AC Mailand in der Champions League:Und dann knipst Leão das Licht an

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Die Mailänder stehen im Halbfinale - und in Neapel sind sie traurig, dass ihnen wohl nur die Meisterschaft bleibt in dieser seltsamen Saison. (Foto: Alberto Pizzoli/AFP)

Milan wirft mit einem 1:1 im Viertelfinal-Rückspiel Napoli aus der Königsklasse. Ein junger Portugiese wird nun mit Ruud Gullit verglichen - und alle sind überzeugt: Die Mailänder trägt die Geschichte.

Von Oliver Meiler, Rom

Regen in Neapel - das war am Dienstag ein unheilvoller Vorbote, ein meteorologisches Gebräu der Düsternis, zumindest metaphorisch. Dabei hatten sie zu Beginn "O sole mio" gesungen, die Hymne des Südens, ein Stadion im Chor.

Napoli ist raus aus der europäischen Königsklasse, die es in dieser Saison eine Weile lang mit seiner Unbeschwertheit mitgeprägt hatte, mit dieser gelobhudelten Leichtfüßigkeit im Spielgestus. Auch die ist plötzlich wie weggepustet. Und vielleicht ist es sogar unfair, wenn die ersten Worte zum italienischen Viertelfinale in der Champions League nicht den Siegern gehören, den Mailändern von der AC.

Aber Hand aufs Herz: Wer hätte es den Neapolitanern nicht gegönnt, dass sie in diesem Wettbewerb, in dem sie in ihrer ganzen Vereinsgeschichte noch nie weiter gelangt sind als eben ins Viertelfinale, nicht einmal mit Diego Armando Maradona - wer also hätte es nicht gerne gesehen, wenn sie es mit diesem Team bis ganz aufs Dach Europas geschafft hätten? Okay, in Italien selbst sind jetzt viele froh, das gehört schließlich zur Logik unverhandelbarer Parteilichkeiten.

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Als das Aus besiegelt war, im Regen eben, stimmten die Sänger des "O sole mio" schnell einen anderen Chor an, konzentriert in einer Zeile: "Vinceremo il tricolor." - "Wir werden die Trikolore gewinnen", das Meisterabzeichen in den Landesfarben, den scudetto. Es war ein Trostlied. Und ja, den nationalen Titel werden Neapel und sein Napoli wohl nicht mehr verlieren können, mögen sie sich ihm auch kollektiv entgegenschleppen, erschöpft und schwerfüßig und vielleicht auch ein bisschen müde vom Vorfeiern. Der Vorsprung auf das zweiplatzierte Lazio Rom beträgt in der Serie A noch immer 14 Punkte.

Und damit zu Milan, von dem es heißt, es habe am Ende mit der Aura der Sieggewöhnten gewonnen, mit dem Selbstverständnis eines Vereins, der schon sieben Kopien des Henkelpotts in seiner Abstellkammer stehen hat. Oder stehen sie alle im Museum? Man sagt das ja auch von Real Madrid: Irgendwann brennt sich die Gewissheit, dass die Geschichte sie trägt, in die Köpfe der Spieler eines solchen Klubs. Und zwar über Generationen hinweg.

Nach dem 1:0 im Hinspiel hatte Milan kein sonderlich dickes Polster in den Süden mitgebracht, aber man ließ Napoli einfach mal anrennen. Welle um Welle parierten die Rossoneri, mit Seelenruhe. Die gefährlichsten Gegenspieler haben die Mailänder einfach doppelt gedeckt: den georgischen SSC-Linksflügel Khvicha Kvaratskhelia und den nigerianischen Mittelstürmer Victor Osimhen. Der gute "Kvara" wollte die Glorie mit aller Macht, er dribbelte sich gewohnt frisch durch viele Verteidigerbeine, kam auch mehrmals zum Abschluss. Aber mittlerweile kennt man seine tollen Nummern so gut, dass sie sich auch mal entschärfen lassen. Und Osimhen? Der hatte zwanzig Tage lang verletzt gefehlt und war nun halt erst ein halber "Osi", verloren in der Mailänder Innenverteidigung. Der Ball kam nur sehr selten zu ihm.

