Der Mann für deutsche Rekorde im Darts heißt: Gabriel Clemens. Vor zwei Jahren, bei der WM 2021, erreichte Clemens als erster Dartsspieler seines Landes das Achtelfinale. Beim diesjährigen Championship setzte er mit dem Einzug in die Runde der letzten acht am Freitag einen drauf - und nun schaffte er am Neujahrstag eine Sensation, die ihm vor diesem Turnier niemand zugetraut hätte. Clemens, wegen seiner beachtlichen Statur "German Giant" genannt, der deutsche Riese, stürzte den eigentlichen Riesen, den Waliser Gerwyn Price, die Nummer eins der Welt, mit 5:1 nach Sätzen und zog ins Halbfinale der Darts-WM 2023 ein.
Dabei gab Clemens lediglich den ersten Satz ab, den er sofort ausglich. Danach lieferte der 39-Jährige eine Demonstration im Pfeilwerfen ab, die eigentlich von seinem Gegner erwartet worden war. Er zog auf und davon, Satz um Satz, 2:1, 3:1, 4:1 - und vollendete sein Werk mit einem Treffer auf die Doppel-4. Anschließend drehte er sich zum Publikum um, ballte die Fäuste und ließ seine anderen beiden Pfeile aus der Hand fallen. Die Fans feierten ihn frenetisch, sogar Gegner Price applaudierte der Gaga-Vorstellung. Gaga ist ein weiterer Spitzname von Gabriel Clemens.
SZ-Serie "Erklär deinen Sport": Gabriel Clemens:"Der ständige Druck raubt einem die Kraft"
Wie werfe ich eine 180? Gabriel Clemens, Deutschlands bester Dartsprofi, gibt Tipps für Hobbyspieler - und spricht über die große mentale Belastung an der Scheibe.
Im Siegerinterview rang er sichtbar um Worte. "Danke Deutschland!", sagte er - der Dank galt den vielen deutschen Anhängern im Alexandra Palace zu London, die ihn unentwegt angefeuert hatten. Als Nächstes trifft er am Montag im Halbfinale auf den Vorjahresfinalisten Michael Smith (England), der sich zuvor gegen Stephen Bunting durchgesetzt hatte.
Aus der Ruhe kommt Clemens nur, wenn es bei der PK um die englische Übersetzung seines ursprünglichen Berufs geht
Spätestens jetzt genießt Clemens einen neuen Status in der Dartsszene. Mit den Auswirkungen seiner neuen Bekanntheit wurde Clemens erstmals nach seinem diesjährigen Sieg im Achtelfinale über den Schotten Alan Soutar konfrontiert. Auf der Pressekonferenz befragten ihn mehrere internationale Reporter ausführlich zu seinem Werdegang. Einer wollte etwa "für diejenigen, die ihn noch nicht kennen", wissen, welche Tätigkeit er ausgeübt habe, bevor er vor vier Jahren seine Profikarriere startete. Die Frage brachte den sonst kaum aus der Ruhe zu bringenden Clemens tatsächlich für einen Moment aus der Fassung. Er grübelte über die richtige Übersetzung des Berufs "Schlosser" nach, dem er 16 Jahre lang nachgegangen war, zuletzt beim Entsorgungsverband Saar. Nach kurzer Bedenkzeit fand er die passende Formulierung: "Locksmith".
Als Halbfinalist hat Clemens jetzt ein Preisgeld von 100 000 Pfund sicher, mehr als je zuvor. In der Weltrangliste dürfte er die Top 20 erreichen. Aber insbesondere verzückte der Saarländer am Sonntagabend die deutschen Fans. Sie sangen: "Oh, Gabriel Clemens" und "Oh, wie ist das schön".
Beim Satzausgleich ging ein erster Jubelschrei durch die Spielhalle. Spätestens da dürfte Price realisiert haben, dass sich ein Durchmarsch wie in den ersten drei Runden nicht wiederholen würde, als er lediglich zwei Sätze abgeben musste. Mit leichtem Kopfschütteln quittierte der Favorit danach bei eigenem Anwurf das Break des Deutschen, der seinen Vorsprung auf 3:1 ausbauen konnte, obwohl er sich bei den Würfen auf die Doppelfelder, mit denen ein einzelnes Leg jeweils beendet wird, einige Fehler leistete. Irgendwann war Price so genervt, dass er sich große Kopfhörer über die Ohren zog - aber das half ihm auch nichts. Clemens warf einfach souverän weiter, am Ende stand für ihn der Durchschnittswert von 99,94 Punkten pro Wurf. Auch das: deutscher WM-Rekord.