Ist Mario Götze ein Fußballspieler aus Fleisch und Blut, oder eine Kunstfigur ohne Gemütsregung? Er schießt zwei Tore für die Nationalmannschaft gegen Armenien - ohne mit der Wimper zu zucken. Keine Freude, kein Jubel, nichts. Der emotionslose Götze. Aber: Wer Mario Götze kennenlernen will, begebe sich bitte zur nagelneuen Mario-Götze-App. Wo die Fans dem 37-Millionen-Hoffnungsmann des DFB so nahe kommen können wie nirgends sonst.
Dort erfährt der Fan zwar nicht, wieso der 22-Jährige ungern seine Tore feiert. Dafür weiß er nun, dass sein Idol ein "passionierter Kinogänger" sei, Popcorn dazu isst (und dabei sogar lacht), "nur bei Horror-Filmen bin ich raus!" In der Freizeit relaxe und entspanne er gerne. Außerdem sei ihm Musik sehr wichtig, sie begleite ihn Tag für Tag, "bevorzugt höre ich R'n'B und Hip Hop!" Da ist viel dabei, was ein Fan gerne wissen will.
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Täglicher Spielplan zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien mit Gruppeneinteilung und allen WM-Spiel-Terminen.
Und einiges, was er sehen und wissen soll. Was die sogenannten Partner (das Wort "Sponsor" klingt inzwischen uncool) glücklich macht, und wofür sie viel Geld bezahlen.
Zum Beispiel ein Bild mit Mario Götzes mehr als 100 Paar Schuhen, unter denen sich einige seines Schuhsponsors befinden. Oder eines, wie Mario Götze ein sogenanntes Selfie von sich macht, sich mit dem Smartphone des "Partners" also selbst fotografiert. Wenn Götze erklärt, wie gerne er R'n'B hört, trägt er natürlich nicht irgendwelche Kopfhörer.
Die App ist der nächste Schritt in der Vermarktungsmaschine
Die App von Götze ist der nächste Schritt in einer sich immer schneller drehenden Vermarktungsmaschine rund um die Fußballer. Ein Schritt in die Unabhängigkeit von Facebook, Twitter, Instagram. Noch allerdings ist es ein Versuch, sich über die Social-Media-Plattformen zu erheben, die Nutzerzahlen dort sind einfach zu schwindelerregend.
Dabei sind die virtuellen Aktivitäten der Fußballer ein anschauliches Beispiel dafür, wie sehr das Internet in den vergangenen Jahren seine Unschuld verloren hat. War es vor nicht allzu langer Zeit selbst für berühmte, junge Kicker nur ein Zeitvertreib, sich auf den Social-Media-Plattformen zu tummeln, zwängt sich heute der Kapitalismus hinein. Der Spaß ist noch nicht ganz vorbei, doch die Konten füllen sich bereits. Die Geldmacher nutzen das Spaß-Image für ihre Zwecke.
Simon Papendorf, Head of Digital DACH beim Unternehmen Repcuom, dem Marktführer in der Sportmarketingforschung und -sponsoringberatung, sagt: "Die Plattformen der Spieler sind eine Riesenchance für Unternehmen, schneller, anders und in vielen Fällen effektiver für ihre Produkte zu werben."
Papendorfs Unternehmen erstellt dafür "Fittings": Welcher Sponsor passt zum jeweiligen Akteur, so dass sich die ideale Symbiose aus scheinbarer Alltäglichkeit und wirkungsvoller Werbung einstellt? Mario Götze hört gerne Musik, sogar im Mannschaftsbus? Dazu braucht er einen Kopfhörer - logisch. In Pähl am Ammersee wird abends gerne gegrillt? Was liegt dann näher als Thomas Müller am Grill? Auch wenn der Bayern-Profi zuletzt auf einem Facebook-Foto damit irritierte, beim Fleischbrutzeln Handschuhe zu tragen.
Bestandteil von Vergütungsmodellen
Die Spielerseite betont weiterhin den Spaßfaktor. Die Agentur Sportstotal berät Götze, Toni Kroos, Marco Reus, Benedikt Höwedes und noch ein paar mehr etablierte Bundesliga-Kräfte, ums Marketing kümmert sich Kai Birras. Der sagt, dass Social-Media-Auftritte von Spielern allein kein Geld einbrächten, aber in Verhandlungen als "Bestandteil von Gesprächen, Klauseln und Vergütungsmodellen" zunehmend Gewicht erhielten. "Ein Sponsor entscheidet sich im Zweifel sicher für den Sportler, der in Social Media aktiv ist", erklärt er.
Doch sind die Sportler selbst überhaupt noch aktiv? Oder haben das längst die Agenturen beziehungsweise die Sponsoren selbst in die Hand genommen? "Die Nutzung ist zu großen Teilen von den Spielern selbst", sagt Birras von der Spieleragentur. Das stimmt bei den meisten Profis wohl noch. Doch würde Birras etwas anderes sagen, würde das gesamte Konstrukt wackeln. Schließlich sollen die Fans ja glauben, ihren Stars hier näher zu kommen als anderswo. Papendorf von Repucom meint: "Das kann man schlecht einschätzen, was privat gemacht wird oder über Agenturen läuft. Umso bekannter der Sportler ist, desto mehr kommt von Agenturen."
