Argentiniens Stürmer:Messis Kampf um die Unsterblichkeit

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In der abgelaufenen Saison blieben Messis Ausftritte bei Barcelona blass. Schonte er sich womöglich für die Weltmeisterschaft? (Foto: Alejandro Pagni/AFP)

Lionel Messi steht vor dem kompliziertesten Turnier seiner Karriere: Spielt er schlecht bei der Fußball-WM, leiden die Argentinier. Spielt er gut, wird es in Barcelona heißen, er habe sich für die WM geschont. Und dann wäre da noch der ewige Vergleich mit dem Allergrößten.

Von Javier Cáceres, Belo Horizonte

Die Dunkelheit hatte sich längst über Belo Horizonte gelegt, als sich der ganz alltägliche Wahnsinn eines brasilianischen Molochs mit dem Irrsinn paarte, der bloß zu Besuch ist. Gegen 21 Uhr Ortszeit traf in der Sportstadt von Atlético Mineiro, der Cidade do Galo, die argentinische Delegation ein.

"Ar-gen-TI-na, Ar-gen-TI-na, Ar-gen-TI-na", tönte das Stakkato der Fans, als der Bus durchs Tor fuhr und die Insassen zaghaft der Menge zuwinkten. Die Kamera-Lampen der Journalisten wurden derweil zu Suchscheinwerfern, die im Innern des Gefährts das immer noch knabenhafte Gesicht auszumachen suchten, das zum Antlitz der Weltmeisterschaft werden soll: das Gesicht des Lionel Messi.

Zweifel an der Vaterlandsliebe

Wenn es Steigerungsformen von Druck geben würde, dann dürfte das, was Lionel Messi gerade durchlebt, jeden bekannten Superlativ sprengen. Messi hat in jungen Jahren so ziemlich jeden Rekord pulverisiert, er war bereits vier Mal "Weltfußballer des Jahres", und doch hält er dem Vergleich mit dem - jedenfalls aus Sicht der Argentinier - Allergrößten der Fußball-Historie nicht stand: Es fehlt Messi der Weltmeistertitel, um mit Diego Armando Maradona, dem Kapitän der Weltmeistermannschaft von Mexiko 1986, zumindest gleichzuziehen. Und um vor allem jenen Teil seiner Landsleute, die an seiner Argentinidad zweifeln, davon zu überzeugen, dass es ihm an Vaterlandsliebe nicht mangelt.

Der Druck auf Messi ist deshalb exorbitant, weil er nun im Kampf um die Unsterblichkeit die nach menschlichem Ermessen letzte Patrone verfeuern muss, um all die Erwartungen zu erfüllen, die er einst selbst weckte. Nie war ein argentinischer Fußballer, der je bei einer WM zu einem Torerfolg kam, jünger als es Messi bei seinem ersten WM-Treffer war: Als er am 16. Juni 2006 beim 6:0 gegen Serbien und Montenegro in Gelsenkirchen das sechste Tor der Argentinier schoss, war er 18 Jahre, 11 Monate und 22 Tage alt.

Das Kreuz, das er trägt, ist: Es blieb bislang sein einziger WM-Treffer. Und die letzte Patrone hat er deshalb in der Trommel, weil er in wenigen Tagen 27 Jahre alt wird. Bei der WM 2018 in Russland wird er 31 sein. Anders formuliert: höchstwahrscheinlich jenseits des Höhepunkts seines Schaffens.

Nicht nur deshalb dürfte Messi eine Nachricht ungelegen kommen, die in seiner Wahlheimat Spanien für Aufsehen sorgt. Die Zeitung El País berichtet, dass die spanischen Behörden eine neue Akte angelegt haben. Knapp 1,3 Millionen Dollar (950 000 Euro), die 2012 und 2013 im Rahmen von angeblich gemeinnützigen Spielen eingenommen wurden, sollen einer Firma namens "G. Marín-Messi" auf ein Konto im Steuerparadies Curaçao überwiesen worden sein. Den Angaben der Zeitung zufolge legen dies Überweisungsbelege nahe, die von der Organisatorin der Benefiz-Events stammen, der kolumbianischen Firma Total Conciertos.

