Der erste Weg nach jedem Spiel führte Dennis Schröder zu seiner Familie. Zu seiner Frau, den beiden Kindern, seiner Mutter. Sie saßen in der ersten Reihe der Kölner Arena, in der sich die deutsche Nationalmannschaft so furios durch die Vorrunde dieser Europameisterschaft gespielt hat. Sie waren auch in Berlin dabei, im Achtelfinale gegen Montenegro. Die Familie gibt Schröder Halt, das hat er oft betont, besonders seit sein Vater gestorben ist.
Schröder war damals 16 Jahre alt, dem Vater habe er kurz vor seinem Tod versprochen, es in die nordamerikanische Profiliga NBA zu schaffen. Gelobtes Basketball-Land. Auch das hat Schröder oft erzählt - und er hat Wort gehalten.
Basketball-EM:"Das macht uns gefährlich und unberechenbar"
Die deutsche Nationalmannschaft geht als Favorit ins Achtelfinale gegen Montenegro. Die größte Kraft zieht das Team aus dem Kollektiv - da kann auch Dennis Schröder mal draußen bleiben.
Auch in der deutschen Nationalmannschaft ist er in diesen Tagen der prominenteste Spieler, Medien, Fans, alle schauen auf den 28-Jährigen, Schröder führt die Auswahl an. Darauf hat sich Bundestrainer Gordon Herbert früh festgelegt, daran lässt auch kein Teamkollege einen Zweifel. Der gebürtige Braunschweiger, der sein sportliches Glück längst in Übersee in der stärksten Basketballliga der Welt gefunden hat, ist der unumstrittene Leader.
"Basketball-Deutschland kann froh sein, einen Dennis Schröder zu haben", sagt Teamkollege Maodo Lo
Schröder ist ein extrovertierter Typ, einer der polarisiert. In der NBA hat er Millionen verdient, er lebt im Luxus, und er zeigt auch ganz gerne, was er hat. In Deutschland ist das vielen zu viel Glamour, zu viel Bling Bling, zu viel Egozentrik. Vor allem, wenn es nicht läuft, sind die Kritiker rasch zur Stelle. Als sich Schröder im vergangenen Jahr bei Vertragsverhandlungen verzockte und eine 84-Millionen-Dollar-Offerte der Los Angeles Lakers ausschlug, war die Häme groß. Schließlich heuerte er zu empfindlich schlechteren Konditionen bei den Boston Celtics an. Empfindlich schlechter, das heißt in der NBA: Knapp sechs Millionen Dollar für eine Spielzeit.
Momentan ist er auf Vereinssuche, Sorgen muss man sich um den Schröder-Klan aber nicht machen, in der NBA sind ja selbst kleinere Engagements siebenstellig vergütet. "Mein Berater macht schon seinen Job, ich lass ihn auch", erklärte Schröder in Köln, "ich mache hier meinen Job."
Hier ist bei der EM; das Ziel ist eine Medaille. Die Vorrunde erledigte Schröders Team mit Bravour, vier Siege in fünf Spielen, das Achtelfinale war im Schnelldurchlauf gebucht, nun ist das Viertelfinale erreicht. Das war in dieser Souveränität nicht unbedingt zu erwarten, auch weil man vorher nicht wusste, wie die Mannschaft funktioniert - und vor allem, wie ihr Anführer funktioniert.
Schon 2015 hatte Schröder den Auftrag, ein Team bei einer Heim-EM zu einer Medaille zu führen, obwohl weiland ein gewisser Dirk Nowitzki mitmachte, der sich allerdings im Herbst seiner Karriere befand. Es endete im Fiasko, die Mannschaft scheiterte in der Vorrunde, Schröder kritisierte den damaligen Coach Chris Fleming, schlitterte später selbst ins Zentrum der Kritik. Ähnlich war es 2019 bei der WM in China, das hoch gelobte und mit vielen NBA-Spielern besetzte Team scheiterte wieder vorzeitig. Schröder kritisierte die Kollegen, machte atmosphärische Störungen in der Auswahl aus, stellte Bedingungen für einen Verbleib im Nationalteam.
