dann gar nicht mehr aussprechen, was man ihm ohnehin ansah: Der Dominator der letzten Jahre resigniert.

Das erste Einzel Anfang Dezember in Pokljuka konnte er noch gewinnen, dann ging es erstmal bergab. Ein Rennen hat er gar nicht beendet, gewann dann wieder, stürzte wieder ab. Es gelang ihm nicht, sich so schnell und gut zu erholen wie in den Jahren zuvor. "Ich war es gewohnt, einen Tag nach einer schlechten Leistung wieder aufzuholen", sagte Fourcade, "dieses Jahr erlaubt es mir mein Körper nicht." 22 von 26 Rennen konnte Fourcade noch in der Saison 2016/17 auf dem Podium beenden, nun fand er sich plötzlich auf Rang 43 wieder, im Sprint von Nove Mesto.

Immerhin machte der Kopf noch mit, in der Verfolgung rannte er vor auf Platz fünf. "Ich habe mich daran erinnert, dass ich meine Karriere nicht in den Zeiten aufgebaut habe, als es leicht war", sagte Fourcade. Er renne nicht mehr so schnell wie in den vergangenen Jahren, als er sich als Monster fühlte; es sei schwer, Motivation zu finden und Fröhlichkeit. Aber, auch das sagte Fourcade damals im Dezember: "Heute habe ich gezeigt, dass das Monster nicht sterben will." Und so wehrte sich Fourcade beharrlich, es folgten nur noch Top-Ten-Plätze, aber eben keine Siege mehr. Und einen wie ihn nervt das gewaltig. Er war mal krank, ließ dann auch zwei Weltcup-Stationen ganz aus, um sich auf die WM zu konzentrieren. "Seit Saisonbeginn bin ich weit von meinem eigenen Maßstab entfernt. Ich erkenne mich selbst auf der Strecke nicht wieder," schrieb Fourcade an seine Fans auf Facebook. In Östersund sollte sich alles zum Guten wenden.

Doch auch in Mittelschweden konnte Fourcade das Monster nicht wieder auspacken: Rang sechs im Sprint, Fünfter in der Verfolgung, Platz 39 im Einzel. Vor allem die Laufzeiten sind jenseits von dem, was der Franzose einst leisten konnte, im Einzel kamen mit vier Fehlern auch ungewohnte Wackler am Schießstand hinzu. "Es ist jedes Rennen das gleiche", sagte Fourcade, "es ist ein Teufelskreis." Auch die Trainer wissen nicht weiter. "Er findet keine Lösungen, und wir können auch keine Lösungen finden", sagte Schießtrainer Vincent Vittoz. Nach Olympia hat der Trainerstab der Franzosen gewechselt, die anderen Männer kommen damit klar: Quentin Fillon Maillet hat in Östersund schon Bronze im Sprint und in der Verfolgung gewonnen, er liegt wie Simon Desthieux auch in der Gesamtwertung vor Fourcade.

Doch über allen schwebt ohnehin Johannes Thingnes Bö: Der Mann, der sich in der Vergangenheit die engen Duelle mit Fourcade geliefert hatte. Eine Saison lang fuhren sie parallel ihre Wege, schnappten sich die Siege gegenseitig weg. Bei Olympia glänzte Bö im Einzel, Fourcade in Verfolgung und Massenstart - nun ist der Norweger weiter nach oben geprescht, während Fourcade den Hang ein Stück hinunter gerutscht ist. "Ich wollte immer sein wie er", sagte Bö mal, "ich wollte nur deshalb so konstant gut sein, weil er es immer war." Und nun ist Bö der beste Biathlet der Welt, seit vergangenem Sonntag offiziell: Da gewann er vorzeitig den Gesamtweltcup durch seinen zweiten Platz in der Verfolgung, fünf Rennen vor Schluss. Im Sommer hat Bö seine Freundin geheiratet, auch sie dürfte erleichtert sein. "Selbst wenn ich nach Hause komme, dreht sich alles um Biathlon", hatte Bö gesagt, "sie will, dass ich den Gesamtweltcup gewinne, damit das Nachdenken aufhört."

Über Silber hatte sich Bö sogar noch geärgert: Vorm letzten Schießen lag er schon weit vor der Konkurrenz, ließ sich durch drei Patzer das Gold aber noch entreißen. Dabei hat er in den letzten Jahren sehr profitiert von einem neuen Schießtrainer: Siegfried Mazet, bis 2016 an der Seite von Martin Fourcade. So stabil wie der Franzose einst war, ist Bö noch nicht, im Einzel wurde er mit vier Fehlern Neunter. Aber es ist halt auch so wie Benedikt Doll sagt: "Der kann halt zwei bis drei Strafrunden rauslaufen, wenn er wirklich Vollgas gibt."

Bö ist der Mann dieser WM, er hat bereits vier Medaillen gewonnen, mit der Staffel und im Massenstart am Wochenende sind weitere in Aussicht. Martin Fourcade hingegen könnte erstmals seit 2009 leer ausgehen. Und muss sich dann im Wachsfiguren-Kabinett am 26. März selbst enthüllen: Als Champion ohne (neue) Medaille.

© SZ vom 16.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Biathlon-WM
:Herrmann hat ihrem Leben eine neue Richtung gegeben

Sie war Langläuferin, wechselte dann zum Biathlon, musste das Schießen lernen - und jetzt ist Denise Herrmann Weltmeisterin. Dank eines perfekten Rennens.

Von Saskia Aleythe

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: