American Football:Auf die Form kommt es an

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Mal wieder dabei: der siebenmalige Super-Bowl-Sieger Tom Brady mit den Tampa Bay Buccaneers. (Foto: Kim Klement/USA TODAY Sports)

Tom Brady zieht dank eines Gala-Auftritts mal wieder in die Playoffs ein. Er erinnert die Liga daran, dass auf dem Weg zum Super Bowl die Sieg-Niederlagen-Bilanz der regulären Saison wenig zählt. Wichtig ist die Fitness im neuen Jahr.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

American Football ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen einem Lederei hinterher - und am Ende gewinnt Tom Brady. Am Neujahrstag bewies der Spielmacher der Tampa Bay Buccaneers wieder einmal, dass er der beste Quarterback der Geschichte ist; und er bewies, dass er das deshalb ist, weil er immer einen Weg findet, irgendwie zu gewinnen. Es hatte nicht gut ausgesehen gegen die Carolina Panthers, doch dann warf Brady im Schlussviertel zwei Touchdown-Pässe auf Mike Evans, einmal lief er selbst in die Endzone. Am Ende stand es 30:24 für Tampa Bay, die damit bereits einen Spieltag vor Ende der regulären Saison für die Playoffs qualifiziert sind.

Die Bilanz der Buccaneers: acht Siege, acht Niederlagen, 8:8. Das ist nicht berauschend, vor allem ist sie Anlass, sich nicht nur mit den ungeschriebenen Gesetzen dieser Sportart (Brady gewinnt den Super Bowl) zu beschäftigen, sondern auch mit denen im Regelwerk. Sportarten sollen gewöhnlich einfache Spiele sein: Leute laufen, springen, werfen, schlagen, kämpfen, schießen, tanzen; und wer am Ende am häufigsten gewinnt, der kriegt Pokale, Schüsseln, Schalen, Ringe. Sport ist aber auch Teil der Unterhaltungsindustrie, also haben sich die Verantwortlichen ausgedacht, dass eine K.-o.-Runde eine spannende Sache sein könnte - und auch da sollte man grundsätzlich denken: Wer die meisten Siege oder Punkte geholt hat, der ist dabei.

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Nun, im Football ist das anders, ganz bewusst, und das führt unter anderem dazu, dass vor den Neujahrsspielen die Fans in Seattle, Detroit, Green Bay, Carolina und Washington zahlreiche Wenn-dann-Szenarien durchspielen.

Das Reglement in der Kurzfassung: Die US-Footballliga NFL ist unterteilt in die beiden Conferences NFC und AFC, die jeweils vier regionale Divisionen mit je vier Teams beheimaten. Jeder Verein absolviert 17 Partien: jeweils zwei gegen die drei anderen Vereine der eigenen Division (sechs Spiele); je ein Spiel gegen vier Teams aus einer per Rotationsprinzip wechselnden anderen Division der eigenen und der anderen Conference (weitere acht Spiele); je eine Partie gegen ein Team aus den beiden noch verbliebenen Divisionen der eigenen Conference (zwei Spiele) - und eine Partie gegen eine Mannschaft aus der anderen (ein Spiel). Ja, klingt extrem kompliziert, sorgt aber dafür, dass jede Franchise alle drei Jahre gegen alle Klubs der eigenen Conference spielt und alle vier Jahre gegen sämtliche NFL-Vereine.

Schon Trainer Bill Belichick wusste: Wichtig ist es, rund um Neujahr fit zu sein

Die Playoffs erreichen die Gewinner der jeweiligen Divisionen sowie die drei Teams aus der Conference mit den besten Bilanzen; also insgesamt 14 von 32 Mannschaften. Die erfolgreichsten Teams der Conferences (derzeit sind das in der NFC die Philadelphia Eagles, in der AFC die Kansas City Chiefs) haben in der ersten Playoff-Runde ein Freilos und Heimrecht bis zum Halbfinale. Die anderen drei Divisionssieger haben in der ersten Playoff-Runde jeweils Heimrecht, und nun wird bereits die erste sportliche Merkwürdigkeit sichtbar: Sollten die Eagles am kommenden Wochenende verlieren und die Dallas Cowboys gewinnen, rutscht Philadelphia in der Setzliste nicht von eins auf zwei; sondern auf Platz fünf, weil die jeweiligen Divisionssieger gesetzt sind. Statt Freilos und Heimrecht danach müssten die Eagles auswärts antreten, Stand jetzt bei den, ja, Buccaneers. Wenn die noch einmal verlieren, wäre in Sieg-Niederlagen-Bilanzen gesprochen ein 8:9-Team Gastgeber für eine 13:4-Mannschaft.

