Deutsche Basketballer vor der EM:Härtefälle in Köln-Bickendorf

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Dennis Schröder (vorne) ist mit Sicherheit dabei im EM-Kader, aber der Rest? Robin Benzing (hinten li.) oder Leon Kratzer und Jonas Wohlfarth-Bottermann könnten es schwer haben. (Foto: Marco Steinbrenner/Imago)

NBA-Power, gehörige Ambitionen und ein zu großer Kader: Deutschlands Nationalteam stimmt sich im Trainingslager auf die Heim-EM ein - der Bundestrainer muss nun ein paar schwere Entscheidungen treffen.

Von Jonas Beckenkamp und Ulrich Hartmann, Köln

Große Träume beginnen manchmal im unscheinbaren Nirgendwo. Zum Beispiel in einem Industriegebiet in Köln-Bickendorf. Zwischen Handwerksbetrieben und Gebrauchtwagenhändlern versteckt sich hier der Kölner Basketball-Campus, eine äußerlich schnöde Halle. Von draußen hört man nur die Turnschuhe quietschen. Drinnen entpuppt sich der Bau unter seiner gewölbten, holzvertäfelten Decke als Basketball-Paradies mit fünf Courts nebeneinander.

Hier trainieren Deutschlands beste Basketballer für die in drei Wochen beginnende Heim-EM. Bekanntheiten wie Dennis Schröder stehen in den riesigen Arenen in den USA oft im Glitzerlicht. Im anonymen Köln-Bickendorf holt er sich zusammen mit anderen Nationalspielern des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) derzeit seine Form für wegweisende Wochen. "Die Teamchemie stimmt", sagt Schröder, nachdem er im Individualtraining gerade 46 Freiwürfe nacheinander versenkt hat. "Langfristziel sind 100", sagt er grinsend.

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Das Programm des DBB ist herausfordernd: am Mittwoch ein Testspiel in Belgien, am Freitag eines in den Niederlanden, übernächstes Wochenende zwei Supercup-Partien in Hamburg, Ende August zwei Qualifikationsspiele für die WM 2023 und vom 1. September an die EM mit zunächst fünf Vorrundenspielen in der Kölnarena. "Phase one, Phase two, Phase three", sagt Bundestrainer Gordon Herbert über seinen Trainingsplan und zählt mit den Fingern mit.

Bundestrainer Herbert muss vor der EM noch sechs Nationalspieler nach Hause schicken

Schon Phase eins diese Woche birgt eine Herausforderung: Der Kanadier muss den erweiterten Kader von derzeit 18 auf zwölf Profis reduzieren. "Jeder in dieser Gruppe hat sein Commitment gegeben, jeder hier will wirklich dabei sein", sagt Schröder, der natürlich als Anführer gesetzt ist. Keiner will wieder heim müssen, keiner will die EM verpassen. Aber ein Drittel aller Trainingscamp-Teilnehmer erwischt es noch. Schadet das nicht der Teamchemie? "Wir sind im Training extrem competitive", antwortet Schröder. Man trainiert miteinander, kämpft aber zugleich gegeneinander um die Plätze.

Neben Schröder werden Daniel Theis (Indiana Pacers), die Brüder Moritz und Franz Wagner (beide Orlando Magic), die Berliner Maodo Lo und Johannes Thiemann sowie Johannes Voigtmann (künftig in Mailand aktiv) und der Münchner Dreierspezialist Andreas Obst das Gerüst des Teams bilden. Aber schon beim mit 165 Länderspielen erfahrensten deutschen Basketballer wird's kompliziert: Ob der jahrelange Kapitän Robin Benzing (Bologna) es ins Zwölferfeld schafft, ist derzeit genauso fraglich wie die Rolle von Niels Giffey (zuletzt Kaunas), der immerhin auf 81 DBB-Einsätze zurückblickt.

Bundestrainer Gordon Herbert will seinen Kader bis Ende der Woche um fünf bis sechs Spieler verkleinern. (Foto: Marius Becker/dpa)

Am Ende dürfte Herbert nicht nur nach Renommee und Klasse entscheiden, sondern auch nach Perspektive und Positionsverteilung. Gut möglich, dass neben Ergänzungsspielern wie Kenneth Ogbe (Oldenburg), David Krämer (Braunschweig), Karim Jallow (Ulm), Leon Kratzer (Bonn), Jonas Wohlfarth-Bottermann (Hamburg) auch einer der Erfahrenen den Cut nicht schafft. Ein Härtefall ist wohl auch der kürzlich nach Spanien gewechselte Aufbauspieler Justus Hollatz - vom Potenzial her müsste der 21-Jährige eigentlich mit, doch bei den Guards herrscht ein Überangebot.

Damit es untereinander passt, nennt der Bundestrainer drei Gebote: "Sei pünktlich! Sei ein Profi! Respektiere die Kollegen!" Als Kanadier formuliert der 63-Jährige sein Credo auf Englisch, aber Zuverlässigkeit, Ambition und Achtung kennen keine Fremdsprache. Herberts Ansprüche sind für den in der NBA aktiven Braunschweiger Schröder genauso gut zu verstehen wie für den in den USA geborenen Wahl-Münchner Nick Weiler-Babb. Der frisch eingebürgerte Guard vom FC Bayern verpasst den Auftakt der Vorbereitung. Der 26-Jährige muss in seiner Heimat Privates regeln, noch ist nicht klar, wann er zum Team stößt.

Er dürfte gesetzt sein: Franz Wagner spielte eine sehr starke erste NBA-Saison in Orlando. (Foto: Marco Steinbrenner/Imago)

"Vielleicht reduzieren wir auch erstmal nur auf 13 Spieler", sagt der Bundestrainer. Weiler-Babb ist ihm offenbar wichtig, auch als Mensch. "Er ist eine First-Class-Person", betont Herbert. Der Coach sieht sein Team auch auf höchstem Level konkurrenzfähig - doch die Gegner sind schon in der EM-Vorrunde gewaltig: Es geht unter anderem gegen Slowenien mit Luka Doncic oder die physisch starken Franzosen. Obwohl in den NBA-Männern Isaac Bonga, Maxi Kleber und Isaiah Hartenstein bedeutendes Personal fehlt, sagt Herbert: "Wir haben die Spieler, um eine Medaille zu schaffen."

Das erste EM-Spiel steigt am 1. September gegen die Franzosen um NBA-Center Rudy Gobert. "Ein guter Test", erzählt lässig Deutschlands Rookie Franz Wagner, der noch ohne Länderspiel ist. Eines seiner Turnierziele ist, dass die fast 20 000 Zuschauer fassende Kölnarena voll wird. "Wär schade, wenn da Sitze leer bleiben." In Bickendorf tun sie gerade alles dafür, um das zu verhindern.

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