Ole Einar Björndalen:Mr. Biathlon kann es nicht lassen

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Ole Einar Björndalen ist mit acht olympischen Goldmedaillen der erfolgreichste Biathlet aller Zeiten: In Ruhpolding steht der 48-Jährige für das norwegische Fernsehen vor der Kamera. (Foto: Korbinian Eisenberger)

Acht Olympiasiege, 20 Weltmeistertitel: Niemand war im Biathlon erfolgreicher als Ole Einar Björndalen. In Ruhpolding kehrt er als TV-Experte an die Strecke zurück - weil er als Nationaltrainer Chinas nicht weitermachen durfte.

Von Korbinian Eisenberger, Ruhpolding

Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um Ole Einar Björndalen, aber ohne Gewehr. Er ist kaum wiederzuerkennen, wie er verstohlen unter seiner Mütze hervorblinzelt. Fast unscheinbar wirkt dieser Mann, so ganz ohne Sportgerät über der Schulter und ohne jegliche Startnummer auf der Brust. Im blauen Mantel des norwegischen Senders TV2 sitzt er nun im Presse-Café und löffelt Chili con Carne. Er hat sich an einen Tisch gesetzt, über dem eine hölzerne Sportgewehrattrappe von der Decke baumelt - und ein Schild mit der Aufschrift "Stammtisch".

Björndalen war und ist so etwas wie ein Stamm- und Dauergast in Ruhpolding. Fünf Jahre ist es inzwischen her, seit er sein Gewehr eventuell an irgendeinen Nagel gehängt hat, obwohl er doch selbst so sehr an diesem Gerät hing. Oder besser: offenbar immer noch hängt. Er kann die Finger nicht so recht von dieser Sportart lassen, der Mr. Biathlon, wie ihn seine Fans einst ehrfürchtig nannten, und wenn seine Finger auch nur ein TV-Mikro umklammern. Nach drei Jahren Zwangspause sind die Anhänger dieses Sports ins Ruhpoldinger Stadion zurückgekehrt. Und mit ihnen der Größte, den diese Disziplin bisher hervorgebracht hat.

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179 Zentimeter Björndalen sitzen nun unter dem Zier-Gewehr. Acht Olympiasiege, 20 Weltmeistertitel, 94 Einzelsiege im Weltcup, mehr als jede und jeder andere hat er gesammelt, viel mehr. Seine Erfolgsstatistik sprach sich jedenfalls bis nach Asien herum, und so kam es kurz nach dem Ende seiner aktiven Karriere 2018 zu seinem ersten Trainer-Engagement. Zweieinhalb Jahre war der 48-Jährige zuletzt in China beschäftigt, als Nationaltrainer der dortigen Biathlonmannschaft. Im Frühjahr endete das Engagement, und so betätigt er sich nun als Fernsehexperte. Ja, sagt er, "es ist zuletzt einiges passiert".

Seine Zeit als Nationaltrainer in China hat Björndalen verändert

Björndalen erzählt von seiner Zeit in China, für die er nicht nur gefeiert wurde. Als sein Chefkritiker erwies sich John Peder Egenæs von Amnesty International Norwegen. "Wenn du ein wichtiges Amt in einem totalitären Staat übernimmst, musst du dir deiner Entscheidung bewusst sein", sagte Egenæs. "Unsere Aufgabe ist es zu erzählen, wie schlimm die Menschenrechtslage in China ist."

China hatte ja im Sinn, sich als Olympia-Gastgeber im Februar 2022 sportlich erfolgreich zu präsentieren. Biathlon war da eine perfekte Bühne und Mr. Biathlon Björndalen der perfekte Hauptdarsteller. "Ich habe mir das sehr gut überlegt, über viele Monate, bevor ich die Arbeit aufgenommen habe", sagt Björndalen nun. Die Menschenrechtsverletzungen der Chinesen gegen die Uiguren habe er als Cheftrainer durchaus thematisiert, "in vielen Gesprächen mit vielen interessanten Leuten". Man könne ja ein so großes Land nicht einfach ignorieren, sagt er. Für politische Eingriffe allerdings sehe er sich als Biathlet nicht sonderlich qualifiziert.

