Ägypten im Fußballrausch:Ein Sieg ist nicht genug

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Es ist das wichtigste Thema in Ägypten: der "Fußballkrieg" mit Algerien. Heute spielen die Mannschaften um das WM-Ticket - auf neutralem Boden. Man fürchtet, dass die Gewalt trotzdem eskaliert.

Jan Hendrik Hinzel, Kairo

Fußball sei mehr als nur ein Spiel, heißt es immer wieder. Diese Aussage gilt auch in Ägypten. Was viele Menschen hier unter diesem "mehr" verstehen, zeigt sich vor dem Spiel gegen Algerien am heutigen Abend im sudanesischen Khartum. Sie sprechen von "Krieg".

Ägyptische Fans setzen nach dem 2:0-Sieg Fahnen in Brand - als Ausdruck ihrer Freude. (Foto: Foto: Reuters)

Für beide Länder geht es um das letzte afrikanische Ticket für die Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Noch ist nicht klar, ob die ägyptischen Pharaonen oder die algerischen Wüstenfüchse - so die Namen der Nationalmannschaften - in Südafrika dabei sein werden.

Die Entscheidung hätte eigentlich am vergangenen Samstag in Kairo fallen sollen. Algerien führte die Gruppe C mit 13 Punkten an, der sechsmalige Afrikameister Ägypten lag drei Zähler dahinter und hatte zwei Treffer weniger erzielt. Also benötigten die Pharaonen einen Sieg mit drei Toren Abstand, um sich direkt zu qualifizieren.

Nachdem Amr Zaki bereits nach zwei Minuten das erste Tor erzielte, dauerte es bis zur fünften Minute der Nachspielzeit, bis Stürmer Meteb Abutreika das zweite Tor erzielte. Beide Teams lagen gleichauf bei Punkten und Toren, das Entscheidungsspiel war erzwungen und Ägypten in den Ausnahmezustand versetzt.

Autokonvois brachten den ohnehin schon stockenden Verkehr in Kairo völlig zum Erliegen. Die Fans stürmten auf die Straßen, Tausende tanzten und feierten. Die Anhänger standen auf den Bussen, auf den Lastern, auf den Autos sowie auf Esel- oder Pferdekarren und schwenkten dort ihre Ägypten-Fahnen.

"Wir haben sonst nicht so viele Gründe zu feiern in Ägypten", kommentierte der 19-jährige Mohammed Answar, der das Spiel in einem Café verfolgte, die ausgelassene Stimmung.

Die Presse spielt mit Wahrheiten und Gerüchten

Algerische und ägyptische Fußballfans sind sich seit Jahrzehnten in inniger Feindschaft verbunden - und regelmäßig kommt es zu Ausschreitungen. Diese gemeinsame Geschichte von Gewalt wurde bereits Wochen vor dem Spiel ausführlich in den Medien diskutiert. Immer wieder ging es um ein Datum: den 17. November 1989. Auch damals spielten Ägypten und Algerien um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft. Vor Heimpublikum qualifizierte sich Ägypten dank eines 1:0-Sieges das erste Mal seit 1934.

Nach Spielende gerieten die Spieler der zwei Mannschaften heftig aneinander. Der algerische Spieler Lakhdar Belloumi verletzte den ägyptischen Teamarzt mit einer Flasche, weshalb er in Ägypten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Während des Hinspiels in Algerien im Juni 2009 sollen die ägyptischen Spieler in ihrem Hotel schlechtes Essen bekommen haben, weswegen viele unter Durchfall litten. Zudem hätten einheimische Fans die Ägypter am Einschlafen gehindert, indem sie vor dem Hotel mit hupenden Autos stundenlang einen Riesenlärm verursachten.

Mit einer Mischung aus Wahrheit und Gerüchten heizte die ägyptische Presse auf diese Weise die Stimmung vor dem Spiel auf. Als die Algerier schließlich in Ägypten ankamen, bewarfen ägyptische Fans den Mannschaftsbus mit Steinen, drei Fußballer wurden verletzt und konnten nur beeinträchtigt spielen. Einige Medien berichteten anschließend, die Spieler hätten die Fenster selbst von innen eingeschlagen.

Aber auch nach dem Spiel kam es zu Ausschreitungen: Es wurden 32 Personen, darunter 20 Algerier, verletzt. Ein Großaufgebot an Militär schützte die algerische Botschaft. In manchen Zeitungen, wie der regierungsnahen Al-Ahram, war davon nichts zu lesen. Stattdessen lobte sie das tolle Verhalten der Fans.

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:Glühwein mit Zwetschge

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Die Bilder der verletzten Spieler lösten jedoch harsche Reaktionen in Algerien aus: Die Presse dort berichtet von Angriffen auf ägyptische Arbeiter und deren Häuser in der algerischen Stadt M'sila.

Algerische Fans mit einem Pappsarg, auf dem das Bild des ägyptischen Trainers klebt. (Foto: Foto: AFP)

Aufgebrachte Fans attackierten die Büros der ägyptischen Telekommunikationsfirma Orascom in der Hauptstadt Algier, dessen Angestellte von der Polizei in Sicherheit gebracht werden mussten. Ein Orascom-Sprecher sprach von 5000 Angreifern, mehr als 70.000 Mobiltelefone seien zerstört worden.

Auf der Website des algerischen Verbandes veröffentlichte Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika eine Grußbotschaft: "Ich bin der Erste unter unseren Fans, die sich unter allen Umständen für unser Team einsetzen. Ich wünsche unserem Vaterland und Ihnen von Herzen den Sieg."

Appell zur Besonnenheit

Einige Zeitungen rufen nun zur Besonnenheit auf und appellieren an das eigentlich brüderliche Verhältnis der zwei islamischen Länder. Die Botschafter beider Staaten haben sich ebenfalls in den Konflikt eingeschaltet und beteuern, alles Nötige für den Schutz der Ägypter in Algerien und der Algerier in Ägypten zu unternehmen.

Weitere Zusammenstöße könnten jedoch indirekt von offizieller Seite noch gefördert werden: Die in Ägypten regierende Nationaldemokratische Partei erklärte, sie werde 1000 junge Ägypter in den Sudan fliegen, die dort kostenlos das Spiel besuchen können. Der ägyptische Fußballbund wird zusätzlich vier Flugzeuge voller Fans zum Spiel nach Khartum schicken. Dort werden 48 Flugzeuge mit algerischen Fans und 18 Flieger aus Ägypten erwartet, Tausende Anhänger werden zudem mit Bussen anreisen.

Unterdessen bereitet sich die sudanesische Hauptstadt auf die schlimmsten Szenarien vor. Das Stadion in Omdurman wurde zur Festung hochgerüstet. Etwa 15.000 Polizisten sollen das Gelände schützen.

Fragt man Ägypter nach den Chancen des eigenen Teams, geben sie sich optimistisch: "Im Sudan wohnen viele Ägypter und die Sudanesen mögen uns auch", sagt Student Ahmed Alkady, "Das ist wie ein Heimspiel." Sollte Ägypten verlieren, fügt er vorsichtig hinzu, dann würde das ein jahrelanges Trauma für uns bedeuten.

Der algerische Nationalspieler Karim Matmour erwartet das "Spiel unseres Lebens" und ist sich sicher, dass die Wüstenfüchse nach Südafrika fahren werden. Er spricht aber auch aus, was in Ägypten viele sagen: "Das ist kein Fußball, das ist Krieg."

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