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Dieser Fall wäre unabhängig vom Steuerverfahren, das 2013 von den spanischen Behörden angestrengt wurde und nun gegen Zahlung eines zweistelligen Millionenbetrags eingestellt werden soll. "G. Marín" steht für den früheren argentinischen Basketballer Guillermo Marín, der heute im Sportmarketing tätig ist - und der offenbar von Jorge Messi, dem Vater des Fußballers, mit der Organisation der inkriminierten Benefizspiele "Messi und Freunde gegen den Rest der Welt" beauftragt worden war.

Zwar heißt es in Messis Umfeld, dass Argentiniens Nummer 10 sich für nichts anderes interessiere als die Weltmeisterschaft. Konkret: für den Fußball. Dass all das, was in seinem Umfeld passiert, spurlos an Lionel Messi vorbeigeht, ist aber kaum vorstellbar. Messi selbst klagte jüngst darüber, dass er ein atypisches Jahr hinter sich habe, voller Nebengeräusche, die ihm die Konzentration auf den Beruf erschwerten.

Auch dies könnte erklären, warum er vorige Saison vergleichsweise blass blieb. Wobei vergleichsweise meint, dass er nicht an die stratosphärischen Werte seiner besten Spielzeiten in Barcelona anknüpfen konnte. Manche unken gar: nicht anknüpfen wollte.

Schon vor Monaten zirkulierte in Spanien eine wahrscheinlich nie zu beweisende (aber auch nicht zu widerlegende) Spekulation. Sie besagte, dass Messis Gedanken nur noch um die WM kreisen würden. In der Öffentlichkeit wurde sogar debattiert, dass Messi seinen Körper womöglich sehr bewusst schone. Andere Quellen meinen, Messi habe gebockt, weil er sich von der Führung des FC Barcelona nicht ausreichend geschätzt fühle. Der Brasilianer Neymar verdiente mehr, und um den Klub kursierten Gerüchte, die jetzige Führung sehe Messi bereits als "amortisiert" an.

Nur in einem Spiel auf aberwitzigem Niveau

So wie Ronaldinho nach der WM 2006 die Lust am Fußball verloren habe, werde es Messi nach der WM 2014 sicher auch gehen, argwöhnten die Anzugträger in Barcelonas Chefetage. Fakt ist, dass es in der Saison 2013/2014 nur ein Spiel gab, in dem Messi an das aberwitzige Niveau heranreichte, das er vor ein paar Jahren noch wöchentlich erfüllte: Im März beim Clásico, beim 4:3 von Barça bei Real Madrid.

Tatsächlich dürfte es für ihn, dessen Argentinidad unter Verdacht steht, kaum etwas Verlockenderes geben, als den Weltpokal in den Händen zu halten; es Maradona nachzutun, der vor der WM 1982 in Spanien ähnlich glorifiziert worden war wie Messi im Jahr 2010 - der dann aber erst 1986 brillant Weltmeister wurde.

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Doch selbst wenn es stimmen sollte, dass Messi sich geschont hat, wird die Frage bleiben, ob es so einfach ist, den Spannungsabfall auf Knopfdruck zu beheben. Zumal er eine Mannschaft als Kapitän anführt, die mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Zwar ist im Angriff mit einiger Berechtigung von den "Fantastischen Vier" die Rede, neben Messi zählen Ángel Di María (Real Madrid), Gonzalo Higuaín (SSC Neapel) und Messis Zimmernachbar Sergio "Kun" Agüero (Manchester City) dazu.

Doch das kann nicht kaschieren, dass das Team weiterhin zweigeteilt ist und die Übergangsprozesse von Abwehr auf Angriff und umgekehrt nicht funktionieren. Zudem gilt das Verhältnis von einigen Stars, unter ihnen Messi, zu Nationaltrainer Sabella als angespannt, weil dieser Ever Banega ausbootete, einen der besten Freunde des Kapitäns.

Andererseits: Wer könnte schon Widrigkeiten im Alleingang überwinden, wenn nicht Messi? Für alle Fälle lassen die Argentinier nichts unversucht, um auch übernatürliche Kräfte zu rekrutieren. Die Zimmernummern "13" (Pech) und "17" (Unglück) im Hotel wurden entfernt, ebenso ein großes Plakat, das die Argentinier am Tor der Sportstadt von Atlético Mineiro als künftige Champions auswies. Dafür prangt im Inneren ein gigantisches Foto der Nationalelf mit Franziskus. Gott mag, wenn er denn existiert, überparteilich sein. Aber der Papst ist Argentinier.

© SZ vom 11.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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