So darf man bei Mesut Özil davon ausgehen, dass kaum mehr etwas von ihm selbst stammt. Das Magazin 11Freunde schrieb, dass sich gleich mehrere Personen aus der "Özil Marketing GmbH" um die Auftritte des Spielers kümmern. Fotos posten, Texte schreiben, und zwar in Deutsch, Türkisch, Englisch, Spanisch, Arabisch und nun auch in Portugiesisch. Die größtmögliche Reichweite soll es sein. Vor einem halben Jahr hatte Özils Facebook-Seite 14 Millionen Freunde, jetzt sind es mehr als 19 Millionen.
Nach einer Auswertung von Repucom reicht es für Özil dennoch nicht unter die Top Ten der vermarktbarsten Fußballer. Ganz vorne thront Cristiano Ronaldo, dem allein auf Facebook 84 Millionen Menschen folgen. Und während man das liest, kann es schon wieder eine halbe Million mehr sein. Die Torjäger ist ein Aufmerksamkeitsmagnet, ein Traum für jeden Werbetreibenden.
Wo ist dann der Spaß geblieben, mit dem alles mal begann? Ist er nicht das Fundament, auf das die Geldverdienerei fußt? Da hilft es enorm, wenn man ein authentischer Spaßvogel ist wie Lukas Podolski. Auf seinem Instagram-Account sieht man den Journalisten, den er im Trainingslager in Südtirol in den Pool geworfen hat, oder den schlafenden Bastian Schweinsteiger samt Lausbuben-Grinsen von Podolski.
Da fällt es nicht ganz so sehr ins Gewicht, dass er als deutscher Botschafter einer umstrittenen WM-Kampagne seines Ausrüsters beteiligt war: Podolski mit einem echten, blutigen Rinderherzen in den Händen und entschlossenem Blick. Tierschutzverbände reagierten empört, die Leser kommentierten etwa bei Facebook entsprechend.
Verunglückter Post mit schwerwiegenden Auswirkungen
Da war er, der allseits befürchtete Shitstorm. In diesem Fall durfte sich der Sportartikel-Hersteller jedoch über die Public Relation freuen, die ihm die Proteste einbrachten. Die paar Tierschützer, die nun andere Schuhe kaufen, sind da verschmerzbar. Die Spieler (und ihre Agenturen) sind allerdings angehalten, Vorsicht walten zu lassen. Ein verunglückter Post bei Twitter kann heute schwerwiegendere Auswirkungen haben als (der nicht aufgenommene) Missbrauch einer Hotellobby als Herren-Toilette.
Bei der Nationalmannschaft herrschen bei dieser WM strenge Regeln: "Es darf bei Facebook und Twitter nichts geschrieben werden über Verletzungen, Taktik, einfach über Dinge, die nur die Mannschaft angehen", sagte Manager Oliver Bierhoff. Die Sehnsucht danach, wieder etwas geheim halten zu können, geht einher mit der Flut an "privaten" Äußerungsmöglichkeiten via Internet. Von wegen #NahDranWieNie - keinesfalls.
Rasender Zug ins PR-Glück
Der Zugang zu den Sportlern ist zu neu, zu spannend, zu anziehend für die Fans, als dass sie ihm widerstehen könnten oder wollten. Auch wenn die Reklame inzwischen offensichtlich ist. Kai Birras meint: "Die Leute merken schon, was ist Werbung ist und was nicht. Aber Werbung ist Bestandteil des Geschäfts und auch des Lebens, deshalb sehe ich das nicht tragisch. Es muss sich mit den privaten Informationen die Waage halten."
Dieser scheinbar rasende Zug ins PR-Glück bewegt den Markt. Bei Sponsoren und Spieleragenturen werden Mitarbeiter eingestellt, die sich nur noch um Social-Media- und Internetauftritte kümmern. Für nur einen kommerziellen Post könnte Cristiano Ronaldo heute bereits 50 000 Euro verlangen, rechnet Digital und Social Media-Experte Papendorf, "und die Steigerungsraten sind noch enorm". Birras kündigt an, dass die App von Mario Götze erst der Anfang war, die Agentur arbeite "an Neuerungen, um die Fans noch näher am Leben der Stars teilhaben zu lassen". Gewinnspiele, Musiktipps mit entsprechenden Links - die Möglichkeiten des Internets scheinen auch hier unbegrenzt.
Den Sportler allerdings, den sollte es schon noch geben. Am besten den erfolgreichen, aktuell am allerbesten bei der Weltmeisterschaft in Brasilien. Und wenn Mario Götze im ersten Gruppenspiel gegen Portugal sogar ein Tor gelingt, er sich den Massen zu Hause vor den Leinwänden ausnahmsweise angleicht und dabei die Arme nach oben reißt, sich freut und einen jubelnden Schrei rauslässt, dann sind gleich alle viel mehr #PartOfGoetze. Daumen hoch und ein paar hunderttausend Likes garantiert.