Biathlon in Hochfilzen:Meister der fallenden Scheiben

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Biathlon-Trainer Uros Velepec, 56, schätzt Namenswitze und bedient sich humoristisch auch sonst aus allen Regalen. (Foto: Christian Einecke/Imago)

Die deutschen Biathleten führen beide Gesamtweltcups an und treffen am Schießstand ungeahnt schnell und häufig ins Schwarze. Eine Erklärung liefert der neue Männer-Trainer Uros Velepec: Training im "Risikoschießen."

Von Korbinian Eisenberger, Hochfilzen

Über die Querverbindung des einstigen Darts-Großmeisters Phil "The Power" Taylor zum Ausdauerwintersport war bis dato wenig bekannt. Hergestellt hat sie nun ein Mann namens Philipp Nawrath, Vornamensvetter von Taylor und inzwischen als deutscher Biathlon-Siegläufer bekannt. Oder wie er seit Kurzem intern genannt wird: "Phil, the Power".

Die Zweitverwertung des Pfeilwurfspieler-Spitznamens hat Nawraths neuer Trainer Uros Velepec aus Slowenien vorgenommen, unter dessen Regie die deutschen Biathlon-Männer sich seit Frühjahr auf die neue Saison vorbereiten. Taylor hatte wegen seiner präzisen Würfe auf Scheiben mehr als 20 Jahre die Dartszene dominiert. Phil, die Macht und erste Kraft.

Insofern muss der Vergleich erlaubt sein: Nawrath wird am Freitag zum Biathlon-Sprint der Männer im österreichischen Hochfilzen (11.30 Uhr, ARD und Eurosport) im gelben Trikot des Gesamtweltcupführenden antreten, wie seine Teamkollegin Franziska Preuß bei den Frauen (14.25 Uhr, ARD und Eurosport). Mit dem Unterschied zum originalen "The Power", dass beide sehr selten als Nummer eins der Welt firmierten; Preuß ist jüngst erst zum zweiten Mal in ihrer Karriere im gelben Trikot unterwegs gewesen, genau wie Nawrath. "Wir machen den Norwegern Sorgen", sagt Trainer Velepec, "weil es nicht so leicht ist, wenn du weißt, mit einem Fehler im Schießen bin ich schon weg."

Deutsche Biathleten beim Saisonauftakt
:Plötzlich Gejagte in Gelb

Philipp Nawrath gewinnt im Alter von 30 Jahren in Östersund erstmals ein Weltcup-Rennen, er und Franziska Preuß beenden den Auftakt jeweils als Gesamtführende: Der starke Saisonstart der deutschen Biathleten macht sogar die Norweger "ein bisschen nervös".

Von Korbinian Eisenberger

Beobachter wie Beteiligte reagieren immer noch ungläubig ob dieser guten Form der deutschen Skijäger. Noch vergangene Saison pappten sie mit ihren Skiern teilweise gefühlt im Schnee fest, und auch die schwarzen Zielscheibchen schienen bisweilen wie verklebt zu sein. Scheibenkleister, wieder nix, so ließ sich jedenfalls die Biathlon-WM von Oberhof aus Sicht der deutschen Männer zusammenfassen: erstmals seit 1976 keine WM-Medaille. Nach Saisonende erklärte Männer-Bundestrainer Marc Kirchner, 53, aus privaten wie sportlichen Gründen seinen Rücktritt. Er wolle den Weg frei machen, damit die Nachfolger "Impulse neu setzen können und das Team verjüngen, damit es in der internationalen Spitze bestehen kann".

Uros Velepec coachte das Biathlon-Team der Ukraine, als dort der Krieg ausbrach

Kirchners Platz nahm alsbald der bisherige Co-Trainer ein: Uros Velepec, 56 Jahre alt, ein Mann, der Namenswitze schätzt und sich humoristisch auch sonst aus allen Regalen bedient, in Östersund sah man ihn nahezu ausschließlich verschmitzt unter seiner Mütze feixend. Nun, sagt er, es sei schon auch "ein bisschen Glück, dass die anderen Athleten so gemischt getroffen haben". Höflich für: selten ins Schwarze. Schwer zu erahnen, dass Velepec erst kürzlich eine sehr finstere Zeit durchmachte.

