Bayer Leverkusen:Imprägnierung gegen alles

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Mal wieder mit einer herausragenden Leistung: Florian Wirtz (Foto: Alberto Lingria/Reuters)

Bayer Leverkusen bleibt auch im Saisonspiel Nummer 47 unbesiegt und steht nach dem 2:0 bei der AS Rom kurz vor dem Einzug ins Europa-League-Finale. Eine Feier gestattet Trainer Xabi Alonso aber nur den eigenen Fans.

Von Felix Haselsteiner

Die Gesichter der Verlierer erzählen oft die wahre Geschichte eines Spiels und letztlich auch einer Saison - und die tief hängenden Köpfe, mit denen die so stolzen Spieler der AS Rom einer nach dem anderen ihr ehrwürdiges Stadion verließen, waren Zeugnis eines unterschwelligen Gefühls der Chancenlosigkeit. Dieses Gefühl teilen sie mit zahlreichen Mannschaften Europas, die es in diesen Wochen mit Bayer Leverkusen zu tun bekommen haben.

"Piú forte di tanti", stärker als viele, nicht nur stärker als die Römer, sei dieser neue deutsche Meister, urteilte am nächsten Tag der Corriere dello Sport. Ausschließlich Hochachtung schlägt den Leverkusenern und ihrem Trainer aktuell entgegen. Sie kommt inzwischen nicht nur in Form von Lob, sondern auch von Aufmunterung für den Gegner, dass er sich nicht allein fühlen müsse mit seiner Chancenlosigkeit. Das 2:0 der Leverkusener im Halbfinal-Hinspiel der Europa League war wieder so eine Partie.

Chancen hatten die Römer schon, Stürmer Romelu Lukaku traf früh im Spiel die Latte, in der Nachspielzeit hätte Tammy Abraham aus wenigen Metern nur mit dem Kopf ins leere Tor zielen müssen (und nicht darüber). Nur umgibt Bayer Leverkusen eben eine Art Imprägnierung gegen alles, was in einem Fußballspiel schiefgehen kann. Weil die Spieler im steten Wissen agieren, dass schon alles gutgehen wird. Die Serie von nun 47 ungeschlagenen Partien allerdings auf Spielglück zurückzuführen, würde zu kurz greifen: Es ist weiterhin harte Arbeit, mit der Alonsos Mannschaft sich ihr Schicksal verdient.

Alonso sah eine "seriöse, erwachsene Leistung" seiner Mannschaft

Sinnbildlich dafür stand am Donnerstagabend Robert Andrich in der Zentrale des Mittelfelds. Den 29-Jährigen verbindet eine besondere Geschichte mit dem Stadio Olimpico, im vergangenen Jahr brach er sich an Ort und Stelle den Mittelfuß und litt darunter fast ein halbes Jahr lang. Seine Frau hatte deshalb unter der Woche noch darum gebeten, er möge diesmal lieber nicht in Rom mitspielen, was Sportdirektor Simon Rolfes im Nachgang mit dem schmunzelnden Spruch quittierte, dass Alicia Andrich "bei uns zum Glück nicht die Aufstellung macht".

Ab der ersten Minute nämlich war Andrich anzumerken, dass er seine Geschichte korrigieren wollte. So geschickt es die Römer versuchten, ihn mit viel Theatralik und kleinen Fouls in die Verzweiflung zu treiben, so unantastbar wirkte der Nationalspieler, der immer wieder aus der Distanz aufs Tor schoss - und in der 73. Minute herrlich zum 2:0 traf.

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"Es war zu erwarten, dass es vor dieser Kulisse ein hitziges Spiel wird", sagte Andrich, nur kann Leverkusen inzwischen auch damit umgehen. Während im vergangenen Jahr eine defensiv eingestellte Mannschaft von José Mourinho noch Mauern aufbauen konnte, gegen die Bayer die Abrissbirne fehlte, funktioniert dies inzwischen nicht mehr. Trainer Daniele De Rossi, aus derselben Generation wie Alonso und auf derselben Position als Spieler bekannt geworden, hatte zwar eine etwas offensivere Variante gewählt, sich die kämpferischen Kernelemente aus dem vergangenen Jahr aber beibehalten, die diesmal allerdings ins Leere liefen.

Bayer spielt ohne klassischen Stürmer - und ist trotzdem ungeheuer überlegen

Alonso dagegen verzichtete auf einen klassischen Stürmer, was seiner Mannschaft mit Alejandro Grimaldo, Florian Wirtz und Amine Adli eine ungewohnte offensive Dreierreihe brachte - und eine ungeheure Feldüberlegenheit, die allerdings nicht auf trägem Ballbesitz, sondern auf ständiger Torgefahr basiert, was Leverkusens Fußball im Nebeneffekt auch noch attraktiv aussehen lässt. Wirtz erzielte in der 28. Minute den Führungstreffer.

Eine "seriöse, erwachsene Leistung" nannte Alonso das, wenngleich er warnte, dass er Comebacks in Rückspielen schon selbst erlebt hätte. Daher blickte der Trainer kurz irritiert auf, als er bei der Pressekonferenz nach einer Feier gefragt wurde. "Nein, nein, wir haben noch nicht gefeiert", sagte Alonso, bevor er die Erklärung erhielt, dass die Frage auf die mitgereiste Anhängerschaft und nicht auf die Mannschaft abzielte. "Ach so, die Fans, die dürfen natürlich feiern", sagte Alonso.

Und weil bei Bayer Leverkusen alles auf das Kommando des Spaniers hört, sangen die Leverkusener in ihrem Auswärtsblock auch noch eine gute Stunde nach Abpfiff für ein leeres Stadion. Der Weg wird sie in dieser sensationellen Saison nun wahrscheinlich noch nach Dublin in ein europäisches Finale führen.

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