Carlo Ancelotti beim SSC Neapel:"Man lebt hier wie ein Gott"

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Immerhin auf Platz zwei der Serie-A-Tabelle. Doch langfristig ist das für Carlo Ancelotti und seinen SSC Neapel zu wenig. (Foto: AFP)
  • Mit Paris kehrt Carlo Ancelotti in die Stadt zurück, wo seine FC-Bayern-Karriere ihr Ende fand. Am Mittwochabend tritt er dort mit dem SSC Neapel gegen PSG und Thomas Tuchel an.
  • In der Serie A hächeln die Neapolitaner nur Juvenus Turin hinterher - doch der Vorstand stärkt Ancelotti den Rücken.

Von Birgit Schönau

Vor zehn Tagen trafen sich Carlo Ancelotti und Pep Guardiola in Trient auf einem Podium der Gazzetta dello Sport. Es ging um Europas Fußball, und auf seine kokett-bescheidene Art behauptete Guardiola, inzwischen erfolgreich bei Manchester City, er habe sich nie träumen lassen, dass er in seinem Leben mal den FC Barcelona trainieren würde - erst recht nicht den FC Bayern: "In Deutschland zu leben und Deutsch zu sprechen!" rief Pep gespielt dramatisch in seinem fast akzentfreien Italienisch, die Italiener im Saal lachten.

Ancelotti lachte nicht, er verdrehte die Augen: "Hör bloß auf", sagte er trocken und winkte ab. Mehr war ihm zum Thema München dann nicht mehr zu entlocken.

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Es sitzt wohl tief. Vor etwas mehr als einem Jahr, am 27. September 2017, war Ancelotti nach dem 0:3 seines damaligen Klubs FC Bayern bei Paris St. Germain stante pede gefeuert worden. Von Pep Guardiola leicht überfordert, von seinem Nachfolger Carlo Ancelotti schwer unterfordert - so hatten sich die Münchner Spieler seinerzeit gefühlt. Präsident Uli Hoeneß formulierte gewohnt vorsichtig zur Lage Ancelottis: "Du kannst als Trainer nicht deine prominentesten Spieler zum Gegner haben." Vom Boss mal ganz zu schweigen.

An diesem Mittwoch kehrt Ancelotti zum ersten Mal nach Paris zurück. Wieder Parc des Princes, wieder Champions League. Trainer bei PSG ist jetzt Thomas Tuchel, der auch mal als Ancelotti-Nachfolger beim FC Bayern im Gespräch war. Und Ancelotti war ja auch mal Coach bei PSG, anderthalb Jahre zwischen 2011 und 2013, bevor er zu Real Madrid weiterzog und dort die Champions League gewann. Mit dem Wechsel nach Paris hat der Schwabe Tuchel den entscheidenden Karrieresprung gemacht, auf die große, internationale Bühne, als Trainer von Weltklassespielern wie Neymar und Mbappé. Ancelotti ist neuerdings beim SSC Neapel unter Vertrag. Verglichen mit Madrid, Paris und München ist das Fußballprovinz, denn am Vesuv träumt man nicht vom Königspokal, sondern von der Italienmeisterschaft, und das schon seit fast drei Jahrzehnten.

Zugang Cristiano Ronaldo, Abgang Gonzalo Higuain

Genau für dieses Ziel, nach sieben Jahren in Serie endlich Juventus Turin zu entthronen, wurde Ancelotti von Napoli-Patron Aurelio De Laurentiis engagiert. Bis jetzt sieht es mittelprächtig aus. Juve behauptet wie immer eisern die Tabellenspitze, und Neapel folgt wie meistens auf dem Fuß mit vier Punkten Abstand. Sicher, die Saison ist lang. Andererseits spielt für die Turiner Dauermeister nun ein gewisser Cristiano Ronaldo.

Dessen Engagement war ein Schock für die Neapolitaner, hatte De Laurentiis doch in diesem Sommer alles auf den neuen Trainer gesetzt und auf dem Spieler-Transfermarkt äußerste Zurückhaltung geübt. Um zuzusehen, wie die Konkurrenz mal eben 105 Millionen Euro an Real Madrid überwies, Ronaldo ein Jahressalär von 30 Millionen garantierte und den in Neapel noch immer schmerzlich vermissten Gonzalo Higuain an den AC Mailand auslieh - Juve braucht den Argentinier, der vor zwei Jahren für 90 Millionen vom SSC kam, schlicht nicht mehr.

Juventus spielt auf einem anderen Planeten und kann auch in diesem Jahr wieder nur an sich selbst scheitern. De Laurentiis versichert, dass das mit "Carletto" eine längerfristige Angelegenheit würde - wer das vulkanische Temperament des Patrons kennt, der weiß indes, dass mit "längerfristig" keine Ewigkeit gemeint ist. Schließlich hat De Laurentiis seinen Coach Maurizio Sarri entlassen, weil der einmal zu oft nur Zweiter hinter Juve geworden war. In der Premier League steht Sarri jetzt mit Chelsea auf Platz drei.

Ancelotti aber macht in Neapel da weiter, wo er in München aufgehört hatte. Er lobt die Stadt ("Man lebt hier wie ein Gott"), lobt die Spieler - und er praktiziert das gewohnte Laissez-faire: "Es gibt keinen Ancelotti-Stil, weil ich mein Spiel nach den Fußballern ausrichte", hat er in dieser Woche der Zeitung France Football gesagt, diesen Satz hat der Trainer aus der Emilia nun auch schon in einigen Sprachen formuliert, unter anderem auf Deutsch.

Nur Innenverteiger Kalidou Koulibaly ist gesetzt

In Italien wird er damit verstanden. Der Begriff Sarrismo hat zwar Eingang in das offizielle Wörterbuch gefunden, aber Prediger des Systemfußballs gelten in der Serie A schnell als allzu anstrengend. Dass Neapel, von Sarri auf das Kurzpass-Spiel gedrillt, jetzt öfter mal lange Bälle schlenzt? Warum denn nicht? Dass die Tore, wie zuletzt beim 1:0 gegen Liverpool, öfter eher zufällig fallen und gern auch in der Nachspielzeit? Na ja, Hauptsache gewonnen! Immer noch spielt Napoli ja schönen Fußball, mit den flinken, kleinen Angreifern Lorenzo Insigne und Dries Mertens, mit dem leichtfüßigen Polen Arkadiusz Milik, dem listigen Spanier José Callejón.

Es ist das schönste Spiel, das die Serie A zu bieten hat - und natürlich ist es noch Sarris Spiel, nur ein bisschen gemütlicher. "Eine freundliche Revolution", schwärmt die Lokalzeitung Corriere del Mezzogiorno. Die besteht vor allem darin, dass Ancelotti seine Spieler auch mal ausruhen lässt. Rotation gab es bei Sarri nicht, für den Neuen aber ist nur der Franzose Kalidou Koulibaly unverzichtbar - ein Verteidiger.

Nach neun Jahren genießt es Ancelotti in vollen Zügen, wieder zu Hause zu sein, nicht zuletzt der guten Küche wegen. Vor ein paar Wochen lud der Trainer einen heimischen Sternekoch zu sich nach Hause ein und bewirtete ihn mit raffinierten Fischgerichten - eine Geste, die beim Veganer Tuchel schwer vorstellbar ist.

Ancelotti aber pflegt sein Image als gelassener Genussmensch, der den Fußball nicht allzu ernst nimmt: "Für mich gäbe es überhaupt nur einen Grund, mit diesem Traumjob aufzuhören: Wenn der Stress zu groß wird", sagt er. Und Paris ist zu viel Stress nicht wert.

© SZ vom 24.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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