Das kam nicht gut an. Dem damaligen Point Guard der Oklahoma City Thunder, der in der NBA Aufsehen erregte, wurde Egoismus vorgeworfen. Viele sprachen ihm damals die Fähigkeit ab, eine Gruppe zu führen. Den oft Gescholtenen ficht das nicht an: "Ich bin für Kritik gebaut", ließ er damals wissen.
Auch abseits des Parketts wirkt Schröder gereifter
Auch den Bundestrainer hat all das nicht interessiert. Gordon Herbert war nicht lange im Amt - und suchte zuerst das Gespräch mit Schröder, wie er erzählte. Nach zwei Stunden Austausch sei ihm klar gewesen, dass er seinen "Leader auf und neben dem Feld" gefunden hat. Herbert bestimmte Schröder zum Kapitän eines gewaltig talentierten Kollektivs - und Schröder lieferte. Der Spielführer redete den Kader stark, als es Absagen und Verletzungen prominenter NBA-Kräfte hagelte: "Wir brauchen uns vor niemandem in Europa zu verstecken. Wir haben sehr viel Qualität."
Bei der EM beweist er das selbst auf dem Feld. Sein Distanzwurf will noch nicht hochprozentig fallen, also passt Schröder sein Spiel an. Er verliert sich nicht in eigensinniger Zockerei, sondern konzentriert sich auf die Spielführung, bestimmt das Tempo, bringt die Nebenleute in gute Wurfpositionen. Dank seiner Klasse, vor allem im Eins-gegen-eins, ist der pfeilschnelle Guard kaum zu halten, punktet er verlässlich im zweistelligen Bereich - als einziger im Team. Und er verteidigt auf hohem Niveau, was gerne übersehen wird.
Auch abseits des Parketts wirkt Schröder gereifter, er spricht reflektierter, übernimmt Verantwortung. Die Niederlage gegen die Slowenen, die einzige im bisherigen Turnierverlauf, sollte erst Co-Kapitän Johannes Voigtmann erklären. Es war dann Schröder, der in der Pressekonferenz saß, sich den unangenehmen Nachfragen stellte.
Um zu verstehen, welche Rolle Schröder in der Mannschaft spielt, muss man nur den Teamkollegen zuhören. Seinem Stellvertreter Voigtmann etwa, ein reflektierter Profi, der sich nie vor unbequemen Wahrheiten gescheut hat. Jetzt sagt er: "Dennis ist unser Leader, auf und neben dem Spielfeld, er geht voran, in jeder Beziehung."
Oder Maodo Lo. Der Regisseur des deutschen Meisters Berlin ist bei der EM der Backup-Spieler von Schröder. Damit habe er kein Problem, ließ er schon vor dem Turnier wissen. Mittlerweile steigen seine Einsatzzeiten, Lo spielt ein starkes Turnier, trifft famos aus der Distanz, dennoch sagt er: "Dennis ist offensiv und defensiv der Dreh- und Angelpunkt in unserer Mannschaft. Dennis ist der beste Point Guard in Europa, einer der besten weltweit. Er führt uns zu Siegen." Er habe viel Spaß bei dieser EM, sagt Lo, besonders im Zusammenspiel mit dem Chef: "Basketball-Deutschland kann sich glücklich schätzen, einen Dennis Schröder zu haben."
Oder wie hielt Franz Wagner, NBA-Profi der Orlando Magic und bislang die Entdeckung im deutschen Team, nach dem Sieg gegen Frankreich fest: "Hier gewinnt nicht die Mannschaft mit den besten Einzelspielern, sondern die beste Mannschaft." In seinem ersten Turnier für Deutschland profitiere er dabei auch von Schröders Erfahrung.
Der sagt, dass er noch nie "eine so gute Teamchemie" in einem Nationalteams gespürt habe. Und, dass sein Weg bei der EM noch nicht beendet sei.