Biathlon-WM:Herrmann hat ihrem Leben eine neue Richtung gegeben

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Olympiasiegerin herzt Weltmeisterin: Denise Herrmann (rechts) und Laura Dahlmeier. (Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)
  • Bei der Biathlon-WM gelingt Denise Herrmann in der Verfolgung ein unglaubliches Rennen, mit dem sie Weltmeisterin wird.
  • Ihre Geschichte zeigt, dass es sich im Leben lohnt, neue Dinge anzupacken.

Von Saskia Aleythe, Östersund

Ein zweiter Blick musste schon sein. Hin zum Schießstand, oben ihr Name, darunter die fünf Scheiben, die Denise Herrmann allzu oft schon die Nerven gekostet hatten. Es war ihre letzte Schießeinlage an diesem Nachmittag in Östersund, und als sie auch diese beendet hatte, ging ihr nur ein Gedanke durch den Kopf: "Die sind wirklich alle umgefallen?"

Denise Herrmann bei der Biathlon-WM
:"Bin so froh, dass mir so etwas Großes gelungen ist"

Einst war sie Langläuferin, jetzt feiert sie ihren größten Erfolg im Biathlon: Denise Herrmann wird in der Verfolgung von Östersund Weltmeisterin - auch Laura Dahlmeier freut sich.

Das allein wäre ja schon ein Spitzenresultat gewesen: ein Verfolgungsrennen mit nur zwei Fehlern zu beenden. Weil Herrmann, 30 Jahre alt, erst vor drei Jahren das Schießen gelernt hatte. Und nun? Ging sie als Führende in einem WM-Rennen auf die Schlussrunde, "wie in Trance". Sie, die beste Läuferin im Feld - was sollte ihr noch passieren? Es waren dann die wohl schönsten letzten Meter ihrer Karriere: Als sie um 14.15 Uhr auf die Ziellinie einbog, war aus der ehemaligen Langläuferin Denise Herrmann die Biathlon-Weltmeisterin Denise Herrmann geworden. "Das war ein perfekter Tag für mich. Ich bin so froh, dass mir so etwas Großes gelungen ist", sagte Herrmann nach den ersten Glückwünschen.

Unter anderem von Laura Dahlmeier, die sich wie im Sprint die Bronzemedaille sicherte, kurz vor dem Ziel noch eingeholt von Norwegens Tiril Eckhof. Doch um Dahlmeier drehten sich die Gespräche an diesem Tag nicht, auf dem Podium ganz oben stand tatsächlich Herrmann. Und ihre Geschichte ist ja eine, mit der sich auch über wichtige Entscheidungen philosophieren lässt: Wie viel Mut braucht man, um dem Leben noch mal eine neue Richtung zu geben?

Schon bevor sie mit den Skiern über die Ziellinie glitt, hielt sich Herrmann die Hände vors Gesicht, dabei lohnte es sich doch hinzuschauen: In all den Jahren, in denen sie als Langläuferin Einzelrennen beendet hatte, reichte es doch am Ende nie zu einer WM-Medaille. Mit ihren Top-Ten-Plätzen war Herrmann eine sehr gute Sportlerin, die Übermacht der Skandinavier aber nicht zu durchbrechen - anders als im Biathlon. Mit zwölf Jahren zog Herrmann ins Sportinternat in Oberwiesenthal, 35 Kilometer von ihrem Heimatort Bockau entfernt. Als sie 18 war, wurde Herrmann auf Clenbuterol positiv getestet, sie führte das auf die Einnahme eines Hustensafts zurück. Der Deutsche Skiverband sperrte sie für ein Jahr. Auch das kam noch mal zur Sprache an diesem Tag in Östersund, Mittelschweden.

Denise Herrmann bei der Biathlon-WM
:Sogar Dahlmeier fürchtet ihren Zielsprint

Die deutschen Frauen gehen mit guten Medaillenchancen in die WM-Verfolgung - für Denise Herrmann, die erst seit drei Jahren Biathletin ist, ist die Strecke in Östersund wie gemacht.

Von Saskia Aleythe

Wenn sie jemals etwas gewinnen wollte im Biathlon, dann musste sie sich in Östersund gut anstellen, das war Herrmann schon vor dem WM-Start klar. Es ist ein Ort, mit dem sie die besten Erinnerungen verbindet, "hier muss ein bisschen positive Energie für mich herumschwirren", sagte sie selber. 2017 hatte sie hier im Weltcup den Sprint und die Verfolgung gewonnen. Die Loipe liegt ihr: anspruchsvoll, mit vielen Kurven und harten Anstiegen - niemandem kommt das so entgegen wie ihr. "Ich liebe die Runde einfach", sagte Herrmann schon am Donnerstagabend, da hatte sie gerade mit der Mixed-Staffel Silber gewonnen.

Für die erkrankte Dahlmeier war sie ins Team gerutscht und hatte dann ihre zweite Medaille als Athletin überhaupt gewonnen. 2014 konnte sie sich mit der Langlauf-Staffel Olympiabronze umhängen, wurde nun als Biathletin aber auch mal belohnt. "Da arbeitet man so lange drauf hin", sagte Herrmann. Und es war ja auch eine Bestätigung, dass ihre Entscheidung vor drei Jahren richtig war: es im vergleichsweise hohen Sportleralter von 27 Jahren doch noch an der Waffe zu versuchen. Wie viel Mut das gekostet hat? "Schon ein ganzes Stück", sagte sie nun, "ich war ja auch nicht unerfolgreich im Langlauf. Wenn man sich neue Herausforderungen sucht, kann dir nie jemand sagen, ob es funktioniert."

Und die Situation war 2016 ja auch kompliziert: Mit Dahlmeier und Franziska Preuß war gerade eine neue junge Generation in den Fokus gerückt, um die Zukunft des Sports sorgten sich in Deutschland wenige. "Ich war gleich in einer ziemlich starken Truppe in Ruhpolding unterwegs", erinnerte sich Herrmann, "das war am Anfang täglich Überforderung." Aber für sie genau der richtige Ansporn: "Jeden Tag war was Neues dabei - das ist immer noch so." Und vielleicht sind diese Reize dann auch der entscheidende Faktor, um immer noch Leistungssport zu betreiben.

Im Sprint am Freitag war Herrmann mit zwei Fehlern auf Rang sechs gelandet, ihren Rückstand von 24 Sekunden machte sie am Sonntag schnell wett. Vor dem zweiten Schießen ging sie schon in Führung, fiel im dritten durch zwei Fehler aber wieder zurück. Schwedens Mona Brorsson eilte davon, mit einer halben Minute Vorsprung auf Dahlmeier und Herrmann. Doch beim letzten Besuch am Schießstand zeigte die Schwedin jene Schwächen, die sonst Herrmann immer eingeholt hatten. Gleich vier Scheiben ließ Brorsson stehen, das hieß für Herrmann: freie Fahrt.

"Das hat sie sich verdient", erkannte dann auch Dahlmeier an, "sie hat viel dafür gearbeitet, viel dafür gemacht." Als die letzten Fragen beantwortet waren, schnappte sich Herrmann ein Telefon. "Ich muss erst mal die Mama anrufen", sagte sie und scherzte: "Bevor die alle besoffen sind daheim."

© SZ vom 11.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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