Benedikt Höwedes bei Schalke:Flucht aus gekränktem Fußballerstolz

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Von Schalke gekränkt: Benedikt Höwedes. (Foto: dpa)
  • Ein Idol verlässt Schalke 04: Benedikt Höwedes will zu Juventus Turin wechseln.
  • Ein Grund ist, dass der neue Trainer ihm das Kapitänsamt entzog.
  • Verlassen noch weitere Eigengewächse den Klub?

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Von der Insel schickte Sead Kolasinac am Sonntag einen Gruß an seinen alten Klub. "Gib Gäs", schrieb er unter ein Foto, für das er ein weißes T-Shirt der Schalker Ultras angezogen hatte. Diese waren allesamt in Kostümierung beim Auswärtsmatch in Hannover erschienen, was aber ebenso wenig geholfen hat wie die Aufmunterungen des vormaligen Linksverteidigers. Bei den 96ern verlor Schalke 0:1, während Kolasinacs neuer Klub FC Arsenal ein 0:4 beim FC Liverpool ertragen musste. Ein Schalker hatte trotzdem gewonnen: Liverpools Stammverteidiger Joel Matip. Auch er lässt immer wieder wissen, dass er den Verein nicht vergessen hat, dem er in Kindertagen beigetreten ist.

Einmal Schalker, immer Schalker - dieses Lebensmotto gilt nicht nur für die passiven Gemeindemitglieder, sondern auch für die prominenten Spieler, die in der weiten Fußballwelt die hervorragende Nachwuchsschule des Gelsenkirchener Bundesligaklubs repräsentieren. Mesut Özil, Manuel Neuer, Julian Draxler und Leroy Sané sind in London, München, Paris und Manchester immer irgendwie Schalker geblieben. Allerdings muss es dem Verein Sorgen machen, dass die Zahl der bekennenden Schalker in der Ferne allmählich weitaus größer ist als die der echten Schalker in der aktuellen Mannschaft.

Heidel: "Nur noch kleine Details"

Wie es aussieht, wird sich nun auch Benedikt Höwedes, 29, der Kolonie der Auswanderer anschließen. Der Wechsel des Nationalspielers zu Juventus Turin nimmt konkrete Formen an, mit der Einigung der drei Parteien vor dem Schließen des Transferfensters am Donnerstag sei zu rechnen, hieß es aus dem Verein. Alle Seiten wollen den Handel, deswegen kommt er wohl auch zustande, "nur noch kleine Details" seien zu klären, sagte Manager Christian Heidel am Dienstag. Finanzielle Einzelheiten sind noch nicht bekannt, die Gazzetta dello Sport dürfte aber nicht falschliegen, wenn sie die finale Ablösesumme auf circa 15 Millionen Euro beziffert.

Für Juventus wäre das eine preisgünstige Lösung, nachdem der Stammverteidiger Leonardo Bonucci kürzlich zum AC Mailand wechselte: Als 30-Jähriger brachte er eine Ablösesumme von 42 Millionen Euro ein. Zwar hat Heidel zu verstehen gegeben, er werde keinen Preisnachlass aus moralischen Gründen gewähren, sein Dilemma aber ist offensichtlich. Wie würde es aussehen, wenn man sich auf ein - womöglich öffentliches - Feilschen einließe und der Transfer des vermeintlich verprellten Helden noch platzen sollte?

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Für viele Anhänger ist die Nachricht von Höwedes' Weggang ein harter Schlag, für den Klub und seinen neuen Trainer Domenico Tedesco könnte er zu einer Belastungsprobe werden. Am Sonntag in Hannover war der vormalige Kapitän aus der Kurve mit Sprechchören gefeiert worden, Sympathisanten breiteten ein Banner aus, auf das sie eine Mahnung geschrieben hatten: "Respektvoller Umgang mit einem verdienten Spieler."

Während der Partie hatte Höwedes auf der Ersatzbank gesessen. Eine Fernsehkamera fing ein, wie er einmal wütend aufsprang, als ein Schalker Spieler gefoult wurde. Einmal Schalker, immer Schalker - diese Devise gilt bestimmt auch für Höwedes, doch schwerer wiegt offenbar die Kränkung darüber, dass ihm der neue Trainer binnen weniger Tage den Denkmalschutz entzog, indem er ihm die Kapitänsbinde wegnahm und den Stammplatzstatus infrage stellte.

Als Höwedes vor zwei Jahren die Wahl hatte, seine Fußballer-Karriere um das Erlebnis eines Auslandsengagements zu bereichern - Arsenal und der AC Mailand machten konkrete Angebote -, entschied er sich zum Bleiben. Ein halbes Jahr später verlängerte er noch mal das Gelöbnis auf Schalke, das nun bis ins Jahr 2020 dauern sollte. "Ich habe den Vertrag mit pochendem Herzen unterschrieben. Die Kohle geht, die Kumpel bleiben", zitierte ihn der Klub in einer Mitteilung. Diese schmerzhaft schmalzige Formulierung dürften ihm zwar die Marketingleute in den Mund gelegt haben, tendenziell war die Aussage jedoch ernst gemeint. Höwedes glaubte tatsächlich, dass er seine Heimat, das Ruhrgebiet, nicht verlassen müsste, um das Fußballerglück zu finden (und auch auf Schalke wurde er ja gut honoriert).

Jetzt wundern sich die Leute, die ihn lange kennen, dass er gleich mit dem Kofferpacken beginnt, da das erste Mal seine Honoratiorenstellung angekratzt wird. Höwedes hat schnell Tatsachen geschaffen, als Tedescos Pläne Gestalt annahmen, die Startelf erst mal ohne ihn zu formieren, sondern mit Thilo Kehrer, Naldo und Matija Nastasic in der Abwehrreihe. Die Entwürfe des Trainers fasste er als Demontage auf, aber er reagiert darauf nicht mit der Kämpfermentalität, die ihn auf dem Platz immer ausgezeichnet hat, sondern mit der Flucht aus gekränktem Fußballerstolz. Während sich Tedesco und Heidel noch darum mühten, den Fall zu beruhigen, erfuhr das Publikum bereits vom Wechselwunsch des Nationalspielers. Seine Berater forschten nach einem neuen Arbeitgeber und brachten Juventus an. Zurück bleibt der Verein, dem außer dem wichtigen Mitarbeiter auch eines der letzten verbliebenen Idole abhandenkommt. Max Meyer und Thilo Kehrer könnten die nächsten Knappenschmiede-Absolventen sein, die mittelfristig das Weite suchen. Im Hintergrund mehren sich die Anzeichen dafür.

So ist das Fußballgeschäft. Aber Schalke 04 will seinem Publikum mehr bieten als das Fußballgeschäft. Weshalb der Trainer Tedesco den falschen Ton traf, als er in Richtung Höwedes erklärte, man sollte "Reisende nicht aufhalten". Diese besondere Herausforderung am Anfang seiner Karriere als Bundesligatrainer hat sich Tedesco selbst geschaffen.

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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