Verteidiger beim FC Bayern:Im Namen der Watschn

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  • 80-Millionen-Euro-Mann Hernández ist nicht der erste aufsehenerregende Verteidiger-Transfer des FC Bayern.
  • Ein handfester Überblick - von Beckenbauer über Schwarzenbeck bis Kuffour.

Von Christof Kneer und Benedikt Warmbrunn

Achtzig Millionen Euro! So viel hat der FC Bayern für einen neuen Spieler ausgegeben, der weder Messi noch Ronaldo, weder Sané noch Mané heißt und nicht mal auf deren Position spielt. Für einen Verteidiger! Dabei setzt Lucas Hernández, 23, in München durchaus eine Tradition prägender Abwehrspieler fort, in einem Klub, der oft nur auf seine Stürmer reduziert wird. Eine Kulturgeschichte großer und nicht so großer bayerischer Verteidiger-Transfers, die auch zeigt, wie sich die Shopping-Strategie der Bayern verändert hat.

Der Kaiser

Kostenpunkt: eine Watschn. Der angesagteste Verein der Stadt war 1958 selbstverständlich der TSV 1860, dorthin wollte also auch unbedingt ein junger Bursche aus Obergiesing, der 13 Jahre alte Franz Beckenbauer. Nachdem Beckenbauer vom Löwen-Spieler Gerhard König geohrfeigt worden war, schmollte er und wechselte zum FC Bayern, wo er als Libero mal eben ein modernes Aufgabenprofil für Abwehrspieler erfand, und nebenbei den FC Bayern als den Verein, der er bis heute geblieben ist.

Die Krachledernen

Dem Burschen aus Obergiesing folgten im Laufe der Jahre weitere Burschen, die ebenfalls stilprägende Verteidiger wurden. Sie kamen entweder aus München (1961 der 13 Jahre alte Georg Schwarzenbeck) oder aus dem fernen niederbayerischen Vilshofen (1975 der 18 Jahre alte Klaus Augenthaler). Der eckige Schwarzenbeck war quasi die Kehrseite des eleganten Beckenbauer, der den Job des Liberos 1976 an Augenthaler übertrug. Dieser war nicht ganz so elegant wie Beckenbauer, hatte dafür aber einen Schuss, der mindestens so prächtig wie eine Watschn war, und einmal foulte er Rudi Völler so fulminant, dass der in hohem Bogen bis nach Niederbayern flog. Mit Schwarzenbeck und Augenthaler verfestigte sich das später von Uli Hoeneß formulierte Prinzip, wonach der FC Bayern Verteidiger nicht für viel Geld einkauft, sondern vor der eigenen Haustüre findet.

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Das Experiment

1979 führte erstmals in einer Transferperiode der junge Manager Uli Hoeneß die Geschäfte. Einen Stürmer hatte er schnell gefunden, vom VfB Stuttgart holte er seinen Bruder Dieter. Einen guten Verteidiger suchte er allerdings lange. Und so flog er kurz vor Weihnachten 1979 nach Norwegen, um den 24 Jahre alten Jan Einar Aas vom FK Moss zu einem Wechsel zu überreden. Aas aber wollte noch mit seiner Frau alles besprechen, mit Frau Aas, Hoeneß musste kurzfristig in Oslo übernachten, lief bei minus 20 Grad einen Kilometer lang über den Flughafen, in Sommerschuhen, weswegen Hoeneß noch 40 Jahre später sagte: "mein verrücktester Transfer". Aas entschied sich immerhin gemeinsam mit seiner Frau für die Bayern (und gegen Mönchengladbach), ein prägender Transfer wurde er dennoch nicht. Aas spielte in eineinhalb Jahren nur 13 Mal, fiel durch keinerlei Wøtschn auf und verabschiedete sich bald wieder zu Nottingham Forest.

