Außenseiter mit Chance auf die EM 2012:Armenien - die Niederländer Osteuropas

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Die Fußballer aus Armenien sind die Überraschung in der EM-Qualifikation. Mit erstaunlicher Angriffslust haben die Fußballer aus dem Kaukasus ihr Land begeistert. In Irland kämpfen sie nun um die erste Teilnahme bei einer EM.

Frank Nienhuysen, Moskau

Die Armenier werden vielleicht nicht mehr so genau hingehört haben, was ihr Trainer anschließend sagte. Weil sie zu siegestrunken waren. Einfach nicht mehr ganz wach. Oder beides. "Diese Nacht war es wert, nicht zu schlafen", titelte die Zeitung Aravot voller Pathos nach dem 4:1-Sieg gegen Mazedonien am vergangenen Freitag. Nur der Trainer Vardan Minasyan erlaubte es sich, etwas Wasser in den Wein zu gießen, denn er fand, "unser Spiel war nicht gut, aber wir brauchten ein Resultat". Und das bekamen sie ja dann auch hin.

Schon wieder ein Tor: Die Armenier Yura Movsisyan, l., und Henrikh Mkhitaryan feiern einen Treffer gegen Mazedonien. (Foto: AFP)

Armenien, ein kleines bergiges Land im Kaukasus, hat sich mit furiosem Spiel die Chance erkämpft, zum ersten Mal an der Endrunde einer Fußball-Europameisterschaft teilzunehmen. An diesem Dienstagabend spielt Armenien in der Qualifikationsgruppe B in Dublin gegen Irland, es ist ein Endspiel.

Allerdings wäre Armenien nur mit einem Sieg Gruppenzweiter, vorausgesetzt zudem, Tabellenführer Russland holt daheim gegen Andorra den letzten nötigen Punkt. Daran zweifelt niemand, aber daran, dass Armenien derzeit zu den größten Überraschungen in Europa gehört, auch nicht. Die Fakten sind bekannt: Der Erste ist bei der EM, der Zweite geht in die Relegation, der Dritte schaut 2012 am Fernseher zu.

Allein ein solch entscheidender Vergleich am letzten Spieltag ist in Armenien ein kaum fassbares Ereignis, das die Spieler schon jetzt mit einem nationalen Heldenstatus beehrt. Irlands italienischer Trainer Giovanni Trapattoni will seinen Gegner nun auch nicht zu viel loben, aber er ahnt doch, dass die Armenier mit reichlich Schwung auf die Insel reisen. "Sie haben gute Qualitäten, und sie schießen Tore", sagte er.

Sie schossen zuletzt sogar so viele Tore, als seien sie die neuen Niederländer Osteuropas. 4:1 gegen Mazedonien, vor einem Monat sogar 4:0 in der Slowakei, was damals in Europa schon Erstaunen ausgelöst hat. Da war im Vergleich das 3:0 in Andorra schon ein qualvoller Pflichtsieg. In neun Spielen hat Armenien bereits zehn Tore mehr erzielt (nämlich 21) als der Gruppenbeste Russland.

So langsam muss sich Verbandspräsident Ruben Hayrapetyan also an den Gedanken gewöhnen, dass er sich von den einst ausgelobten drei Millionen Euro Prämie tatsächlich trennen muss. Denn bis zur EM in Polen und der Ukraine fehlt jetzt nur noch dieser letzte Schritt.

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Hayrapetyan wird es gern verschmerzen. Er gehört als Unternehmer zu den reicheren Menschen in der verarmten früheren Sowjetrepublik. Vor einem Jahr hatte er sich noch über einen Reporter erzürnt, der sich getraut hatte, den Verbandschef auf dem Handy anzurufen, nur um ihn an eine versprochene Auskunft zu erinnern: Wem er bei der WM in Südafrika denn die Daumen drücke.

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Eine solche Frage könnte sich für die EM 2012 bei einem Erfolg in Dublin erübrigen, der das Land gewiss in einen neuen Taumel stürzen würde. Der Fußball eint diese stolze Nation, die durch das Erdbeben von 1988 und den Zerfall der Sowjetunion so entbehrungsreiche Zeiten erlebt hat.

Diese Mannschaft ist eine goldene Generation", sagt der armenische Sportjournalist Ashot Hakobian. "Sie ist noch jung und doch seit Jahren eingespielt." Eine hungrige Mannschaft, von der Hakobian glaubt, dass Geld als Köder den derzeitigen Erfolg eigentlich nicht erklären könne. "Sie spielen zuerst für ihre Heimat, für ihre Hymne."

Der armenische Stürmer Marcos Pizzelli musste sich an diese allerdings erst gewöhnen, denn er ist in Brasilien geboren und hat erst seit einigen Jahren die Staatsbürgerschaft Armeniens. Pizzelli ist einer dieser unerschrockenen Angriffsspieler und war mit dem Führungstor der Türöffner beim Sieg gegen Mazedonien.

Mittelfeldspieler Henrikh Mkhitaryan hat Pizzelli zum besten Vollstrecker der vergangenen Jahre erklärt. Überhaupt erinnern Mkhitaryans Auskünfte über seine Mitspieler an jene von Manuel Neuer und Philipp Lahm über das deutsche Team - alle sagten jüngst, dass sie nie zuvor in einem besseren Team gespielt hätten. Torwart Roman Beresowskij sei der beste der armenischen Geschichte, sagte Mkhitaryan, und den Stürmer Gevorg Ghazaryan sieht er im Geiste schon bei einem der berühmten Klubs auf dem Kontinent. Ghazaryan gehört mit fünf Toren zu den treffsichersten Spielern der bisherigen EM-Qualifikation, und damit ist er nicht einmal der Einzige aus seinem Team.

Irland will sich von so viel Angriffslust nicht beunruhigen lassen und im Finale um Platz zwei selbst auf Sieg spielen. Aber wenn sich der Jugendwahn als europäischer Trend auch im irisch-armenischen Vergleich fortsetzt, dann haben die jungen Wilden aus dem Osten passable Aussichten - auch mit Blick auf die Trainer. Trapattoni ist 72, sein Kollege Vardan Minasyan 37.

© SZ vom 11.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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