Florian Wirtz bei Bayer 04:Seine Aktionen schneiden tief wie ein Skalpell

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Findet immer wieder neue Schlupflöcher: Leverkusens Florian Wirtz (rechts) ist vermutlich das Beste, was seinem Profitrainer-Novizen Xabi Alonso passieren konnte. (Foto: Christof Köpsel/Getty Images)

Leverkusen erobert durch ein 3:1 gegen Lieblingsgegner Frankfurt früher als gedacht den sechsten Platz. Und ergötzt sich weiter an der Inspiration des 19-jährigen Ausnahmetalents Florian Wirtz.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Manchmal ist die Wahrheit auch nur eine bessere Ausrede. Die Art, wie die Spieler von Eintracht Frankfurt über ihre Niederlage in Leverkusen sprachen, war ehrlich, aber im Grunde auch klubschädigend. Schließlich hatten die Hessen nicht gegen Manchester City, Neapel oder Real Madrid verloren, sondern gegen jenen Bundesligisten, der die Eintracht soeben vom sechsten Platz bugsiert hatte. "In Leverkusen kann man schon verlieren", sagte Kapitän Sebastian Rode und klang so ehrfürchtig, als hätte er in einer Kutsche einem ICE ... na gut, einem Thalys Platz machen müssen, weil der ja ohnehin schneller fährt und seltener stoppt.

"Hier haben schon andere verloren, nicht zuletzt die Bayern, die auch mit dem Tempo Probleme hatten. Von daher gilt es, anderswo die Punkte zu holen", sagte Rode jedenfalls und klang fast wie die Spieler des FC Bayern, die in den 1980ern vorschlugen, die Punkte von Haus aus dem 1. FC Kaiserslautern zuzusprechen, weil sie keine Lust auf die nächste nutzlose Reise zum Betzenberg hatten.

So nachvollziehbar Rodes Sätze im Affekt waren angesichts der achten Frankfurter Liga-Niederlage in Leverkusen in Serie, so fragwürdig war die Haltung, die sich dahinter versteckte: Frankfurt, das den Werksklub in der Hinrunde 5:1 gedemütigt hatte und noch vor sechs Wochen elf Punkte vor ihm lag, sah sich außer Stande, den vermeintlich übermächtigen Gegner zu stoppen. Aber ist es nicht die Aufgabe des Trainers, sich etwas auszudenken, um die Sprinter von Bayer 04 aus dem Takt zu bringen? Manchmal wirkte es so, als hätte die Gästespieler niemand über den Tempofußball der Leverkusener instruiert. Der Endstand (3:1) schmeichelte den Frankfurtern noch.

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Der 19-jährige Mittelfeldspieler treibt Leverkusen zu einem 3:1-Erfolg, von seiner Finesse profitiert die gesamte Mannschaft. Trainer Xabi Alonso blickt nun auf eine besondere Statistik - bei der Eintracht ist man arg angefasst.

Von Milan Pavlovic

In dieser wichtigen Phase der Saison ist bei beiden Teams etwas vorgefallen, über das zumindest in Frankfurt niemand reden will. Während Bayer-Trainer Xabi Alonso in diesen Tagen schon mal Küsschen an seine Spieler verteilt (so wie am Samstag an den agilen Amine Adli), wirkt Frankfurts Coach Oliver Glasner distanziert und seltsam angefasst. Im ersten Interview nach Spielschluss beantwortete er eine Frage mit den Worten: "Sie wollen mich provozieren. Wir haben Osterfrieden. Alles Gute. Schöne Ostern." Konnte man da noch glauben, der Österreicher habe - zumindest ansatzweise - scherzen wollen, wiederholte er den Satz kurz darauf in größerer Runde. Und entschwand.

Mario Götze erwischt einen schlechten Tag und meckert so lange, bis er die fünfte gelbe Karte sieht

Vielleicht war Glasner ja auch bloß in Gedanken bei einem seiner wichtigsten Akteure: Mario Götze hat seit seiner Rückkehr in die Bundesliga einige Erfolgserlebnisse gehabt. Unter der Woche war der 30-Jährige beim 2:0-Pokalsieg gegen Union Berlin inspiriert und inspirierend, gekonnt setzte er seinen kongenialen Stoßstürmer Randal Kolo Muani in Szene, der ohne Götze nur drei Viertel wert ist. Am Samstag war von dem Duo wenig zu sehen, stattdessen ermeckerte Götze sich seine fünfte gelbe Karte.

