Beachvolleyball bei den European Championships:Endlich frei sein im Sand

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Schon schön: Das Beachvolleyballfeld auf dem Münchner Königsplatz. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Louisa Lippmann galt als beste deutsche Hallenspielerin, fühlte sich aber eingeengt. Nun startet sie im Beachvolleyball mit Kira Walkenhorst bei der EM und will mit Laura Ludwig zu Olympia. Über einen Rollenwechsel, der Mut erfordert.

Von Sebastian Winter, München

Es ist ja selbst für abgebrühte Beachvolleyballerinnen ein spektakulärer Weg, den sie da ins Stahlgerüst-Stadion am Münchner Königsplatz nehmen. Unter den mächtigen Säulen der Staatlichen Antikensammlung, diesem neoklassizistischen Prunkbau, der in der Art eines korinthischen Tempels errichtet wurde, laufen sie ins 5000 Zuschauer fassende Rund, bevor sie den Sand unter den Füßen spüren. Für Louisa Lippmann war es ein Gänsehautmoment, als sie am Dienstagnachmittag diesen Weg in die Arena ging. Vor so einer Kulisse hat sie noch nie gespielt im Sand.

Kira Walkenhorst, ihre Partnerin bei dieser Europameisterschaft in München, ist den ohrenbetäubenden Lärm auf dem Center-Court gewohnt. Walkenhorst, 31, Olympiasiegerin, Welt- und Europameisterin mit Laura Ludwig, gab am Dienstagnachmittag gegen die Titelverteidigerinnen aus der Schweiz, Nina Brunner und Tanja Hüberli, nach vier Jahren Pause und der Geburt ihrer Drillinge ihr internationales Comeback. Lippmann, 27, hingegen hat in diesem Sommer zum ersten Mal überhaupt ein Turnier der deutschen Serie gespielt. Eigentlich war sie jahrelang Führungsfigur und schlaggewaltige Diagonalangreiferin der deutschen Nationalmannschaft - und eine der wenigen deutschen Spielerinnen, die bei ausländischen Spitzenklubs reüssierte. Eine Weltenbummlerin im Hallenvolleyball, in Florenz, Shanghai oder Kaliningrad, wo sie 2021 russische Meisterin wurde. In diesem Frühjahr hat die fünfmalige Volleyballerin des Jahres mit Scandicci den europäischen Challenge-Cup gewonnen.

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Diese Konstellation ist schon sehr besonders, zumal das Duo auch deswegen nicht so recht zusammenpasst, weil sie beide Blockerinnen sind. Aber sie wollen internationale Punkte sammeln, Walkenhorst für ihre Rückkehr, Lippmann für ihren Start als Beachvolleyball-Profi. Praktischerweise haben sie vom europäischen Volleyball-Verband eine Wildcard bekommen für dieses Turnier, das zugleich ihr vorerst letztes gemeinsames ist. Denn Lippmann macht sich künftig ausgerechnet mit Walkenhorsts ehemaliger Partnerin Laura Ludwig auf in Richtung Olympische Spiele 2024 in Paris - Walkenhorst möchte erst nach der deutschen Meisterschaft in Timmendorfer Strand über ihre Zukunft entscheiden.

Gegen Brunner und Hüberli spielte das ungleiche Duo in der Münchner Hitze anfangs erstaunlich gut, mit einer 4:1-Führung gingen die Außenseiterinnen in den ersten Satz, den sie ganz knapp mit 19:21 verloren. Im zweiten Satz (21:9) hatten die Schweizerinnen das Spiel allerdings im Griff. "Die Kulisse war geil, das ist Beachvolleyball. Im ersten Satz haben wir uns auch gut verkauft", sagte Lippmann nach der Partie. Am Morgen darauf zogen sie durch einen 2:1-Erfolg gegen zwei Litauerinnen in die K.o.-Runde ein.

Irgendwann teilte sie mit: "Mein Wunsch nach mehr Selbstbestimmung und Individualität beginnt jetzt!"

Dass Lippmann überhaupt seit ein paar Monaten ihr Glück im Sand versucht, kam für viele überraschend. Unvermittelt war sie Ende April vom Hallenvolleyball zurückgetreten. Sie habe "leider nicht die großen Erfolge, von denen ich immer geträumt habe" erreicht, "für mich ist diese Reise nach Höhen und Tiefen vorerst beendet", berichtete sie auf Instagram. Nicht viel später kündigte sie an, Beachvolleyballerin werden zu wollen: "Mein Wunsch nach mehr Selbstbestimmung und Individualität beginnt jetzt!"

