Wechsel zu Fatih Karagümrük:Pirlo und der Pate

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Erst Juventus Turin, nun der kleine türkische Klub Fatih Karagümrük: Andrea Pirlo wagt einen Neustart. (Foto: Andrea Bressanutti/dpa)

"Riskant und mutig": Der frühere Mittelfelddenker Andrea Pirlo wird Trainer eines kleinen Vereins in der Türkei. Der empfängt ihn einigermaßen geschmacklos.

Von Oliver Meiler, Rom

Geschmack ist ja eine verhandelbare Kategorie, ein paar Konstanten gibt es aber schon. Bei Fatih Karagümrük, einem Fußballverein aus der türkischen Süper Lig, scheint es daran ein bisschen zu gebrechen. Am Wochenende hat der Achtplatzierte der vergangenen Saison seinen neuen Trainer vorgestellt, ganz stolz wahrscheinlich, denn es ist ein großer Name aus Italien: Andrea Pirlo, 43 Jahre alt, Weltmeister 2006, 116 Länderspiele, und den Italienern gemeinhin auch als Maestro bekannt, weil er in seiner Aktivzeit mit samtenem Fuß das Geschehen auf dem Platz dirigierte, es taktete und umgestaltete, es schneller machte und verlangsamte. Wie sonst fast keiner.

Auf seinen Profilen in den sozialen Medien zeigte Karagümrük zum glücklichen Ereignis Andrea Pirlo als Don Vito Corleone, so, wie man ihn vom Filmplakat aus dem ersten Teil der Trilogie "Der Pate" kennt: schwarzer Anzug, Fliege, rote Rose im Knopfloch. Obwohl sich die Italiener über die Jahre daran gewöhnt haben, dass außerhalb des Landes gerne und oft mit den Klischees von Mafia und Mandoline gespielt wird: Es nervt sie dann doch jedes Mal, natürlich völlig zu Recht.

Als Spieler war Andrea Pirlo einer, der das Geschehen auf dem Platz dirigierte, es taktete und umgestaltete. (Foto: Maurizio Degl' Innocenti/dpa)

Pirlo hat nur für ein Jahr bei den Türken unterschrieben, offenbar für 1,5 Millionen Euro Gehalt, netto. Und er scheint angetan zu sein, wobei das bei seiner eher lakonischen Art immer etwas schwer zu erörtern ist. "Ich bin glücklich, ein neues Abenteuer zu beginnen", schrieb er auf Twitter. Die Gazzetta dello Sport nennt die Klubwahl "riskant und mutig". Aber ist es das wirklich?

Juve war eine Nummer zu groß - aber im Nachhinein relativiert sich der Misserfolg

Pirlo hat erst ein Mal einen Profiverein trainiert, von 2020 bis 2021, und gleich einen sehr großen: Juventus Turin, als Novize. Als er damals angestellt wurde, warnten viele, man erweise dem Maestro keinen Gefallen, wenn man ihn so früh ins große Becken werfe. Gerade erst hatte sich Pirlo den Trainerschein erworben mit der Arbeit "Il mio calcio", Mein Fußball, ein 30-seitiges Elaborat über seine eklektischen Vorlieben und Vorbilder: von Pep Guardiola über Carlo Ancelotti bis Antonio Conte.

Bei Juve war dann nichts zu erkennen, von keinem Modell. Unter Pirlo gewannen die Turiner nur eine Coppa Italia und eine Supercoppa italiana. Im Nachhinein betrachtet war das allerdings gar nicht so schlecht: Sein Nachfolger Max Allegri gewann in der vergangenen Saison keinen einzigen Titel.

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Jetzt also Fatih Karagümrük, der Verein aus dem Istanbuler Viertel Vefa - für einen Neustart, im ganz kleinen Becken. In Italien waren sie überrascht über die Nachricht, in der Türkei auch: Die Süper Lig mag zuletzt etwas gewachsen sein, eine Hausnummer ist sie im Fußball noch immer nicht.

Karagümrük trägt seine Heimspiele im Olympiastadion Istanbuls aus, dem "Atatürk", 76 000 Plätze. Es verlieren sich darin aber jeweils nur einige Tausend. Ein türkischer Journalist, der den italienischen Medien die Gemengelage etwas zu erklären versuchte, deutete die schwache Gefolgschaft des Klubs auch mit der großen Distanz zwischen Vefa und dem Stadion: 25 Kilometer - wer mag das schon auf sich nehmen? Im Olympiastadion würden außerdem immer starke Winde wehen, und das verhindere das schöne Spiel. Keine sonderlich guten Bedingungen für "Il mio calcio", die Übersetzung von Andrea Pirlos unvergessener Meisterschaft auf den Rasen.

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