Man kann vortrefflich darüber streiten, ob dieses System gerecht ist bei der Suche nach den Besten einer Disziplin; man kann aber auch noch andere Merkwürdigkeiten entdecken - und die Genies, die aus diesem Reglement eine Wissenschaft für Erfolg gemacht haben: Zum Beispiel Trainer Bill Belichick von den New England Patriots (derzeit mit einer Bilanz von 8:8 auf Platz sieben der AFC), der gemeinsam mit Brady von 2000 bis 2019 auch deshalb so erfolgreich war. Sein Mantra: Die Bilanz ist völlig egal; wichtig ist es, die Division zu gewinnen und zu Neujahr gesund und eingespielt zu sein.

Die Vikings stehen vor den Packers - wurden aber gerade von jenen vermöbelt

Genauso sehen das mittlerweile die meisten Vereine, und es führt bei der Bewertung der wahren Stärke der Titelkandidaten dazu, nicht so sehr auf die Bilanz zu achten. Aktuelles Beispiel: Die Minnesota Vikings sind mit einer Bilanz von 12:4 - was sich toll anhört - bereits als Sieger der NFC North für die Playoffs qualifiziert. Am kommenden Wochenende kommt es zum Duell Packers gegen Lions (beide 8:8); wenn die Packers gewinnen, sind sie sicher drin. Die Lions müssten bei einem Sieg auf eine Niederlage von Seattle hoffen. Die wären in den Playoffs bei eigenem Sieg und Packers-Niederlage.

Interessant: Packers und Lions werden derzeit stärker eingeschätzt als die Vikings - die am Sonntag von den Packers regelrecht vermöbelt wurden (17:41) und vor drei Wochen verdient 23:24 gegen die Lions verloren hatten. Heißt: Es kommt nicht nur darauf an, gegen wen man spielt - sondern auch, wann man gegen wen spielt. Ein Sieg zu Saisonbeginn ist für die Form im neuen Jahr so aussagekräftig wie ein Blick in die Glaskugel. Jetzt, rund ums neue Jahr, kommt es drauf an.

Pünktlich zu den Playoffs findet Brady den Passempfänger Evans

Das führt freilich zurück zu Brady. Der wurde ordentlich geschmäht für seinen Rücktritt vom Rücktritt im Alter von 45 Jahren. Für schlimme Niederlagen zu Beginn (3:21 gegen die Panthers zum Beispiel) und wirklich schlechte Leistungen. In den vergangenen beiden Wochen führte Brady sein Team erst zum Comeback-Overtime-Sieg gegen die Arizona Cardinals - und nun legte er diese Glanzvorstellung mit 432 Yards Raumgewinn, drei Touchdown-Pässen und einem Lauf in die Endzone hin. Er schickte auch gleich eine Botschaft an den möglichen Playoff-Gegner: Denn die Eagles haben ohne ihren ersten Quarterback Jalen Hurts (Schulter) die letzten beiden Spiele verloren. Hurts dürfte am kommenden Wochenende wieder auflaufen; es ist aber fraglich, ob das Timing mit den Passempfängern passt und er angesichts der Verletzung so mutig wird laufen können wie zu Beginn der Saison.

"Wow, wow, wow, krasse Statistiken", hatte Brady schon vor dem Wochenende über die Läufe von Hurts gesagt und dabei extrem gelangweilt gewirkt. Nun sagte er über den Rhythmus mit Wide Receiver Evans: "Er war vorher auch schon frei; ich habe den Ball nur nicht in seine Hände geworfen. Jetzt schaffe ich das." Jetzt, wo es drauf ankommt. American Football ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen einem Lederei hinterher - und am Ende gewinnt Tom Brady.

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