Timo Baumgartl von Union Berlin:"Man kann auch ohne Haare hübsch sein"

Timo Baumgartl von Union Berlin: "Als Fußballer hat man eine Vorbildfunktion": Timo Baumgartl, 26, ruft dazu auf, Vorsorgeuntersuchungen zu nutzen.

"Als Fußballer hat man eine Vorbildfunktion": Timo Baumgartl, 26, ruft dazu auf, Vorsorgeuntersuchungen zu nutzen.

(Foto: Matthias Koch/Imago)

Timo Baumgartl, Abwehrspieler bei Union Berlin, darf nach seiner Hodenkrebs-Diagnose wieder auf den Platz. Nun will er Vorbild sein und ruft junge Männer dazu auf, zur Krebsvorsorge zu gehen.

Von Johannes Korsche, Berlin

Am vergangenen Samstag haben die Spieler von Union Berlin eigentlich den wichtigsten Sieg der Saison schon eingefahren. Derby gegen die Hertha, Heimspiel an der Alten Försterei, ausverkauft, Endstand 3:1. Ein paar Tage später, am Dienstag, sitzt Timo Baumgartl, 26, an gleicher Stelle und erzählt auch von einem Sieg, der - wie es im Sportlersprech gerne heißt - das Sportliche in den Hintergrund rückt. In den zurückliegenden drei Monaten kämpfte der Abwehrspieler nicht auf dem Rasen um einen Stammplatz, sondern mit einer Operation und Chemotherapie gegen den Tumor in seinem Hoden. Mit Glatze sitzt er nun auf der Pressekonferenz. Baumgartl hat den Krebs besiegt.

Wie er da so sitzt, in Trainingsklamotten, immer wieder mal lächelnd, sieht alles eigentlich aus wie bei einer normalen Pressekonferenz. Aber dafür sagt Baumgartl zu viele grundsätzliche Dinge übers das Leben, die man aus Fußballermündern selten hört: "Man kann auch ohne Haare hübsch sein." Und: "Ich habe gelernt, dass man sich über die kleinen Dinge nicht so aufregt." Und über andere wahrscheinlich mehr freut. Seit einer guten Woche könne er wieder ohne größere Einschränkungen trainieren, noch allerdings absolviere er Einzeltraining auf einem Nebenplatz. Aber das erste Mal wieder auf dem Rasen zu stehen, "das war überwältigend".

Baumgartl ist nicht der einzige Fußballer in der Bundesliga, bei dem zuletzt Hodenkrebs diagnostiziert wurde. Sébastien Haller, der als Ersatz für den nach Manchester abgewanderten Erling Haaland nach Dortmund gewechselt war, erhielt kurz nach seiner Ankunft beim BVB die gleiche Diagnose. Mitte Juli war außerdem bei Marco Richter von Hertha BSC ein solcher Tumor festgestellt worden. Auch in der Vergangenheit gab es an Hodenkrebs erkrankte Fußballer. Beim Frankfurter Marco Russ war im Mai 2016 Hodenkrebs diagnostiziert worden, er konnte nach einer Behandlungspause im Februar 2017 sein Comeback geben. Hodenkrebs wird am häufigsten bei jungen Männern zwischen 20 und 40 Jahren festgestellt. Die meisten Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Vorsorgeuntersuchung erst ab dem 45. Lebensjahr.

Was, wenn er seine Freundin, Familie und Freunde zurücklassen müsste? Erst vor Kurzem sei er Patenonkel geworden

Für Baumgartl wäre das zu spät gewesen, ohne Beschwerden zu haben, ging er zur Vorsorge. Das mache er seit drei Jahren so, immer vor der Sommerpause. "Normalerweise sind das zehn Minuten", sagt er, doch diesmal, Anfang Mai, war das anders. "Aus heiterem Himmel", erinnert er sich, erhielt er die Diagnose: Krebs. Und dann begann sich sein Gedankenkarussell zu drehen. Da "habe ich mich zwangsläufig damit beschäftigt, was ist, wenn man nicht mehr da ist", sagt Baumgartl.

Was, wenn er seine Freundin, Familie und Freunde zurücklassen müsste? Erst vor Kurzem sei er Patenonkel geworden. Er habe anfangs "düstere Gedanken" gehabt, erzählt Baumgartl nun. Er habe auch geweint zu dieser Zeit. Emotionen zu zeigen, das habe er erst wieder lernen müssen, "weil ich mir einen Schutzpanzer gebaut hatte". Allzu emotional wolle man bei Interviews zum Beispiel ja auch nicht rüberkommen. Als die Ärzte ihm dann zumindest die schlimmsten Ängste nahmen, habe er es geschafft, positiv zu bleiben. Die Heilungschancen bei Hodenkrebs, vor allem im Frühstadium, sind sehr groß.

Deswegen gehe er auch so offen mit seiner Erkrankung um, sagt Baumgartl. Obwohl es "ein Tabuthema, ein sehr persönliches Thema" ist. "Als Fußballer hat man eine Vorbildfunktion", sagt er: "Wenn nur einer deswegen zur Vorsorge geht und dann ein Tumor entdeckt wird, bin ich stolz." Es scheint, als sei er damit erfolgreich: Onkologen hätten ihn angeschrieben und berichtet, erzählt er, dass ihnen gerade die Bude eingerannt werde.

Timo Baumgartl von Union Berlin: Der Fußballer Timo Baumgartl gibt am Dienstag eine ungewöhnliche Pressekonferenz.

Der Fußballer Timo Baumgartl gibt am Dienstag eine ungewöhnliche Pressekonferenz.

(Foto: Matthias Koch/Imago)

Genauso offen erzählt er von seiner Chemotherapie. Dreimal war er für lange sechs Tage in der Charité. "Da vergeht die Zeit nicht", erinnert sich Baumgartl; er sei müde gewesen und ihm sei schlecht geworden, habe die Chemo aber vergleichsweise gut weggesteckt. In Absprache mit den Ärzten sei er "während der Chemo morgens fünf Kilometer joggen gegangen". Der Gedanke an sein Bundesligacomeback habe ihn motiviert.

An ebendiesem bastelt Baumgartl gerade. Ob er noch in dieser Saison für ein Spiel auflaufen werde? "Ich hoffe, nicht nur für eines." Ob es noch 2022 was werden könne? "Ich bin ehrgeizig." Manche Sätze von Timo Baumgartl waren dann doch recht normale Bundesligaspieler-Pressekonferenzsätze.

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