"Für mich beginnt ein neues Kapitel": Louisa Lippmann klatscht am Dienstagnachmittag bei ihrem ersten internationalen Auftritt im Sand in München mit Partnerin Kira Walkenhorst ab. Ihr erstes Gruppenspiel bei der EM endete 0:2. (Foto: Tom Bloch/Beautiful Sports/Imago)

Ein tiefes Verlangen ist in diesen Sätzen zu spüren, sich im Spitzensport freier bewegen zu wollen. In der Halle fühlte sich Lippmann im Winter oft eingepfercht in ihrem Klub, mit dem großen Kader und dem noch größeren Funktionsteam drumherum. Im Sommer ging es dann zur Nationalmannschaft, wo sie sich wieder eingeengt fühlte. Dem Vernehmen nach fehlte ihr im Hallenvolleyball bei mancher Mitspielerin oft auch der letzte Ehrgeiz, es ganz nach oben zu schaffen. Bei der WM 2018 wurde sie mit der DVV-Auswahl Elfte, in der Olympia-Qualifikation für Tokio scheiterte Deutschland im entscheidenden Finale - eine riesige Enttäuschung auch und gerade für Lippmann.

Seit Juni trainiert sie nun am Stützpunkt in Hamburg, wohin auch Laura Ludwig nach ihrer derzeitigen Babypause im Herbst zurückkehren wird. Und wo sich ein kleines, hochprofessionelles Team um sie kümmert und ganzheitlich schult, in Technik, Taktik, Kraft, Wahrnehmung, Psychologie. Lippmann kann sich ihre Zeit nun ganz anders einteilen als in der Halle, sie genießt diesen neuen Weg, der sie nun aber auch in eine vollkommen andere Sportart führt. "Schon alleine der psychische Druck, der auf einem lastet: Man kann nicht einfach ausgewechselt werden wie in der Halle, man muss immer annehmen, angreifen, es gibt keine sechs Leute auf dem Feld", sagt Olympiasieger Jonas Reckermann der SZ, der in München als Kommentator fürs ZDF arbeitet: "Und das Spiel ist draußen ein anderes, man hat es am Montagabend gesehen, als der Wind aufkam. Da hätte jede Hallenspielerin ein Problem."

Im Februar spielte Lippmann noch für ihren italienischen Klub Scandicci Hallenvolleyball. (Foto: Lisa Guglielmi/Zuma Press/Imago)

Aber Lippmann profitiert von ihrer enormen Athletik, von ihrem 1,90 Meter langen Körper, der ihr gegen Brunner und Hüberli auch mehrmals bei erfolgreichen Blocks half. Aber manchmal sah man schon noch, dass ihr die Erfahrung fehlt: Wie bei einem schlechten Baggerzuspiel, das ihr wegrutschte, übers Netz flog und von den dankbaren Schweizerinnen direkt verwertet wurde. "Ich habe zehn Jahre in der Halle gespielt und spiele jetzt erst seit zweieinhalb Monaten. Da fehlt noch ganz viel", gab Lippmann nach dem Spiel zu.

Viel Zeit hat sie nicht auf dem Weg nach Paris. Laura Ludwig aber vertraut ihr, wie sie schon Margareta Kozuch vertraut hatte, mit der sie vor den Spielen 2021 in Tokio ein Duett eingegangen war - und die wie Lippmann eine Hallenspielerin war, die ihr Glück im Sand suchte. Die aber, wie Kenner der Szene sagen, nicht ganz den Biss und den unbedingten Willen von Lippmann hat. Fünfte wurden Kozuch und Ludwig dann in Tokio.

Für Ludwig und Lippmann beginnt nun auch ein Wettlauf gegen die Zeit. Zeit, die sie eigentlich nicht haben, weil Anfang 2023 schon für die Olympia-Qualifikation relevante Turniere warten. "Ich muss mich wieder in meine Form zurück arbeiten - und Louisa muss am Switch von der Halle in den Sand arbeiten", sagte Ludwig kürzlich. Aber sie will Lippmann Paris zeigen. Auch weil sie spürt, dass da eine mit ihr arbeiten möchte, die im Sand gefunden hat, was ihr in der Halle fehlte.

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