Der bessere Spielmacher trug an diesem Tag ein Leverkusener Trikot: Florian Wirtz ließ sich nicht einschüchtern von einem fiesen Frankfurter Foul nach neun Sekunden. Der 19-jährige Feinfuß riss das Spiel an sich und servierte den Kollegen die beiden ersten Tore mundgerecht - und das in voller Bewegung und trotz der Nähe büffelartiger Gegenspieler. Beim 1:0 hatte er schon vorher geguckt, ob er Adli mit einem Direktpass in die Gasse schicken könnte. Konnte er, tat er; Adli rannte los und versenkte den Ball mit dem linken Außenrist knapp über Gästetorwart Trapp und knapp unter die Latte zur Führung.

Ein gebrauchter Tag: Der Frankfurter Mario Götze wurde vom 19-jährigen Florian Wirtz ausgestochen und handelte sich eine Gelb-Sperre ein. (Foto: Vitalii Kliuiev/Imago)

In der 34. Minute legte sich Wirtz ein Anspiel 30 Meter vor dem gegnerischen Tor vor, schaute einmal hoch, sah, wie der flinke Moussa Diaby in den Vollsprint-Modus schaltete und spielte ihm den Ball zwischen zwei Frankfurter Verteidiger millimetergenau in den Lauf - und zwar so, dass sein Mitspieler weder abbremsen noch beschleunigen musste. Danach war Wirtz mehrfach knapp dran am Assist-Hattrick, doch entweder verdaddelten seine Mitspieler gute Ideen, oder Trapp lenkte einen kaum haltbaren Ball von Adli neben den Pfosten (43.).

Oft sehen Wirtz' Ballaktionen wie kleine Tupfer aus, so unaufgeregt und beiläufig, dass man zunächst nicht merkt, dass sie so tief schneiden wie ein Skalpell. Fotografen versuchen meist vergeblich, das Können des Teenagers bildlich festzuhalten. Dabei sind sein Positionsspiel, die Dosierung seiner Pässe und der Sprints atemraubend. Wirtz ist das Beste, das dem Profitrainer-Novizen Alonso passieren konnte; so wie der bodenständige Alonso vermutlich der beste Trainer ist, den Wirtz derzeit haben könnte.

Der forsche Vierpunkte-Plan von Leverkusen gilt Platz vier

Obwohl sie in den elf Wochen seit dem Ende der Winterpause 16 Spiele bestreiten mussten, wirken die Leverkusener bisher nicht müde. Zuletzt brauchte Alonso nicht einmal die Hilfe von Spielern wie Kerem Demirbay, Callum Hudson-Odoi und Nadiem Amiri, und kaum jemand scheint den immer noch nicht fitten Torjäger Patrik Schick zu vermissen. Sie freuen sich vielmehr, neben dem FC Bayern der einzige Bundesligist im internationalen Wettbewerb zu sein - in der Europa League, wo es am Donnerstag im Viertelfinal-Hinspiel gegen Union Saint-Gilloise geht. Sie empfinden es auch nicht als Provokation, wenn man sie auf die veränderten Ziele dieser Saison anspricht und gestehen, in der Bundesliga nach oben zu spähen.

Mit einem lausbübischen Lächeln erklärte Mittelfeldarbeiter Robert Andrich den Vier-Punkte-Plan des Klubs: zunächst Platz sechs holen, ihn absichern "und dann, im dritten und vierten Schritt, vielleicht irgendwann auf Platz vier gucken", der bekanntlich die Champions-League-Zulassung garantieren würde. Gibt es momentan irgendetwas Unerwünschtes auf der rechten Rhein-Seite? Vermutlich nur die Gefahr, dass durch den Leverkusener Lauf sowohl Alonso als auch Wirtz früher statt später ins Visier von Vereinen wie Real Madrid geraten könnten.

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