Bayern-Profi Toni Kroos:Lässig wie Micoud und Xavi

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Mario Gomez trifft, Franck Ribéry wirbelt - dennoch ist Toni Kroos bislang die wichtigste Personalie der Bayern-Saison. Sein Mentor Jupp Heynckes hat ihn zum Prinzregenten des Münchner Offensivspiels gemacht. Ob Präsident Uli Hoeneß demnächst sein überfälliges Versprechen einlöst?

Carsten Eberts und Jürgen Schmieder

Die wichtigste Szene für Toni Kroos gegen den 1. FC Nürnberg ereignete sich eine Viertelstunde vor Schluss. Die Partie war längst entschieden, mancher Journalist las auf der Pressetribüne den Kulturteil einer Zeitung, Kroos hatte sich mit einer Torvorlage eine persönliche statistische Note erarbeitet. In der 74. Minute wurde er dann ausgewechselt, was Kroos angesichts der kniffligen Champions-League-Partie am Mittwoch gegen den SSC Neapel als positives Indiz werten darf: Trainer Jupp Heynckes erachtet ihn als wichtigen Spieler, dessen Schonung sich lohnt.

Chef der bayerischen Offensive: Toni Kroos (Bildmitte). (Foto: Reuters)

"Es war gut, dass wir das Spiel früh entschieden haben, denn am Mittwoch geht es ja schon weiter", sagte Kroos hinterher: "Wir haben Hannover abgehakt, im Pokal schon eine gute Reaktion gezeigt und heute auch. An Selbstbewusstsein fehlt es uns nicht."

Lobeshymnen auf die formidable Leistung der Münchner überließ er Verantwortlichen wie Präsident Uli Hoeneß oder Trainer Jupp Heynckes, die Warnung vor den Stärken kommender Gegner erfahreneren Mitspielern wie Philipp Lahm oder Mario Gomez.

Probleme mit Klinsmann und van Gaal

Dennoch ist Kroos bislang die Bayern-Personalie der Saison. Dass Gomez das Tor treffen würde - klar. Dass Trainer Heynckes mit einer manchmal divenhaften Figur wie Franck Ribéry würde umgehen können - auch klar. Doch Heynckes hat es ebenfalls geschafft, Toni Kroos nicht nur in diese Mannschaft zu integrieren, sondern ihn zum Initiator zahlreicher Angriffe zu erklären. Für das lockerleichte Spiel der Münchner ist dies die wichtigste Nachricht.

Lange sah es so aus, als würde Kroos beim FC Bayern nicht so recht glücklich werden. Mit 16 Jahren war Kroos von Hansa Rostock nach München gewechselt, Uli Hoeneß verkündete bald, dass die Rückennummer "10" für ihn reserviert sei. Als Kroos in den Männerbereich wechselte, erhielt er jedoch zunächst kaum Spielpraxis, sein Vater und Berater Roland Kroos wütete öffentlichkeitswirksam in Richtung von Trainer Jürgen Klinsmann, der "keinen richtigen Plan" habe, "damit sich Toni weiterentwickelt".

Das Klinsmann-Experiment hatte der FC Bayern alsbald beendet, Kroos verließ den Klub dennoch, auf Leihbasis nach Leverkusen, wo er sich unter dem Trainer Heynckes eiligst zu einem der stärksten offensiven Mittelfeldspieler der Liga entwickelte. Die Bayern beobachteten dies aufmerksam, beorderten Kroos unter Louis van Gaal zurück, der jedoch wie Klinsmann nicht viel vom Jung-Nationalspieler hielt und ihn lediglich hin und wieder auf der Sechserposition einsetzte. Wo Kroos' offensives Potential eher verschenkt war.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Wuselige Vertreter der Chaos-Theorie

Frank Ribéry und Thomas Müller wühlen und wursteln in Bestform, Rafinha und Philipp Lahm agieren unmenschlich konstant. Mario Gomez jagt den Gerd-Müller-Rekord und darf seine Mitspieler mit einem lustigen Spruch nerven. Die Bayern beim 4:0 gegen Nürnberg in der Einzelkritik.

