Atlético vs Real Madrid:Abschied für immer

Lesezeit: 3 min

Atlético Madrids Mannschaft beim Abschlusstraining vor der Partie gegen Real im Vicente Calderón. (Foto: AFP)
  • Am Mitwoch empfängt Atlétio Madrid im Halbfinal-Rückspiel der Champions League den Lokalrivalen Real.
  • Die Partie ist das letzte Spiel von Bedeutung im Estadio Vicente Calderón, bevor Atlético in eine neu renovierte Arena am Stadtrand umzieht.
  • Nach der 0:3-Niederlage im Hinspiel will sich das Team in Würde von der altehrwürdigen Spielstätte verabschieden.

Von Javier Cáceres, Madrid

Es bestand keine Notwendigkeit, die Stimmung noch weiter anzuheizen. Andererseits: Was wären schon Nachbarschafts-Zankereien, wenn man sie nicht noch durch die eine oder andere Provokation eskalieren lassen könnte?

Am Mittwochabend will Real Madrid im Estadio Vicente Calderón des Stadtrivalen Atlético den 3:0-Vorsprung aus dem Hinspiel des Champions-League-Halbfinales verteidigen (20.45 Uhr/ZDF). 48 Stunden vorher machte Real Madrid öffentlich, dass man eine Nachwuchskraft Atléticos, den Linksverteidiger Theo Hernández, für die kommende Saison verpflichtet habe. Das war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, denn im Grunde hatten die beiden Madrider Klubs eine Art "Nichtangriffspakt" geschlossen: Man rührt Figuren aus dem Einflussbereich des anderen nicht an. Vor ein paar Jahren verzichtete Real Madrid daher auf die Verpflichtung von Sergio Agüero.

Nachbarschaftliche Stichelei vor dem Abriss

Nun begab es sich freilich, dass der derzeit an Alavés ausgeliehene, 19 Jahre alte Theo - so sein Künstlername - unbedingt zu Real wollte. Atlético bat um 30 Millionen Euro Ablöse, vor allem aber um Vertraulichkeit bis nach dem Halbfinale. Dann aber sickerte die Nachricht doch pünktlich durch. Real Madrid bestellte Theo am Montag zum Medizincheck, "eine Provokation", zürnte ein Atlético-Funktionär, überflüssig obendrein. Denn in der ganzen Stadt ist bekannt, dass die Emotionen am Ufer des Manzanares, wo Atléticos Stadion steht, gerade leicht zu reizen sind.

Wobei man genauer sagen müsste: Atléticos Noch-Stadion. Gut 50 Jahre nach der Eröffnung eines Runds, das seinerzeit das einzige vollbestuhlte Stadions Europas war, nehmen Atléticos Fans langsam Abschied vom Calderón, es wird demnächst abgerissen. Die Partie gegen den Nachbarn ist das letzte wirklich wichtige Spiel, das dort stattfindet. Zur neuen Saison wird Atlético ans andere Ende der Stadt umziehen, in die "Peineta", wie das Stadion heißt, das einst Kernstück der immer wieder gescheiterten Olympiabewerbung Madrids war. Nun würde man der alten Heimat sehr gerne in Würde adiós sagen, mit einem Sieg gegen den verhassten Nachbarn aus dem Norden der Stadt.

Champions League
:Bayerns Abenteuer in Europas größter Bruchbude

Der FC Bayern stellt sich gegen Atlético auf Widrigkeiten ein - diese haben nicht nur mit Fußball zu tun. Beobachtungen aus einem wunderbar anarchischen Stadion.

Von Martin Schneider, Madrid

Allein: Die Bilanz der bislang 65 Duelle im Calderón weist eine Bilanz zu Ungunsten Atléticos aus. Nur 16 Mal gewannen die Gastgeber, dazu gab es 22 Unentschieden und 27 Siege für Real Madrid. Zum bislang letzten Mal siegte Real im November, 3:0. Selbst wenn sich ein solches Resultat an diesem Mittwoch nicht wiederholen sollte: Die Chancen auf ein Weiterkommen von Atlético stehen miserabel. Real Madrid hat in den vergangenen 60 Pflichtspielen immer mindestens ein Tor erzielt; ein Spiel noch, und der Rekord des FC Bayern (2013/14) ist eingestellt.