In fremden Nischen haben die Bayern seitdem nur noch selten ihre Abwehrspieler gesucht, als gelungenes Experiment gilt immerhin der Versuch mit dem "Beckenbauer Argentiniens". 2003 holte Hoeneß für fünf Millionen Euro und ohne Rücksprache mit Frau Aas den Argentinier Martín Demichelis von River Plate. Demichelis gewann viermal die Meisterschaft und wechselte 2011 kostendeckend für fünf Millionen Euro zum FC Málaga.

Der fränkische Legionär

Norbert Eder kann nichts dafür, dass man ihn immer mit diesem Bild verbindet: Er trägt ein grünes Trikot und wird von Maradona ausgespielt. Eder gehörte zu jenem umstrittenen WM-Kader von 1986, in dem ein Teamchef namens Beckenbauer (ja, der von oben) lauter Vorstopper aufeinanderstapelte. Eder war ein Spätberufener, mit 30 wurde er Nationalspieler, mit 30 stand er im WM-Finale gegen Argentinien (2:3). Erst mit 28 war er zu den Bayern gewechselt, wo er nach all den bajuwarischen den Katsches/Auges zum ersten Abwehrlegionär wurde: Eder, gebürtiger Unterfranke, wechselte aus Nürnberg nach München, wo ihm zuliebe die TV-Serie "Meister Eder und sein Pumuckl" erfunden wurde (okay, vielleicht gab's die auch vorher schon). Immerhin erinnerte Meister "Norbert" Eder in München an die literarische Vorlage, er wurde zu einer Art Schreiner unter den Verteidigern, alle Aufträge erledigte er pflichtbewusst und pünktlich. Aus heutiger Sicht hat Eder bei Bayern fast schon eine transferhistorische Dimension: Er ist der Abwehrspieler, der die Zeiten verbindet. Er gehört einerseits noch zu den Verteidigern, die aus den Tiefen des Freistaats kamen - andererseits lässt er schon die neue Bayern-Politik erahnen: jene, dass man in der Bundesliga bei anderen Klubs Verteidiger entdeckt und sie souverän wegkauft.

Die Besten des Landes

Eder hatte die Bayern bereits in Richtung Zürich verlassen, als Hoeneß mit prallem Stolz einen neuen Vorstopper präsentierte: Jürgen Kohler, Nationalspieler aus Köln und 3,3 Millionen D-Mark teuer. Kohler - ein Vertreter jener "Kein-Mensch-kein-Tier-die-Nummer-4"-Generation, die mit den Füßen Watschn verteilen konnte - galt als aufrichtiger Eisenfuß, der sein hieb- und trittfestes Spiel mit ersten modernen Ansätzen mischte. Er begründete in München die Tradition des legalen Vorstopper-Diebstahls: So wie die Bayern den rivalisierenden Kölnern den besten Abwehrmann wegkauften, so entwendeten sie der Konkurrenz später auch Oliver Kreuzer (Karlsruhe), Thomas Helmer (Dortmund) und Thomas Linke (Schalke). In jenen Jahren bildete sich beim FC Bayern das Bewusstsein aus, dass auch Abwehrspieler ihr Geld wert sein können - später kam dieses Bewusstsein bei Jérôme Boateng zur Anwendung, den die Bayern für etwa 13 Millionen Euro bei Manchester City auslösten.

Die Krachledernen, reloaded

1981 dachten schon nicht mehr ganz so viele Burschen im Großraum München daran, zum TSV 1860 zu wechseln, auch nicht der acht Jahre alte Markus Babbel. Mit ihm lebte in den 1990er-Jahren die Theorie noch mal auf, dass die besten Innenverteidiger der Welt doch ohnehin in Bayern hergestellt werden und daher für eine höfliche Aufwandsentschädigung von ihrem Heimatverein losgelöst werden können, für ein üppig gefülltes Ballnetz zum Beispiel. Dabei war Babbel als sog. Eigengewächs schon einer der Letzten seiner Art.

Erst 2009 beförderte Louis van Gaal den 20 Jahre zuvor in Memmingen geborenen Holger Badstuber zum Stammspieler. Badstuber ist bis heute der letzte Innenverteidiger, der in der Jugend des FC Bayern ausgebildet wurde und den Durchbruch bei den Profis schaffte. Mancher spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Watschn für die Jugendarbeit des Vereins.