Und Osimhen? Der hatte zwanzig Tage lang verletzt gefehlt und war nun halt erst ein halber "Osi"

Milan wartete auf seine Konterchancen, und kein Wunder: Wer ganz vorne einen stehen hat, der über weite Strecken des Spiels ein bisschen herumtrottet und dann plötzlich für ein paar Minuten das Licht anknipst, hell und grell, wie das der dauerlächelnde Portugiese Rafael Leão tut, 23 Jahre alt und umgarnt von halb Europa, der kann gut ein bisschen warten, auch mal einen Elfmeter vergeben und den Mut dennoch behalten. In der 43. Minute erhellte Leão also kurz den Milan-Auftritt, trug den Ball 72 Meter lang dicht am Fuß, umkurvte auf der Reise drei Gegenspieler und spielte dann ab ins Zentrum - zu Olivier Giroud, der zuvor per Strafstoß gescheitert war (22.), aber jetzt nur noch einzuschieben brauchte. Ein Zuspiel wie aus einer anderen Zeit.

In Italien erinnert diese ganze Torsequenz nun alle und fast bis ins Detail an ein Original aus dem Jahr 1988. Damals gab Ruud Gullit den Leão und Marco van Basten den Giroud, um es mal mit einer unerhörten Umkehr der historisch gereiften Meriten zu sagen. Milan gewann damals den ersten Meistertitel in der titelreichen Ära mit den großen Holländern auf dem Rasen und unter Präsident Silvio Berlusconi, dem serienmäßigen Kopfverdreher der Italiener. "Ja, das Tor ist identisch", sollte Leão später sagen, er lässt den Vergleich mit Gullit gerne so stehen.

Es heißt nun, Leãos Marktwert sei gerade auf 100 Millionen Euro gestiegen, Tendenz steigend. Wenn er ein bisschen freien Rasen vor sich hat, und das muss wirklich nicht viel sein, dann durchmisst Rafa Leão den Platz mit seltener Unwiderstehlichkeit. Vielleicht ist nur Kylian Mbappé noch unwiderstehlicher.

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Napoli hätte Chancen gehabt, das Schicksal doch noch zu seinen Gunsten zu biegen. Es hätte auch zwei Elfmeter verdient gehabt statt nur einen, wie es nun zu Recht moniert. Der "beste Referee der Welt", wie der Pole Szymon Marciniak vor dem Spiel angekündigt worden war, sah manche strittige Situation richtig, manche auch nicht. Doch als Napoli dann jedenfalls frei aufs Tor schießen durfte, vergab Kvaratskhelia den Penalty mit einem halbhohen, recht zentralen Schuss (84.) - ideal für jeden Torwart. Da brauchte es nicht einmal Mike Maignan im Kasten, aber klar: Mike Maignan, Milans französischer Keeper, war mal wieder überragend. Schlagen ließ er sich erst, als schon die Namen des Abspanns herunterliefen. Osimhens Kopfball in der 93. Minute zum Endstand von 1:1 war ein leiser Napoli-Abschied vom Wettbewerb. Vielleicht reichen ja deshalb nun die Kräfte für den Rest der Meisterschaft etwas besser.

Und in Mailand bereiten sie sich schon auf ein europäisches Derby vor, innerlich wenigstens, zwanzig Jahre ist das letzte her. Inter spielt am Mittwochabend im Giuseppe-Meazza-Stadion gegen Benfica, das Hinspiel hat man 2:0 gewonnen, recht unverhofft deutlich. Da sollte eigentlich nichts mehr passieren. Im Norden Italiens ist man entschieden weniger abergläubisch als im Süden. Aber ein bisschen Zurückhaltung bei der Heraufbeschwörung des wohl Erwartbaren lässt man dann doch walten.

Das Los bescherte ja diese Konstellation, dass die drei italienischen Viertelfinalisten alle in derselben Tableauhälfte stehen. Mit einer halben Garantie auf einen Platz im Finale von Istanbul - oder womöglich mit etwas mehr als nur einer halben Garantie.

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