Auf den Tag vor einem Jahr stand hier in Hochfilzen zwischen jubelnden Fans ein Mann mit ernstem Gesicht. Velepec hatte kurz zuvor seine Stelle als Co-Coach beim Deutschen Skiverband (DSV) angetreten. Doch die vorangegangenen Erlebnisse wirkten nach. Wie sollte es auch anders sein? Velepec war zuvor Cheftrainer der ukrainischen Biathleten gewesen und erzählte nun, wie er nach Kriegsbeginn tagelang vergeblich versucht habe, seine Athleten zu erreichen. Er wusste nicht, ob sie noch am Leben waren. "Keiner geht ans Handy ran, vier, fünf Tage", hatte er damals noch auf Englisch berichtet. Eine Woche dauerte es seinerzeit, ehe er alle lebendig und in relativer Sicherheit wusste. Einige Telefonate später hatte Velepec einen Plan.

In Abstimmung mit dem slowenischen Sportministerium und dem nationalen Olympia-Komitee mietete er ein Hotel in Pokljuka an und verbreitete die Kunde per Handy in der ukrainische Biathlon-Szene: Das Hotel stelle Mitarbeiter, erhebe Niedrigpreise, und die slowenische Regierung zahle mit. Wochen später war das Gebäude mit jungen, geflüchteten Biathleten gefüllt, darunter 60 Minderjährige und eine schwangere Frau. "Einige der Athleten sind noch immer im Hotel", erklärt Velepec am Donnerstag auf Nachfrage. "Die meisten Kinder sind inzwischen in umliegenden Orten untergekommen."

Sport war für Velepec fast alles. Als Biathlet hat er selbst an zwei Olympischen Spielen teilgenommen, ehe er sich als Triathlet durch die Welt trieb. Die großen Erfolge kamen als Trainer, er war elf Jahre in Slowenien tätig, ehe er von 2014 bis 2018 erstmals das ukrainische Frauenteam übernahm. Nach drei Jahren als Männer-Chefcoach in seiner Heimat kehrte er 2021 als Frauen-Cheftrainer in die Ukraine zurück. Nun war Sport nicht mehr alles: "Es ging nicht mehr um Biathlon."

Die Scheiben fallen bei den deutschen Biathleten wie unlängst der Schnee über Bayern

Eineinhalb Jahre später steht Velepec im Schnee von Hochfilzen, das dieser Tage die Umschreibung Winterwunderland verdient hat. Die internationalen politischen Krisen sind hier kaum zu identifizieren, was im Biathlon erlaubt ist, mehr noch, vielleicht ist das eine der größten Stärken allen Sports generell: das Ab- oder eben Einschalten können, sei es als Athlet, Tribünengast oder TV-Zeuge.

Die sahen zuletzt zehn deutsche Podest-Errungenschaften in zehn Rennen. Eine Erklärung: Die DSV-Skitechniker kamen von allen Mitbewerbern mit dem neu eingeführten Fluorwachsverbot im Biathlon am besten zurecht, dafür sprechen die schnellen Loipenzeiten der Deutschen, die zuvor meist weit hinter den Skandinaviern gelegen hatten. Nicht erklärt sind damit die neuerlich astreinen Schießeinlagen.

Die Scheiben fallen bei den deutschen Biathleten wie unlängst der Schnee über Bayern. Mit dem Unterschied, dass hier gilt: je mehr, desto schneller geht es voran. Auffällig war zudem, dass etwa Athleten wie Nawrath und Vanessa Voigt in Östersund mit deutlich schnellerer Frequenz als in der Vorsaison schossen, also mit weniger Pause zwischen den Schüssen. Und zwar offenbar mit Kalkül: "Wir haben schon im Mai mit diesem Risikoschießen gestartet", berichtet Velepec vor der Fortsetzung in Hochfilzen, inzwischen auf Deutsch. Risikoschießen heißt: schnell abfeuern und dadurch Zeit sparen - aber die Chance auf Fehlschüsse und damit Strafrunden erhöhen. Oder eben wie Nawrath, Voigt, Franziska Preuß, Justus Strelow und Roman Rees es unlängst interpretierten: den Sieg vor Augen haben, so wie einst der Scheiben-Liebhaber Phil "The Power" Taylor.

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