Trainer Uros Velepec:Erst ging es um Biathlon, dann ums Überleben

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Aus einem Kriegsgebiet auf friedliches Terrain: Der Slowene Uros Velepec betreut seit diesem Winter die deutschen Biathleten. (Foto: Matic Klansek/Gepa/Imago)

DSV-Trainer Uros Velepec war Coach der Ukraine, als dort der Krieg ausbrach. Noch im Frühjahr schleuste er 60 geflüchtete Nachwuchssportler in ein slowenisches Hotel. Über einen, der die Bedeutung des Sports neu vermessen hat.

Von Korbinian Eisenberger, Hochfilzen

Die Sonne steht über Tirol, Fahnen in Länderfarben wehen, Tröten und Glocken übertönen Biathlon-Gewehre. Ein Tribünen-Festival umrahmt den großen Sport bei diesem Weltcup in Hochfilzen. Unten am Schießstand geht es um ziemlich viel. Inmitten dieser Anspannung steht ein Mann mit Mütze und Jacke, er kommt gerade vom Sprint-Training der Männer. Anspannung? Ach, sagt er. "Ich will, dass die Jungs relaxed bleiben", meint er. "Und vor allem gesund."

Seit diesem Sommer gehört Uros Velepec zum Trainerstab der deutschen Biathleten. Ein Slowene an der Seite von Männer-Bundestrainer Mark Kirchner. Velepec kann sich in diesen Tagen auf die Kernelemente dieses Sports konzentrieren: zu vermitteln, wie man schnelles Laufen und präzise Schusseinheiten kombiniert. Das ist eine Erwähnung wert, weil der 55-Jährige vor nicht allzu langer Zeit genau daran gehindert wurde. Im Frühjahr war er noch als Cheftrainer der ukrainischen Nationalmannschaft angestellt. Bis Februar ging es in der Ukraine um Biathlon. Dann ging es ums Überleben.

Schießgewehre entzweien Völker, beim Biathlon tragen sie indes dazu bei, dass Nachbarn zusammenrücken. In der Mixed Zone ist Uros Velepec von französischen, schweizerdeutschen und osteuropäischen Stimmen umgeben, er selbst erzählt auf Englisch, obwohl er es auf Deutsch könnte, auch das hat einen Grund: mit Beginn dieser Saison haben die deutschen Biathletinnen und Biathleten erstmals Englisch zur Teamsprache erklärt. So erleichtern sie ihren neuen Co-Trainern die Arbeit. Der Norweger Sverre Olsbu Roiseland betreut seit dieser Saison die Frauen, Velepec die Männer.

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Klar geht es hier um den Sport, deswegen beantwortet Velepec artig Fragen, etwa nach dem Murnauer Shootingstar David Zobel. Dass der sich "durchs Nadelöhr" für den Weltcup-Kader qualifiziert habe, so knapp war es, und seither die Scheiben trifft, als sei er seit Jahren Stammgast. Einen Tag nach dieser Begegnung mit Velepec wird Zobel zeigen, dass er eben noch nicht Stammgast ist. Drei Fehler beim Stehendschießen im Sprint handelt er sich ein. Kein deutscher Biathlet gerät in Sphären wie die Vortagessiegerin Denise Hermann-Wick. Erfolgreichster Deutscher ist am Freitag Justus Strelow auf Rang neun, tags darauf schafft es die deutsche Staffel als Dritte dann jedoch aufs Podest. "Englisch ist einfacher, und Uros bringt neue Aspekte und neue Ideen mit rein", sagt Strelow im Sender ZDF. "Das können wir beim Training gut umsetzen."

Im Ernstfall gelingt das, wie am Freitag zu sehen, noch nicht restlos ideal. Aber was heißt schon Ernstfall, hier in der idyllisch gelegenen Biathlon-Anlage von Hochfilzen. In der Ukraine stand Velepec jahrelang in ähnlichen Biathlon-Stadien, etwa in Tschernihiw nahe der belarussischen Grenze, oft hat er dort zum Training gebeten. Er sagt: "Das haben die Russen gleich am Anfang zerstört."

