Ein Tor des Dortmunder Profis Thorgan Hazard hat ein lange zähes Spiel aus der Lethargie gerissen - und Belgiens Weg ins Viertelfinale der Europameisterschaft gebahnt. Sein flatternder Gewaltschuss aus der Schlussphase der zuvor extrem ereignisarmen ersten Halbzeit von Sevilla war für die Belgier nicht nur der erste Sieg nach zuvor fünf Partien ohne Triumph gegen den nunmehr entthronten Titelverteidiger, sondern gleichbedeutend mit einem Ticket nach München. Belgien trifft dort auf Italien. Der einzige Wermutstropfen: Trainer Roberto Martínez muss womöglich ohne die verletzungsbedingt ausgewechselten Offensivkräfte Kevin De Bruyne (Manchester City) und Eden Hazard (Real Madrid) auskommen.
Als am Morgen die 125 katholischen Kirchen der Stadt zur Messe riefen, schien das Wetter den Interessen der Belgier entgegenkommen zu wollen. Der Himmel war bedeckt wie sonst nur in Brüssel. Über den Tag aber brach die Sonne durch die Wolken und jagte die Menschen an die Pools der Stadt. Das Spiel begann, immerhin, als die Sonne wieder verschwunden war. Doch das änderte nichts daran, dass beide Mannschaften die Partie begannen, als würden sie mit einer Zigarre zwischen Zeige- und Mittelfinger flanieren.
Zumindest wirkte ihr Auftreten so, und es war kaum auszumachen, ob das wirklich Teil der Pläne der beiden Trainer oder doch dem Umstand geschuldet war, dass beide Mannschaften gut gestaffelt standen und kaum Räume zuließen. Von der Anlage her waren eher die Portugiesen darauf aus, das Spiel in den Schlaf zu wiegen - um dann doch zuzuschlagen. Überraschend, schnell, konsequent. Das jedoch gelang nur selten, in der ersten Halbzeit nur ein einziges Mal, als der frühere Bayern-Profi Renato Sanches im Mittelfeld einen Zweikampf gegen Youri Tielemanns gewann und auf der linken Seite Diogo Jota einsetzte. Der Stürmer des FC Liverpool verzog allerdings.
Gefährlicher war da schon ein Freistoß vom Rekordakkumulator Cristiano Ronaldo aus spitzem Winkel (22. Minute), den Real Madrids belgischer Torwart Thibaut Courtois mit Mühen, aber letztlich brillant parierte. Von den Belgiern hingegen nahm niemand recht Notiz, bis der Dortmunder Thomas Meunier aus 20 Metern von rechts mit dem Außenrist aufs Tor zog und den Ball fast im linken Außenwinkel versenkte. Und natürlich, bis Thorgan Hazard Portugals Torwart Rui Patrício mit einem Spannschuss überraschte und in der 42. Minute Belgiens Führung erzielte.
Kevin De Bruyne muss verletzt raus
Die Freude darüber währte nicht lange. Kurz vor der Pause trat Palinha den Belgier Kevin De Bruyne von hinten nicht nur um - er klemmte seinen Unterschenkel mit beiden Beinen ein. De Bruyne krümmte sich vor Schmerz. Felix Brych, der zuvor schon bei einem Duell zwischen Palinha und dem belgischen Stürmer Lukaku milde Gelb hätte zeigen können, beließ es bei einer Verwarnung. Nach dem Wiederanpfiff hielt De Bruyne nur zwei Minuten durch.
Das änderte die Dynamik der Partie von Grund auf. Die Belgier ließen sich zurückfallen, kopierten im Grunde die Ausrichtung der Portugiesen aus der ersten Halbzeit. Europameister-Trainer Fernando Santos wiederum wechselte offensive und phantasievolle Spieler ein: Bruno Fernandes und João Félix, später auch Frankfurts André Silva. Der Ertrag aber war karg. Nach einer vor Willen nur so strotzenden Vorarbeit von Ronaldo schoss Diogo Jota aus elf Metern übers Tor (58.). Das erhöhte die Nervosität der Portugiesen, und führte letztlich dazu, dass dem nur bedingt souveränen deutschen Schiedsrichter das Spiel fast vollends entglitt.
Pepe hat gegen Ende seinen Auftritt
Und zwar sehr, dass Portugals Innenverteidiger Pepe einen Auftritt hatte, der an seine alten Zeiten gemahnte, als er als Raubein Weltruhm erlangte. Weil Thorgan Hazard weiterspielte, obschon das Spiel unterbrochen war, ließ Pepe den Belgier nicht nur auflaufen, er rammte ihn auch den Ellbogen unters Kinn.
Dann kamen die Portugiesen doch zu Chancen. Nach einer Ecke jagte Rubén Dias den Ball per Kopf aufs Tor, Torwart Courtois parierte stark (81.). Danach traf Dortmunds Raphael Guerreiro aus 18 Metern nur den Pfosten. Hazard musste sich auswechseln lassen, der Oberschenkel zwickte. Am Ende war der einzige Trost, dass der in einer erbitterten Abwehrschlacht verteidigte Sieg in der Nachspielzeit nur noch durch einen knapp verzogenen Fernschuss von João Félix in Gefahr geriet - und doch in den Händen der Belgier blieb.