Als Sportler war Björndalen so erfolgreich wie kein anderer Biathlet. (Foto: Jens Meyer/AP)

Nicht zuletzt hat die Zeit in China ihn selbst verändert. Es war ja wie der Übertritt in eine neue Welt. Zeitweise hat Björndalen im großen Trainingszentrum unweit von Peking gewohnt. Kulturell sei das Leben dort "nicht mit Europa zu vergleichen", meint er, weder mit Norwegen, Deutschland oder Italien, wo er ja auch schon gelebt hat. In Südtirol sei die Bedeutung von Mahlzeiten enorm, "aber in China ist das noch viel größer". Die schonende Zubereitung von Gemüse, idealerweise begleitet von einer Peking-Ente. Man sah ihn des Öfteren in einem Pekinger Lokal speisen - und man würde ihn noch heute dort antreffen, hätte ihm nicht der Chinesische Sportverband die olympische Nachspeise versalzen. Nach den Spielen in Peking wurde das chinesische Biathlon-Team wieder abberufen. "Ich hätte gerne weitergemacht", sagt Björndalen. "Aber es gibt keine Mannschaft mehr."

Klimaschutz sei wichtig, sagt Björndalen: "Aber man darf die Produktion von Kunstschnee nicht verbieten."

Und so verbringt Björndalen wieder mehr Zeit mit seiner Frau Darja Domratschawa. Sie wohnen in Obertilliach in Tirol, wo sie es nicht sonderlich weit haben nach Ruhpolding oder Antholz, wo es am Donnerstag im Weltcup weitergeht. Zusammen mit dem WM-Ort Oberhof, sagt Björndalen, handele es sich hierbei um "die drei Diamanten" des Biathlonsports. Drei Diamanten, die allerdings nicht mehr ganz so weiß glänzen wie einst, weil zu wenig Schnee von Himmel fällt.

Das Café in Ruhpolding füllt sich, Uschi Disl sitzt jetzt am Nebentisch, Arnd Peiffer kommt herein, Magdalena Neuner und Sven Fischer stehen gerade am Experten-Mikro der ARD. Sie alle haben Ruhpolding noch als verlässliches Schneeloch erlebt. Nun müssen sich Sportler und Experten immer häufiger zur eventuell nicht mehr ganz so schneesicheren Zukunft des Wintersports äußern. Klimaschutz sei wichtig, klar, sagt nun Björndalen, "aber man darf die Produktion von Kunstschnee nicht verbieten". Die kostet ja viel Energie und Wasser, ist also nicht gerade umweltfreundlich. "Doch der Sport ist sehr, sehr wichtig für Leute", sagt er. Er meint die Sportler, ihre Fans und Standorte wie Ruhpolding. Und Ehemalige, die im Biathlon-Zirkus für immer einen Stammplatz garantiert haben.

Ole Einar Björndalen am Freitag bei der Staffel der Männer im Kommentatoren-Einsatz. (Foto: Korbinian Eisenberger)

Bei der Staffel am Freitag kommentiert Björndalen vor dem Schießstand live, wie seine norwegischen Nachfolger vor Deutschland gewinnen. In Ruhpolding beschäftigen sich nicht wenige mit der Frage, warum die deutschen Athleten hinter den Norwegern herlaufen. Überhaupt, diese Norweger. Nicht nur bei den Biathleten dominieren sie ja diesen Winter, auch bei den Alpinen und im Skisprung stehen sie auffällig häufig auf dem Stockerl. Die Erklärung sei komplex, sagt Björndalen, aber eines zeichne die Sportler seines Heimatlandes aus. "Die Menschen in Norwegen sind sehr risikobereit", sagt er. Viele junge Athleten würden Studienkredite aufnehmen. "Weniger für die Uni, sondern damit sie Sport machen können." Die Abschlussnote sei dann in der Regel ziemlich mies. "Einige kommen aber als große Sportler raus." Manche davon messen 1,79 Meter.

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