Das wäre aus Atlético-Sicht fatal. Denn in der Champions League zählen auswärts erzielte Tore bei einem Gleichstand bekanntlich doppelt. Umgekehrt hat Atlético in dieser Saison kaum Torgefahr entwickelt, elfmal siegte man nur 1:0. Und dennoch: Der Trotz, der den Anhängern Atléticos von jeher innewohnt, wird sich am Mittwochabend wieder Bahn brechen.

Schon am Samstag war davon einiges zu spüren, nach dem 1:0-Sieg im Ligaspiel gegen Eibar blieben die 54 000 Zuschauer auf ihren Plätzen sitzen und gingen nicht, bevor die Spieler 15 Minuten nach dem Schlusspfiff wieder aus der Kabine herausgekommen waren, um eine Ehrenrunde zu drehen, vor einer Kulisse aus Rot und Weiß. "Estos jugadores / sienten los colores", skandierte die Menge: "Diese Spieler / spüren die Farben." Es war die Art von Ambiente, die das Calderón-Stadion schon im Mai 1996 erlebte. Damals machte Atlético sein einziges Double perfekt, am letzten Spieltag durch einen Sieg gegen Albacete. Den ersten Treffer steuerte damals Diego Simeone bei - der heutige Trainer.

Simeone war auch diesmal der Einzige, der am Tag nach dem Hinspiel noch so etwas wie Hoffnung zu versprühen versuchte, nach dem Motto: "Im Fußball ist alles möglich." Die Anhänger zitierten allerdings einen anderen Spruch Simeones, als die Elf nach der Niederlage bei Real Madrid wieder zur Arbeit antrat. "In den Tod! Meine Spieler sterben", stand auf einem Banner am Trainingsplatz, ein Zitat aus einem älteren Simeone-Interview. Es war auch eine Antwort auf die aufreizende Choreografie der Real-Fans im Hinspiel: "Decidme qué se siente", war da zu lesen - "sagt mir, wie sich das anfühlt", umrahmt von den Code-Wörtern Lissabon und Mailand, wo Atlético gegen Real 2014 und 2016 das Champions-League-Finale verlor.

Ein Zeugnis der großen Abende

Auch das heizt die Atmosphäre an, und so steht zu vermuten, dass die Atlético-Profis sich wieder als Elite-Soldaten verkleiden und mit einem Messer zwischen den Zähnen auf den Rasen laufen werden. Das Calderón-Stadion ist unter den Arenen Spaniens das emotionalste, sowohl in Augenblicken großer Tragödien wie dem Abstieg aus den ersten Liga, wie auch an den großen Abenden. Vor allem die Siebzigerjahre waren reich daran, sagen die Älteren. 1970/71 siegte Atlético im Europapokal gegen das Cagliari des Gigi Riva 3:0 (Hinspiel 1:2), 1973/74 zog man mit einem 2:0 gegen Celtic Glasgow ins Landesmeister-Finale von Brüssel ein, das ein Drama namens Georg Schwarzenbeck bereithielt: Nach 1:0-Führung in der Verlängerung fing Atlético in letzter Minute gegen den FC Bayern den Ausgleich ein; das Wiederholungsspiel ging 0:4 verloren. Dafür durfte man die Bayern im Finale um den Weltpokal 1974 gegen Independiente de Avellenada aus Argentinien vertreten - und gewinnen.

Nur: Was wäre das gegen einen Derby-Sieg am Mittwoch? Nach menschlichem Ermessen steht man am Mittwoch aber ohne Chance da, auch wenn Atlético 2015 jenes Ergebnis erzielte, das man jetzt gut gebrauchen könnte, ein 4:0. Derlei ist nicht garantiert, wohl aber dies: "Ich erwarte ein Calderón, das den Spielern näher ist denn je", sagt Trainer Diego Simeone.

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gianluigi Buffon bei Juventus
:Der ewige King of Cool

Er hat die Aura des Unkaputtbaren: Auch dank Torwart Gigi Buffon steht Juventus Turin heute gegen Monaco kurz vor dem Champions-League-Finale - mit 39 treibt ihn ein Makel an.

Von Jonas Beckenkamp

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: