Bundesligaprofi Rogel:Zwischen Hippokrates und Hertha

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Rogel bei der Arbeit: Der Hertha-Uruguayer kann gut zupacken - doch er hat durchaus auch andere Interessen als Fußball. (Foto: Matthias Kern/Getty Images)

Heute geht's gegen Werder: Berlins neuer Innenverteidiger Agustín Rogel lobt die Bundesliga - weil sie ähnlich ist, wie er selbst. Der Uruguayer hat zudem einen Plan B in der Hinterhand: ein begonnenes Medizin-Studium.

Von Javier Cáceres, Berlin

Mit den Klischees, die um Verteidiger aus Uruguay kreisen, ist der Hertha-Zugang Agustín Rogel, 25, bestens vertraut. Wenn man ihn darauf anspricht, entlockt man ihm ein Lächeln.

"Es gibt ein gewisses Erbe", sagt Rogel, "vor allem aus den Zeiten vor der Einführung des Videoschiedsrichters, als der eine oder andere das Füßlein ein bisschen kräftiger hineinhielt." Er selbst tickt völlig anders. Nicht nur, weil er sich in seinen ersten vier Bundesligapartien trotz drei gelber Karten als Spieler erwiesen hat, der bei aller Härte das Regelwerk befolgt. Sondern auch, weil er ein uruguayischer Innenverteidiger ist, der einst davon träumte, den Hippokratischen Eid abzulegen: "Ich habe vor ein paar Jahren angefangen, Medizin zu studieren. Wenn es mit dem Fußball nicht geklappt hätte, wäre ich Arzt geworden", erzählt er.

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Das Studium unterbrach Rogel vor etwa einem Jahrfünft - als ihn der Klub Krylia Sowetow Samara nach Russland lockte und er dort so gut auftrat, dass er nach Frankreich zum FC Toulouse transferiert wurde. Doch nach seinem Debüt in der Ligue 1 verletzte er sich die Schulter so schwer, dass er für die Dauer einer Saison ausfiel. Die Pandemie und der Abstieg von Toulouse taten ihr Übriges, er ging zurück nach Südamerika, zu Estudiantes de La Plata in Argentinien. Das passte bestens. Die Spieler von Estudiantes werden "Pincharratas" genannt, in etwa: Laborratten-Piekser, weil dort einst viele Studenten der medizinischen Fakultät spielten. "Carlos Bilardo wurde Arzt, während er bei Estudiantes spielte", weiß Rogel über Argentiniens Weltmeistertrainer von 1986.

Er selbst habe die Zeit bei Estudiantes als eine Art "Revanche" empfunden, sagt er, die seine Zeit in Frankreich vergessen machte. Und dazu führte, dass Hertha BSC auf ihn aufmerksam wurde. Als die laufende Saison bereits begonnen hatte, flog Manager Fredi Bobic nach Argentinien - und holte Rogel nach Berlin.

Die Bundesliga ist schneller, die Räume sind enger. Also muss Rogel noch mehr lesen

Von der Hertha habe er nicht viel gewusst, gibt Rogel zu, aber die ersten Eindrücke könnten kaum besser sein. Er rühmt die Infrastruktur des Klubs, das Umfeld, das ruhiger sei als Argentinien, die herzliche Aufnahme durch Mitarbeiter und Spielkameraden, mit denen er auf Englisch oder auf Französisch kommuniziert - Deutsch muss er noch lernen. Auch die vergangenen beiden Spiele haben es ihm angetan: Sowohl gegen Leipzig (2:3 nach 0:3-Rückstand) als auch gegen Schalke (2:1 nach spät kassiertem Ausgleich) habe die Hertha gezeigt, dass sie sich "gegen Rückschläge aufzulehnen weiß. So einen Charakterzug zu haben, ist nicht selbstverständlich", findet Rogel.

