Bayern-Remis gegen Leipzig:Nachlässigkeiten als gefährliches Muster

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Niklas Süle wirkt derzeit nicht immer sicher in der Defensive des FC Bayern. (Foto: dpa)

Das Münchner 3:3 gegen RB Leipzig ist ein fußballerisches Spektakel, an dem Trainer Flick jedoch erneut die Abwehrfehler missfallen - können die Bayern nur noch wilde Spiele?

Aus dem Stadion von Sebastian Fischer

Jérôme Boateng und Niklas Süle sind beide keine Fußballer, die auf dem Platz zum wilden Gestikulieren neigen, und so verliehen sie ihrem Ärger auf andere Weise Ausdruck: Sie schwiegen. Die zwei Innenverteidiger des FC Bayern sahen einander nicht an, sie schauten geradeaus, als sie nach 48 Minuten im Spiel gegen RB Leipzig nach dem dritten Münchner Gegentor zurück in Position gingen. Worüber sie stillschweigend wütend waren, war ein Grund für ein intensives und sehenswertes Spiel zwischen den aktuell besten deutschen Fußballmannschaften. Es war aber auch ein Grund für Unzufriedenheit bei ihrem Trainer.

Das 3:3 zwischen dem FC Bayern und RB Leipzig war ein Offensiv-Spektakel für Zuschauer, hätten sie im Stadion sein dürfen. Es war darüber hinaus auch ein Erfolg für den Herausforderer und Tabellenzweiten. Quasi auf der Durchreise zwischen zwei Champions-League-Spielen in Istanbul und gegen Manchester United um den Einzug ins Achtelfinale forderte Leipzig den Rekordmeister heraus.

Trotzdem fuhr die Mannschaft von Trainer Julian Nagelsmann rasende Konter, um die Münchner Schwächen zu nutzen. Und so war es natürlich auch ein Erfolg für den FC Bayern, das er die Herausforderung dennoch bestand, das Spiel nicht verlor und weiterhin Tabellenführer ist. Einen "Glückwunsch für die Mentalität" richtete Hansi Flick seiner Mannschaft in der Pressekonferenz aus.

Wenn es bei den Bayern um Mentalität geht, das Fußball-Synonym fürs Wollen und Nicht-Aufgeben, dann hat sich meistens Thomas Müller hervorgetan, und so war es auch diesmal. Der 31-Jährige schoss zwei Tore, das zweite war der Ausgleich zum 3:3 per Kopfball in der 75. Minute. Es ging fast etwas unter, dass in der Münchner Offensive Flügelspieler Kingsley Coman eigentlich noch etwas mehr überzeugt, alle drei Tore vorgelegt hatte.

Und dass der überaus talentierte Jamal Musiala, nach 25 Minuten für den am Oberschenkel voraussichtlich mit einem Muskelfaserriss angeschlagenen Javi Martinez eingewechselt, im zentralen Mittelfeld erneut stark spielte, wie schon unter der Woche in der Champions League gegen Atlético Madrid. Am Samstag schoss der 17-Jährige das erste Münchner Tor, bereits sein drittes der Saison. Auch an den anderen war er in der Entstehung beteiligt.

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Die Münchner verteidigen in einem wogenden Spektakel die Tabellenführung gegen RB Leipzig mit Mühe durch ein 3:3. Erst Müller stellt das Münchner Selbstverständnis wieder einigermaßen her.

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Doch oft, wenn die Münchner in der Offensive glänzen, dann offenbaren sie Nachlässigkeiten in der Defensive, das ist ein Muster dieser Saison. Von einem "wilden" Spiel sprach deshalb Flick und von zu leichten Gegentoren. Er sprach, auch das zum wiederholten Mal, von einer Abwehr, die leider nicht so eingespielt sei wie in der Vorsaison. Er deutete diesmal mögliche Veränderungen an, taktische meinte er wohl. "Wir müssen gucken, ob wir da was anpassen", sagte er.

Beim 0:1 durch Christopher Nkunku ließen sich die Münchner zum ersten Mal durch die Mitte auskontern: So weit vorn, wie sie mit allen Spielern standen, kamen sie der Vorlage von Emil Forsberg nicht mehr hinterher. Auch zum 2:2 vor der Pause traf Torschütze Justin Kluivert recht ungestört. Und schließlich traf Forsberg per Kopfball nach der Pause zum 3:2, ganz allein zwischen Boateng und Süle.

Es ist eine mögliche, einkalkulierte Folge des offensiven Münchner Verteidigungsstils, das solche Tore entstehen können. Gerade ist diese Entstehung etwas wahrscheinlicher, weil in Joshua Kimmich ein sicherer Passgeber und Absicherer im defensiven Mittelfeld fehlt, der offensivere Leon Goretzka tat sich neben Musiala auf der Position am Samstag schwer.

Und schließlich steht in letzter Linie eben jene nicht eingespielte Viererkette, von der Flick sprach: Am Samstag musste er Linksverteidiger Lucas Hernandez ersetzen, indem er Abwehrchef David Alaba auf die Außenposition stellte. In der Mitte spielten der am Ende mit muskulären Problemen ausgewechselte Boateng und Süle, dem Flick zuletzt "Trainingsrückstand" attestiert hatte und ihn deshalb nach den Länderspielen vorübergehend aus dem Kader strich.

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Es war durchaus ironisch, dass am Samstag auf der anderen Seite in Dayot Upamecano ein Innenverteidiger spielte, dem große Aufmerksamkeit der Münchner nachgesagt wird, ihn in Zukunft möglicherweise zu verpflichten, die Verträge von Boateng und Alaba laufen ja im Sommer aus. Doch auch der Franzose erwischte nicht den besten Abend, "beide Abwehrreihen waren nicht bei 100 Prozent", sagte Flick. Es war Upamecano, in dessen Rücken Müller zum Kopfball vor dem 3:3 hochsprang.

Es hatten an diesem Abend eben alle ihren Anteil am großen Spektakel. Sogar der Münchner Torwart Manuel Neuer, der nach eigener Zählung sechsmal seinen Strafraum verlassen hatte, um offensiv zu verteidigen, wie er erklärte. Beim 0:1 kam er dabei zu spät. Doch als der Nationaltorhüter im ZDF-Sportstudio sagte, er sei "fein" mit dem Ergebnis, sollte das wahrscheinlich auch seine Zufriedenheit ausdrücken.

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