Jürgen Schmieder, Fröttmaning

Freilich lag der verspätete Durchbruch auch an Kroos, der wie viele junge Akteure auf dem Spielfeld häufig falsche Entscheidungen traf. Er schoss, wenn er hätte dribbeln können. Er dribbelte, wenn er hätte abspielen sollen. Er spielte ab, wenn er hätte schießen können. Auf die reservierte Rückennummer "10" sagte er damals unterkühlt: "Mir ist es egal, mit welcher Nummer ich in München auf der Bank sitze."

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Kroos hätte den Klub wohl früher oder später verlassen, den FC Bayern als unschönes Kapitel abgehakt, wäre irgendwo anders glücklicher geworden - und ein anderer Verein wäre glücklich gewesen, ihn zu haben. Dann jedoch kam Heynckes nach München. Es kam der Umstand dazu, dass die aktuelle Nummer "10" des Klubs, Arjen Robben, mal wieder verletzt ist. Und so setzte der Trainer von Beginn an auf Kroos, vermachte ihm den zentralen, offensiven Arbeitsplatz im Bayern-Mittelfeld. Und der dribbelt inzwischen, wenn er dribbeln soll. Er spielt ab, wenn er abspielen kann. Er schießt, wenn er schießen muss. Und der FC Bayern ist sehr glücklich, ihn zu haben.

Wer wollte, konnte sogar zusehen, wie Kroos von Woche zu Woche besser wurde. Mit Bastian Schweinsteiger harmoniert er herausragend: Wenn die beiden im Mannschaftshotel pokern, gewinnt wahrscheinlich keiner - weil beide wissen, was der andere denkt. Wenn Kroos vorne dirigiert, bleibt Schweinsteiger zusammen mit Anatolij Timoschtschuk hinten. Oder Kroos sichert seine Kollegen ab, wenn diese ihren Vorwärtsdrang entdecken. Lange hatte der FC Bayern kein solch formidables Mittelfeld-Dreieck mehr.

Den vorläufigen Höhepunkt von Kroos' Leistungsfähigkeit erlebte das Publikum beim Champions-League-Auswärtsspiel beim SSC Neapel. Noch bevor sich der anfängliche Nebel gelichtet hatte, ließ Kroos das höllisch laute Stadio San Paolo verstummen, als er den Ball nach 96 Sekunden im Tor der Neapolitaner unterbrachte. Und zwar auf jene Art, wie er zuvor auch in der Bundesliga agiert hatte: unglaublich lässig, technisch sicher, mit enormer Präzision. Es wirkte, als denke Kroos einfach schneller als die anderen 21 Spieler auf dem Platz. In etwa so wie zu Glanzzeiten Johan Micoud, der frühere Bremer, sein großes fußballerisches Vorbild.

Nach dem Spiel agierte Kroos wie zuvor auf dem Platz: weitsichtig und ohne Schnörkel. Mit einem Lächeln über seinem Bart-Flaum erklärte Kroos: "Es ist heutzutage wichtig, dass man solche Bälle mit der ersten Ballannahme mitnimmt. Es gibt nicht viele Spieler, die das können."

Götze? Özil? Kroos?

Das hat auch Bundestrainer Joachim Löw erkannt. Während sich die meisten über die Dribblings von Mario Götze oder die Übersicht von Mesut Özil erheben, scheint Löw in Kroos einen Lieblingsspieler gefunden zu haben. Einen wie Xavi vom FC Barcelona, der die Glanzpunkte anderen überlässt, das Spiel jedoch schnörkellos gestaltet und lenkt. "Er hat noch mal einen Schritt nach vorne gemacht", sagte Löw kürzlich über Kroos. Der kommt derzeit zwar meist zum Einsatz, wenn ein anderer eine Pause braucht - doch hört man Löw aufmerksam zu, dann könnte bei der EM ein anderer nur spielen dürfen, wenn Kroos eine Pause braucht. Weil Löw nicht um ihn herum kommt.

Das sieht auch Jupp Heynckes so. "Fußballerisch ist das, was er spielt, eine Delikatesse", urteilte der Trainer kürzlich. Nun muss nur Uli Hoeneß sein Versprechen einhalten und Kroos ein Trikot mit der Nummer 10 überreichen (statt der Nummer 39), die Micoud früher in Bremen hatte.

On der aktuelle "Zehner" Arjen Robben das akzeptieren könnte? Kroos selbst würde vermutlich erklären: Es ist mir egal, mit welcher Nummer ich das Spiel des FC Bayern lenke.

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