Rot-weiße Trikots

Als der FC Bayern Samuel Kuffour entdeckte, hatte dieser bereits für die Fantomas Kumasi sowie die King Faisal Babes gespielt; damals, 1993, war er gerade seit zwei Jahren beim FC Turin. Da Kuffour aber erst 16 war, darf er aus heutiger Sicht als einer der ersten wirklich fortschrittlichen Transfers der Fußballgeschichte gelten; erst viele Jahre später fingen die anderen großen Vereine der Welt an, sich um die besten Teenager zu bemühen. Kuffour, 2001 Champions-League-Sieger, prägte den Verein vor allem, als er auf einer Feier auf dem Rathausbalkon einen Klassiker aus dem Fanblock anstimmte: "Rot-weiße Trikots, wir wollen rot-weiße Trikots, rot-weiße Triiiikooots, wir wollen rot-weiße Trikots." Den Wunsch der Fans und seines Kultverteidigers erfüllte der Klub im Herbst 2018.

Die Besten der Liga

Patrik Andersson hat Geschichte geschrieben beim FC Bayern. Er hat am letzten Spieltag der Saison 2000/01 jenes Freistoßtor zur bayerischen Meisterschaft erzielt, das die Anhänger von Schalke 04 immer noch gerne ungültig machen würden, zur Not auch nachträglich durch Videobeweis. Mit Anderssons Verpflichtung aus Mönchengladbach mussten die Bayern ebenso wie mit den Verpflichtungen von Lúcio (Leverkusen), van Buyten (HSV) und Dante (Gladbach) auf einen neuen Trend reagieren: Weil im Schwarzenbeck-und-Kohler-Land plötzlich kaum mehr aussichtsreiche Verteidiger wuchsen, verlegte sich Bayern auf den Kauf ausländischer Nationalspieler aus der Bundesliga - eine Tradition, die nun mit der Verpflichtung des 35 Millionen teuren Franzosen Benjamin Pavard vom VfB Stuttgart wiederbelebt wird.

Der Sündenfall

Mats Hummels kam zwar fast 600 Kilometer entfernt von Obergiesing auf die Welt, in Bergisch Gladbach, er gilt als Innenverteidiger dennoch als Münchner Original: In seiner Jugend hatte er nur einen Verein, den FC Bayern. Er widerlegte aber die These, dass der Klub die besten Innenverteidiger vor der Haustür findet. Der FC Bayern verlieh Hummels im Januar 2008 für eine bescheidene Leihgebühr nach Dortmund, im Sommer 2009 verkaufte er ihn für weiterhin bescheidene 4,2 Millionen Euro. Erst 2016 entdeckte der Klub, dass da hinter der Haustür ja ein Innenverteidiger von höchster Qualität ausgebildet worden war und verpflichtete für 35 Millionen aus Dortmund diesen prächtigen Hummels.

Wenn man es Uli Hoeneß nicht weitersagt: Das war natürlich eine betriebswirtschaftliche Watschn.

Der alte Rekordtransfer

Die Ablösesummen wurden spätestens in den 2010er-Jahren immer irrsinniger, im Juli 2013 wurde den Bayern ein Interesse am Basken Javier Martínez nachgesagt. Festgeschriebene Ablösesumme: 40 Millionen Euro. Der damalige Trainer Jupp Heynckes aber blieb standhaft: "40 Millionen sind unanständig. Das geht nicht, das machen wir auch nicht." Einen Monat später kam der Mittelfeld- und Abwehrspieler dennoch, übrigens für 40 Millionen.

Der neue Rekordtransfer

Zur neuen Saison kommt nun also Lucas Hernández von Atlético Madrid, wo er bereits sehr schöne rot-weiße Triiiikooots trug. Dass er 80 Millionen Euro kostet, findet in München niemand unanständig. Aber Jupp Heynckes hat sich ja leider endgültig in den Ruhestand verabschiedet.

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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