Titelkampf in der Premier League:Arsenal werden die Beine schwer

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Martin Ödegaard ist Spielmacher der Londoner - die noch bei einem Spiel mehr vier Punkte Vorsprung auf Manchester City haben. (Foto: Kirsty Wigglesworth/AP)

Der Tabellenführer aus London verspielt gegen West Ham fahrlässig erneut einen 2:0-Vorsprung. In der Meisterschaft scheint das Momentum just vor dem heraufziehenden Spitzenspiel in Richtung Manchester City zu kippen.

Von Sven Haist, London

Vielleicht sollte Arsène Wenger die verbleibenden Saisonspiele des FC Arsenal im Stadion verfolgen. Bei seinem bisher einzigen Vor-Ort-Besuch nach dem Abschied als Ewigkeitstrainer vor fünf Jahren gewann Arsenal an Weihnachten 2022 furios in der Premier League gegen West Ham United (3:1 nach Rückstand). Wengers bloße Anwesenheit schien die Mannschaft zu beflügeln. Während die Fans den Elsässer würdigten ("There's only one Arsène Wenger"), legten die Gunners jenen One-Touch-Football hin, den der Grandseigneur einst im Klub implementiert hatte. Auch beim Rückrunden-Wiedersehen mit dem abstiegsgefährdeten Stadtrivalen West Ham am Sonntag schien Wenger präsent zu sein - allerdings nicht auf den Tribünen des Londoner Olympiastadions, wo West Ham seine Heimspiele austrägt, sondern eher in den Köpfen der Arsenal-Profis.

Denn mit zunehmender Spieldauer wirkte es so, als würden sich die Spieler ausmalen, in welche Fußstapfen sie treten könnten, wenn sie in dieser Saison die Meisterschaft gewinnen würden. Zuletzt hatte sich Arsenal den Titel in der Saison 2003/04 gesichert - als sich Wenger und seine Spieler ohne Saisonniederlage als "Invincibles" unsterblich machten, als die Unbesiegbaren. In Anbetracht dieser Vergleiche ist es verständlich, dass der aktuellen Arsenal-Mannschaft im sich zuspitzenden Titelrennen offensichtlich die Beine ein wenig schwerer werden. Wie in der Vorwoche beim FC Liverpool verspielte der Tabellenführer auch gegen West Ham eine komfortable 2:0-Führung - und war letztlich mit dem erneuten 2:2 gut bedient. Das Massenblatt The Sun titelte zur West-Ham-Klubhymne ("I'm forever blowing bubbles") in Anlehnung an Arsenals vergebene Doppelführungen: "Forever blowing doubles!"

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Durch die beiden Unentschieden liegen die Nord-Londoner bloß vier Punkte vor Manchester City, das alle sechs Ligamatches zuletzt gewann (Torverhältnis 18:4) und dazu ein Nachholspiel in der Hinterhand hat. Weil City Arsenal am Mittwoch in einer Woche (26. April) zum Gipfeltreffen empfängt, kann der Dauermeister den fünften Premier-League-Titel in sechs Saisons aus eigener Kraft schaffen. Sogar ein historisches Titel-Triple aus Premier League, FA-Cup und Champions League steht in Aussicht, das bisher nur Stadtrivale United 1999 bewerkstelligt hat: Im Cuphalbfinale trifft City auf den Zweitligisten Sheffield United - und das Königsklassenhalbfinale gilt vor dem Rückspiel beim FC Bayern in München am Mittwoch wegen des deutlichen Hinspiel-Resultats (3:0) ebenfalls als fast erreicht.

Für Arsenal geht es in dieser Saison hingegen einzig um die Meisterschaft. In den Cupwettbewerben schieden die Gunners jeweils früh aus, auch weil Trainer Mikel Arteta zahlreiche Stammkräfte schonte. Damit wollte er seinem jungen Team wohl signalisieren: volle Konzentration auf die Premier League! In der Vorsaison kassierte man im dicht getakteten Spielplan im Monat April drei Liganiederlagen nacheinander. Der Klub büßte damit die gute Ausgangslage zur ersten Champions-League-Teilnahme seit 2016 ein und verpasste schließlich den Premiumwettbewerb durch zwei weitere Pleiten kurz vor Saisonende.

Schon in der Europa League vergab Arsenal zweimal einen Vorsprung

Dass Arsenal die Königsklassenqualifikation jetzt zu diesem Zeitpunkt fast sicher hat, veranschaulicht einerseits die rasante Entwicklung der Mannschaft. Die leichtfertigen Punkteverluste zeigen jedoch anderseits auch die bisweilen fehlende Souveränität in Drucksituationen. Auch beim Europa-League-Aus im Elfmeterschießen gegen Sporting Lissabon führte Arsenal in Hin- und Rückspiel. Daher stecken hinter der Duplizität der 2:2-Ergebnisse sicher weniger kuriose Umstände als dringend zu verbessernde Verhaltensweisen.

In beiden Spielen setzte nach einer beeindruckenden Anfangsphase das trügerische Gefühl der Überlegenheit ein, das die Mannschaft leichtsinnig werden ließ. Statt die Führung gegen West Ham nach dem Doppelschlag von Gabriel Jesus und Martin Ödegaard mit weiteren Toren auszubauen, leistete sich Arsenal sorglose Abspielfehler - wie einen missglückten Lupfer des Mittelfeld-Routiniers Thomas Partey vor West Hams Anschlusstreffer durch Saïd Benrahma (Elfmeter/33.).

Nur wenige Spieler bei den Gunners kennen den Druck eines Meisterschaftsrennens

Nach dem Match beklagte Trainer Arteta den "fehlenden Killerinstinkt" und die "schlampige Spielweise" seiner Mannschaft. Alles habe "zu leichtfertig" ausgesehen, weil die Spieler geglaubt hätten, es würde reichen, das Resultat zu verwalten. Sinnbildlich war die Sequenz zwischen Minute 52 und 54, als zunächst Arsenals Bukayo Saka einen Elfmeter am Pfosten vorbeisetzte und im Gegenzug aus einem Einwurf heraus der Ausgleich für West Ham durch Jarrod Bowen entstand. Als in der Schlussphase unbedingt das Siegtor hermusste, verkrampfte die Mannschaft. Beinahe wäre das Match beim Lattenkopfball von West-Ham-Angreifer Michail Antonio verloren gegangen. Die meisten Zeitungen in England schrieben in einem Wortspiel mit West Hams Spitznamen von einem "Hammer Blow" für Arsenal, einem schweren Schlag.

Das Momentum in der Meisterschaft scheint vor dem direkten Duell der Titelkandidaten erstmals in dieser Saison zugunsten des Favoriten aus Manchester gekippt zu sein. Auch weil das Restprogramm für Arsenal einige Tücken bereithält, darunter ein Auswärtsspiel beim Champions-League-Anwärter Newcastle United. Und bis auf die vor der Saison von City geholten Oleksandr Sintschenko und Gabriel Jesus verfügt kein Spieler über die Erfahrung, um die englische Meisterschaft mitzuspielen. Der Titel mit Arsenal wäre vielmehr der größte Erfolg für fast alle Beteiligten. Dafür müssten die Spieler vor allem gedanklich mit der Bedeutung eines möglichen Triumphs klarkommen. Dabei würde die Unterstützung der alten, sich momentan zurückhaltenden Helden um Trainer Arsène Wenger sicher helfen.

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