"Wenn es klingelt, und keiner geht ran, vier, fünf Tage", sagt er, "das war für mich der größtmögliche Stress."

Zwischen Fans, Betreuern und Sportlern steht jetzt ein Mann mit ernstem Gesicht. Velepec erzählt, wie er nach Kriegsbeginn tagelang vergeblich versuchte, seine Athleten zu erreichen. Er wusste nicht, ob sie noch am Leben waren. "Wenn es klingelt, und keiner geht ran, vier, fünf Tage", sagt er, "das war für mich der größtmögliche Stress." Eine Woche dauerte es, ehe er alle lebendig und in relativer Sicherheit wusste. Seine nächsten Frage: "Was kann ich tun?"

Einige Telefonate später hatte Velepec einen Plan. In Abstimmung mit dem slowenischen Sportministerium und dem nationalen Olympia-Komitee mietete er ein Hotel in Pokljuka an, das saisonbedingt leer gestanden hatte, und verbreitete die Kunde per Handy in der ukrainische Biathlon-Szene. Das Hotel stellte Mitarbeiter, erhob Niedrigpreise, die slowenische Regierung zahlte mit. Wochen später war das Gebäude mit jungen geflüchteten Biathleten gefüllt, darunter 60 Minderjährige und eine schwangere Frau, erklärt Velepec. "Manche von ihnen wohnen heute noch dort."

Sport war für ihn fast alles. Als Biathlet hat er selbst an zwei Olympischen Spielen teilgenommen, ehe er einige Jahre als Triathlet unterwegs war. Die großen Erfolge kamen in seinen Trainerjahren, elf Jahre in Slowenien, ehe er von 2014 bis 2018 erstmals das ukrainische Frauenteam übernahm. Nach drei Jahren als Männer-Chefcoach in seiner Heimat kehrte er 2021 als Frauen-Cheftrainer in die Ukraine zurück. Nun war Sport nicht mehr alles: "Es ging nicht mehr um Biathlon."

Der Sport soll wieder voll im Fokus stehen - deshalb ist Velepec gewechselt

Ein gutes halbes Jahr später steht Velepec an einem Ort, von dem dieser Tage eine Heile-Welt-Aura ausgeht. Die Fans feiern nach zwei Jahren Corona-Pause ihre Rückkehr ins Stadion, die ukrainischen Athleten sind mit Frauen- und Männer-Team gekommen. Und auch wenn nur wenig Schnee auf dem 1000 Meter hohen Plateau zu finden ist, sind die internationalen Krisen hier kaum zu identifizieren.

Das hat der Sport so an sich, und auch deswegen ist Velepec gewechselt, aus dem Kriegsgebiet auf friedliches Terrain, wo der Sport wieder im Fokus steht. Mit den deutschen Chefcoach Mark Kirchner ist er vor 30 Jahren noch selbst gelaufen, damals waren sie Gegner. "Wir sind schon immer gut miteinander klargekommen", erklärt Kirchner. Velepec sei fachlich auf Augenhöhe, "das war mir wichtig".

Das deutsche Biathlon-Team also hat sich multikulturell aufgestellt, eine Mischung aus Thüringisch, Bairisch und Englisch ist im Teamhotel in Hochfilzen zu vernehmen. Wenn sie beim Frühstück alle zusammen hocken, kommt es zu Szenen wie Mittwochfrüh mit Frauen-Cotrainer Roiseland. Wie erklärt man einem Norweger auf Englisch den österreichischen Feiertag Mariä Empfängnis? Dem Vernehmen nach stieß die Frühstücksrunde hierbei an die Grenzen ihres Vokabulars.

Grenzerfahrungen helfen beim Einsortieren. Uros Velepec kennt Athleten, die unlängst im ukrainischen Kriegsbasislager waren, um ihr Land zu verteidigen. Was kann ich tun? Die Frage wird wiederkommen. Aber auf der Suche nach Antworten geht es für Velepec in diesen Tagen von Hochfilzen nicht mehr um Leben und Tod. Nur ums Gewinnen oder Verlieren.

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