Trainer Sandro Schwarz war vor dem Spiel an diesem Freitag bei Werder Bremen (20.30 Uhr) voll des Lobes über den Neuen: Rogel habe sich "sehr gut in die Gruppe eingefügt" und sei "auch in den taktischen Abläufen sehr schnell integriert gewesen". Die Anpassung ans neue Habitat hat ihm sein Gardemaß erleichtert. "Wegen meines Biotyps passe ich gut in die Bundesliga", sagt der 1,91 Meter große Rogel: "Die Liga ist sehr physisch und sehr intensiv. Ich wusste, dass ich hier den Ton treffen könnte."

Schwarz hatte ihn nach der Ankunft ein paar Spiele lang zuschauen lassen, obwohl Rogel aus dem laufenden Betrieb in Argentinien kam. Rogel empfand das als richtig: "Als ich hier das erste Mal trainiert habe, dachte ich: Was ist denn hier los?" Der Rhythmus sei intensiver als in Argentinien, dort gebe es viele Spieler mit hoher Qualität, "aber viele sind schon älter, lassen ihre Karriere ausklingen und können nur in bestimmten Momenten intensiv spielen", sagt Rogel. "Hier sind im Schnitt alle Spieler jünger, Mitte zwanzig, wie ich - die können über 80, 90 Minuten marschieren."

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Intensiv heiße, dass ein höheres Tempo herrsche, der Ball in viel engeren Räumen kontrolliert werden müsse, durch das hohe Pressing viel Raum im Rücken eines Verteidigers sei. "Der Schlüssel für mich als Innenverteidiger ist, das Spiel so gut wie möglich zu lesen. Zu erahnen, wann der ballführende Spieler unter Druck ist, so dass man sich am Pressing beteiligen kann und muss. Oder zu sehen, wann er den Kopf hebt, um den Ball zu chippen oder lang zu spielen. Denn dann musst du dich darauf vorbereiten, zurückzulaufen."

Als er einst einen Wachstumsschub bekam, schickte ihn der Trainer nach hinten

Seine Ausbildung zum Verteidiger erfolgte bei Nacional Montevideo - dem Traditionsklub aus Uruguays Hauptstadt, bei dem nun auch der längst legendäre Stürmer Luis Suárez spielt. Ursprünglich hatte Rogel als defensiver Mittelfeldspieler angefangen. Doch als er einen Wachstumsschub bekam, schickte ihn sein Jugendtrainer nach hinten.

Auch sein Vater sei ein ambitionierter Fußballer gewesen, erzählt er - auch wenn der es nicht bis zum Profi schaffte. Der Vater beharrte auch darauf, dass Agustín die Ausbildung nicht vernachlässigen durfte. Als der Sohn gerade sein Debüt bei Nacional gefeiert hatte, erlitt er einen Bänderriss im Knie. Doch er hatte gute Noten in der Schule und liebte vor allem Biologie, deshalb der Weg in die medizinische Fakultät. "Ich brauchte einen Plan B. Nicht dass ich am Ende ohne Brot und ohne Torte dastehe", sagt Rogel.

Es gebe überhaupt immer mehr uruguayische Profis, die studiert haben - eine Hinterlassenschaft des ehemaligen Nationaltrainers Óscar Washington Tabárez, der einst Grundschullehrer war. "Er hat ein großes Erbe hinterlassen", sagt Rogel. Im Dezember wurde Tabárez abgelöst. Nachfolger Diego Alonso ließ Rogel jüngst debütieren, nachdem sich Verteidiger Ronald Araújo so schwer verletzt hatte, dass er um seinen WM-Einsatz bangen muss. So darf Rogel von einer Teilnahme in Katar träumen.

Falls er aber doch in Berlin bleiben sollte, wird es ihm an Beschäftigung dort nicht mangeln. Die "Uru-Kante", wie ihn der Berliner Boulevard getauft hat, will die Option einer Fern-Uni prüfen, an der er sein Studium wieder aufnehmen kann. Worauf er sich spezialisieren würde? "Ich will nicht lügen: Traumatologie", sagt Rogel.

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